Die Mutter - mit Briefen über die Mutter. Sri Aurobindo
Читать онлайн книгу.den Einfluss wahrnimmt. Es darf in keinem Bereich unseres Wesens, nicht einmal im äußerlichsten, irgendetwas geben, das sich etwas vorbehält, irgendetwas, das sich hinter Zweifeln, Unordnung und Vorwänden versteckt, irgend etwas, das sich auflehnt oder verweigert.
Wenn sich ein Bereich deines Wesens hingibt, ein anderer aber zurückhält, eigene Wege geht oder eigene Bedingungen stellt, dann stößt du jedes Mal, wenn das geschieht, die göttliche Gnade zurück.
Wenn du deine Wünsche, deine egoistischen Forderungen und deinen vitalen Eigensinn unter dem Deckmantel deiner Ergebenheit und Hingabe versteckst, wenn du sie an den Platz der wahren Sehnsucht stellst oder damit vermischst, und wenn du versuchst, sie der Göttlichen Shakti1 aufzudrängen, dann ist es müßig, die göttliche Gnade anzurufen, dich umzuwandeln.
Wenn du dich einerseits, oder in einem Bereich, der Wahrheit öffnest und andererseits ständig den feindlichen Kräften die Tore aufhältst, dann kannst du nicht erwarten, dass die göttliche Gnade bei dir bleibt. Du musst den Tempel rein halten, wenn du willst, dass sich die lebendige Gegenwart dort niederlässt.
Wenn du der Macht jedes Mal den Rücken zukehrst, wenn sie eingreift und die Wahrheit hereinbringt, und die Falschheit wieder hereinrufst, die bereits vertrieben wurde, dann kannst du nicht die göttliche Gnade dafür verantwortlich machen, sondern musst der Zwiespältigkeit deines eigenen Willens und der Unvollkommenheit deiner eigenen Hingabe die Schuld geben.
Wenn du nach der Wahrheit rufst und doch etwas in dir wählt, was unrichtig, unwissend und ungöttlich oder eben einfach nicht willens ist, es grundsätzlich zurückzuweisen, dann bist du ständig dem Angriff ausgesetzt, und die Gnade wird sich von dir zurückziehen. Entdecke zuerst, was falsch oder dunkel in dir ist, und weise es beharrlich zurück, nur dann allein darfst du zu Recht die göttliche Kraft anrufen, dich umzuwandeln.
Bilde dir nicht ein, dass sowohl Wahrheit als auch Falschheit, Licht als auch Finsternis, Hingabe als auch Selbstsucht in dem Hause zusammenwohnen können, das dem Göttlichen geweiht ist.
Die Umwandlung muss vollständig sein, also muss auch die Zurückweisung dessen, was ihr trotzt, vollständig sein.
Weise auch die falsche Auffassung zurück, dass die göttliche Kraft alles für dich tun wird und auch muss‚ was du von ihr erwartest, selbst dann, wenn du die Bedingungen nicht erfüllst, die das Höchste gestellt hat. Lass deine Hingabe aufrichtig und vollkommen sein, nur dann wird alles andere für dich getan werden.
Weise auch die irrige und träge Erwartung zurück, die göttliche Kraft werde auch noch die Hingabe für dich leisten. Das Höchste fordert deine Hingabe an Sie, erzwingt sie aber nicht: Du bist jederzeit frei, bis die unwiderrufliche Umformung erfolgt, das Göttliche zu verleugnen und zurückzuweisen oder deine Selbsthingabe zu widerrufen, wenn du willens bist, die spirituellen Folgen zu tragen.
Deine Hingabe muss freiwillig sein und aus dir selbst kommen, sie muss die Hingabe eines lebendigen Wesens sein, nicht die eines trägen Automaten oder eines mechanischen Werkzeugs.
Immer wieder wird träge Passivität mit wirklicher Hingabe verwechselt, aber aus träger Passivität kann nichts Wahrhaftiges und Mächtiges kommen. Es ist ja gerade die träge Passivität der physischen Natur, die diese jedem dunklen und ungöttlichen Einfluss ausliefert.
Die Göttliche Kraft fordert, dass wir uns freudig, entschlossen und ihrem Wirken entgegenkommend unterwerfen, sie fordert den Gehorsam des erleuchteten Jüngers der Wahrheit, des inneren Kämpfers, der gegen Finsternis und Falschheit kämpft, des ergebenen Dieners des Göttlichen.
Das ist die rechte Einstellung, und nur wer diese Haltung einnehmen und bewahren kann, wird sich auch jenen Glauben bewahren können, der durch keinerlei Enttäuschungen und Schwierigkeiten zu erschüttern ist, und wird die Feuerprobe bis zum letzten Sieg und der großen Umwandlung bestehen können.
1 Die göttliche Schöpferkraft, die Weltenmutter.
2
In allem und hinter allem, was in der Welt geschieht, steht das Göttliche mit seiner Shakti, der kosmischen Energie, ist aber verschleiert durch seine Yoga Maya2 und wirkt durch das Ego des Jiva3 in der niederen Natur.
Auch im Yoga ist es das Göttliche, das sowohl der Sadhaka4 ist als auch die spirituelle Praxis, Sadhana5 Es ist SEINE Shakti, die mit Ihrem Licht, Ihrem Wissen und Bewusstsein, Ihrer Macht und Ihrer Seligkeit, Ananda6, auf das menschliche Gefäß, Adhara7 einwirkt und, wenn das sich ihr geöffnet hat, mit Ihren göttlichen Kräften, die erst den Yoga ermöglichen, hineinströmt.
Solange aber die niedere Natur aktiv bleibt, bleibt auch die persönliche Anstrengung des Suchenden notwendig.
Die persönliche Anstrengung besteht in dreifacher Bemühung, dem Emporstreben, dem Zurückweisen und der Hingabe,
in dem wachsamen, gleichbleibenden und steten Emporstreben, dem Willen des Denkvermögens, dem Suchen des Herzens, der Zustimmung des Vitalen, dem Willen, das Körperbewusstsein und die körperliche Natur zu öffnen und wandlungsfähig zu machen,
im Zurückweisen der Regungen der niederen Natur, dem Zurückweisen von Ideen, Meinungen, Vorurteilen, Denkgewohnheiten und Gedankenkonstruktionen, damit das wahre Wissen in einem schweigenden Denkvermögen freien Raum vorfinde, im Zurückweisen von Wünschen und Forderungen, von Begierden, Gefühlen und Leidenschaften der vitalen Natur, ihrer Selbstsucht und Arroganz, ihrer Lust und Habgier, ihres Stolzes und Neides, ihrer Eifersucht und Feindseligkeit gegenüber der Wahrheit, damit sich die wahre Freude und die Kraft von oben in ein ruhiges, weites, starkes, geweihtes vitales Wesen ergießen können, im Zurückweisen des Stumpfsinns, des Zweifelns und Unglaubens der physischen Natur, ihrer Dunkelheit, Widerspenstigkeit, Kleingeistigkeit, Faulheit und ihrer Abneigung gegenüber der Umwandlung, dem Tamas8, damit sich Licht, Macht und Seligkeit in ihrer wahren Widerstandskraft in einem immer göttlicher werdenden Leib niederlassen können;
in der Hingabe unserer selbst und all dessen, was man ist und hat, jeder Ebene des Bewusstseins und jeder Tätigkeit an das Göttliche und die Shakti.
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In dem Maße, wie Hingabe und Selbstweihe zunehmen, wird dem Suchenden bewusst, dass die Göttliche Shakti selbst den Yoga ausübt, immer mehr von sich Selbst in ihn einfließen lässt und die Freiheit und Vollkommenheit der Göttlichen Natur in ihm ins Leben ruft. Je mehr dieser bewusste Prozess sein eigenes Bemühen ersetzt, desto schneller und wahrhaftiger wird sein Fortschritt sein. Aber er kann erst dann die persönliche Anstrengung völlig ersetzen, wenn Hingabe und Weihe vom Scheitel bis zur Sohle makellos und vollkommen geworden sind.
Merke dir, dass träge Hingabe, die sich weigert, die Voraussetzungen zu erfüllen, und Gott auffordert, alles zu tun, und dir selbst alle Mühe und jegliches Ringen zu ersparen, Selbstbetrug ist und weder zu Freiheit noch zu Vollkommenheit führt.
2 Yoga Maya: Die Macht des Göttlichen, die die Welt erschaffen und deren Realität hinter den Phänomenen versteckt hat.
3 Jiva: Die individuelle Seele, das Selbst.
4 Sadhaka: Yoga Praktizierender.
5 Sadhana: Spirituelle Disziplin/Praxis.
6 Ananda: Gottseligkeit.
7 Adhara: Das menschliche Gefäß.
8 Tamas: Dumpfheit, Trägheit.
3
Um gewappnet gegen jede Art Furcht, Gefahr und Unheil durchs Leben zu gehen, bedarf es nur zweier Voraussetzungen, die