Der Bierzauberer. Günther Thömmes

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Der Bierzauberer - Günther Thömmes


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      Wenngleich Niklas’ Eltern niemals über das Mönchsleben Worte verloren hatten, so wussten sie doch darüber Bescheid.

      Insgeheim wünschten sie beide sogar, dass einer ihrer Jungen das Glück hätte, ins Kloster zu gehen. Da Niklas’ Schicksal als Ältester bereits vorherbestimmt war, galten diese Hoffnungen Matthias. Einfache Leute, die sie waren, hatten sie keine Hoffnung darauf. Gelegentlich ein Brot für die ganz Armen war bestimmt nicht genug, um eine solche Belohnung zu erhalten.

      Und zu mehr reichte es einfach nicht, das wussten beide, also sprachen sie nicht darüber. Niklas hatte sich einige Tage lang überlegt, wie er es am klügsten angehen sollte, kam jedoch auf keine Lösung. Da half ihm der Zufall: Der Abt von Urbrach war vor Kurzem verstorben.

      Dies allein sprach sich jedoch nicht herum bis zu dem zwei Tagereisen vom Kloster entfernten Hahnfurt. Erst als der neue Abt Kilian beschloss, zur Feier seiner Ernennung die Bruderschaft des Klosters Urbrach um 50 Novizen zu vergrößern und dies überall im Umkreis bekannt machte, wurde es auch in Hahnfurt zum Gesprächsthema. Niklas schnappte es auf der Straße auf, und abends sagte sogar der sonst so schweigsame Vater etwas zum Thema.

      »Wir sollten doch einmal versuchen, einen von unseren Buben nach Urbrach zu bringen.«

      Die daraufhin leuchtenden Augen von Niklas übersah er und fuhr fort:

      »Ich denke, dass der Matthias einen tüchtigen Mönch abgeben würde. Er kennt sich schon aus im Garten und Gartenarbeit ist im Kloster das Wichtigste. Der Niklas hilft mir dann auf dem Feld und Elisabeth, Ruth und Adelheid bewirtschaften den Garten mit dir. Bis wir sie verheiratet haben.«

      »Im Kloster wird aber auch Bier gemacht«, warf Niklas zaghaft ein, »bitte lass mich ins Kloster gehen, Vater!«

      Zuerst war Michael erzürnt über Niklas, dass er ihm vor der ganzen Familie widersprach. Er erinnerte ihn an seine Verantwortung, die er als Ältester für die Zukunft des Hofes trage. Dann sah er die Begeisterung in seinen Augen und versprach ihm:

      »Ich werde es mir überlegen.«

      Drei Wochen später war es tatsächlich so weit. Die Ernte war eingebracht und Michael konnte die Familie für ein paar Tage allein lassen. Der frühmorgendliche Abschied von der Mutter und den Geschwistern fiel überraschend schwer, obwohl alle annahmen, dass Niklas mit dem Vater wiederkäme. Niklas fühlte auf einmal zwei Seelen in seiner kleinen Brust. Neben dem unbändigen Verlangen danach, im Kloster Bier zu brauen, fühlte er doch so etwas wie Heimweh, obwohl sie noch nicht einmal abgereist waren. Was, wenn sie ihn im Kloster annehmen würden? Seine Sippe, seine Freunde, der kleine elterliche Hof in Hahnfurt wären dann außer Reichweite. Alles das, was bislang seine Welt war, sein kleiner, überschaubarer Niklas-Kosmos, wäre mit einem Mal verschwunden. Und mit einer Träne im Auge machte sich Niklas mit seinem Vater auf den Weg nach Urbrach.

      Sie gingen zügig, der Vater mochte den Hof nicht zu lange unbemannt lassen. Niklas hatte Mühe, mit dem Vater Schritt zu halten. Doch Aufregung und Vorfreude ließen ihn alle Anstrengung leichter ertragen. Die Wege waren gut ausgetreten, relativ sicher, und »uns armen Leuten kann man sowieso nichts rauben«, wie Michael mehrfach betonte. Sie übernachteten unterwegs in einer Scheune, ein Gasthaus konnten sie sich nicht leisten.

      Gegessen wurde, was Mutter ihnen mitgegeben hatte: Brot, Wurzelgemüse und Rüben. Wasser gab es in jedem Dorf, durch das sie wanderten. Es war teilweise abgestanden und brackig, also nahmen sie nur das Nötigste. Schon am Mittag des nächsten Tages standen sie an der Pforte des Klosters Urbrach. Sie baten um Einlass und erklärten ihr Anliegen, Niklas dem neuen Abt als Novizen anzubieten.

      Der Bruder an der Pforte öffnete, und als sie im Hof des Klosters standen, fühlte sich Niklas wie in einer neuen Welt. Außer der kleinen Hahnfurter Dorfkirche hatte er noch niemals ein Gebäude aus Stein gesehen. Alle Häuser, die er kannte, waren aus Holz, Lehm und Stroh notdürftig zusammengeflickt. Dass es eine solche Pracht überhaupt gab, hätte er sich niemals vorstellen können.

      Dabei hatte das Kloster nicht einmal den Gipfel seines Reichtums erreicht, auch die große Kapelle war nach fast 100 Jahren Bauzeit immer noch nicht ganz fertiggestellt. Dennoch war das, was im Klosterhof zu sehen war, für die Augen einfacher Menschen beeindruckend.

      Mit einer in Franken neuen Bauweise hatte man die Hauptgebäude des Klosters errichtet. Kräftige senkrechte, hölzerne Balken sorgten für die aufrechte Stärke der Gebäude. Waagerechte Hölzer lagen als Riegel dazwischen, um der ganzen Konstruktion die nötige Stabilität zu verleihen. Die Gefache zwischen Ständern und Riegeln waren fein und weiß verputzt, was den Eindruck von Reichtum und Sauberkeit noch unterstrich.

      An einer Stelle eines Gebäudes wurde gearbeitet, und so sah Niklas, dass die Gefache vor dem Verputzen mit Ziegeln gefüllt wurden. Das Hauptgebäude war am prächtigsten. Hier war das Untergeschoss aus festem, behauenem Stein, darauf hatte man eine neue, Fachwerk genannte Bauweise gesetzt.

      Vom Hof aus sah man reges Treiben, im Garten arbeitete eine Gruppe Mönche, und man konnte sogar in den Weinberg sehen, in dem ein paar Brüder mit Hacken den Boden bearbeiteten. Einen der Mönche sah Niklas mit einer großen, leeren Schüssel zu einem großen Bienenhaus eilen.

      In der Mitte des Klosterhofs stand ein gewaltiger Lindenbaum, der größte, den Niklas und Michael jemals gesehen hatten.

      »Der ist ja fast so groß wie der Weltenbaum«, flüsterte Michael ergriffen. »Schau einmal, der geht beinah bis in den Himmel.«

      Und dann kam aus einem der Nebengebäude ein Geruch, der Niklas nur zu vertraut vorkam: Dort roch es warm, süßlich und würzig nach Maische, dort wurde Bier gebraut!

      Vor Aufregung wäre er beinahe über seine eigenen Beine gestolpert und in eine große Pfütze gefallen. Nur die schnelle Reaktion seines Vaters verhinderte, dass er seine einzige gute Hose und sein einziges gutes Hemd total verdreckte.

      »Nun pass doch auf, Niklas, und sag jetzt nur noch was, wenn du gefragt wirst!«

      Nachdem sie etwa eine Stunde gewartet hatten, wurden sie zum Abt geführt. In dem Raum, den sie jetzt betraten, fiel zuerst der ungeheuer große Tisch ins Auge. An einer Längsseite saßen fünf Ordensbrüder, in der Mitte thronte ein Mann, der unschwer als der Abt zu erkennen war. Nachdem Michael sich und Niklas vorgestellt und seine Bitte vorgetragen hatte, durfte Michael sich setzen, Niklas musste stehen bleiben.

      Der Abt Kilian musterte die Besucher. Er war für einen Abt, dazu der eines nicht unbedeutenden Klosters, erstaunlich jung. Weder Michael noch Niklas hatten jemals zuvor einen Abt gesehen, aber in der Vorstellung war die Würde des Amtes dennoch immer mit Alter verbunden gewesen.

      Nun schaute sie ein hagerer, schmaler Mann von etwa 40 Jahren mit intelligenten, lebhaften Augen an. Obwohl er sich noch nicht von seinem prachtvoll geschnitzten Stuhl erhoben hatte, konnte man sehen, dass er groß gewachsen war. Auch ohne Tonsur waren ihm nur wenige Haare geblieben, sodass das ganze Gesicht von den Adleraugen dominiert wurde.

      »So, Michael aus Hahnfurt, dann erkläre mir bitte einmal, warum dein Sohn Niklas in unsere Klostergemeinschaft aufgenommen werden soll. Du weißt sicher, dass wir nicht jeden dahergelaufenen Bauernsohn als würdig befinden; warum soll dein Sohn also würdig sein?«

      Michael erzählte zuerst von sich und seiner Familie, von der harten täglichen Arbeit, den fünf lebenden Kindern, verschwieg nicht die toten, betonte aber auch die Gottesfürchtigkeit ihres Lebens und dass sie es ohne Bitterkeit ertrügen.

      Dann wendete er sich zu Niklas und erzählte von dessen bisherigem Leben, er sei fleißig und aufgeweckt und habe der Mutter schon seit fünf Jahren regelmäßig viel Arbeit abgenommen.

      Jetzt blickte Kilian zu Niklas und fragte ihn:

      »Du weißt bestimmt, dass neben der Arbeit für Gott ein jeder Bruder auch eine Arbeit für die Gemeinschaft übernimmt. Um eine Arbeit gut zu machen, muss man sie aber gerne machen. Gesetzt den Fall, wir würden dich in unsere Gemeinschaft aufnehmen, was ist die Arbeit, die du am liebsten für deine Brüder oder mit deinen Brüdern machen würdest?«

      Niklas schaute auf seinen Vater, um Zustimmung zum Antworten


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