Mami Staffel 11 – Familienroman. Edna Meare

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Mami Staffel 11 – Familienroman - Edna Meare


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Blicke kreuzten sich. Und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte die junge Ärztin in den Augen des trauernden Witwers ein kleines Licht der Zuversicht entdecken zu können. Sein markantes Gesicht straffte sich, und in diesem Moment begriff sie, welche Macht die Ausstrahlung dieses Mannes auf Frauen ausüben konnte. War der Anflug eines dankbaren Lächelns in seinem Blick gewesen?

      Ob er ahnte, wie gern sie sich um Claudia kümmerte? Ob er wußte, daß sie sich auch um Claudias Vertrauen bemühte, um die Last ihres Gewissens loszuwerden? Astrid schlug die Augen nieder. Immer noch kämpften schmerzliche Empfindungen in ihr.

      Die Trauergemeinde verstreute sich. Der Dirigent wurde von Menschen umringt, die ihm jetzt bestimmt einen Halt bedeuteten. Langsam machte Astrid sich auf den Rückweg zur Klinik. Da hörte sie plötzlich eilige Schritte hinter sich über den Kiesweg knirschen.

      »Frau Doktor!«

      Es war Fabian Ossiander, er mußte sich aus dem Pulk seiner nächsten Freunde gelöst und hinter ihr hergeeilt sein. Er stand vor ihr, und wieder stellte sie fest, was für ein gutaussehender Mann er war. Nein, der Leidensdruck der letzten Stunde schien seiner Ausstrahlung nichts anhaben zu können. Sie schämte sich fast, weil sein Anblick ihr Herz etwas schneller schlagen ließ.

      »Gehen Sie jetzt zu Claudia zurück?«

      »Ja, selbstverständlich.«

      Das tiefe Schwarz seines leichten Sommeranzugs verlieh ihm die gleiche Würde wie der Frack, den er am Dirigentenpult trug.

      »Ihre Tochter erwartet Sie voller Sehnsucht, Herr Ossiander. Schon gestern hat sie immer wieder nach Ihnen gefragt. Sie haben ihr ein Foto Ihrer Frau versprochen.«

      Er nickte. »In einer Stunde werde ich dort sein. Ich bitte Sie, mir dann ein wenig Ihrer kostbaren Zeit zu gönnen.«

      »Meine Zeit ist nicht kostbar«, erwiderte sie bescheiden. »Eigentlich habe ich heute keinen Dienst. Ich will nur bei Claudia sein, weil ich nicht wußte, ob Sie sie heute besuchen. Sie darf sich doch nicht alleingelassen fühlen.«

      »Halten Sie mich für einen Rabenvater?« fragte er verstört.

      Sie erschrak. Sollte sie mit einer unbedachten Bemerkung noch mehr Schuld auf sich laden?

      »Nein, nein, Herr Ossiander, keinesfalls. Sie haben Verpflichtungen und Termine einzuhalten. Und wenn Sie in Ihrem Schmerz einige Stunden für sich allein brauchen, so verstehe ich Sie sehr gut.«

      »Sie verstehen mich? Das ist gut. Danke, Frau Doktor.« Er schien ehrlich berührt. »Aber ist mein Platz nicht bei meiner Tochter? Ich werde ihr das Foto ihrer wunderbaren Mutter bringen. Ja, heute noch. Ganz gewiß.« Er ergriff ihre Hand. »Ich muß Ihnen danken, Frau Doktor. Claudia schätzt Sie, das weiß ich. Bitte, enttäuschen Sie mein unglückliches Kind nicht.«

      »Nein, das werde ich nicht, Herr Ossiander.« Ein Schluchzen stieg in ihr auf, aber sie besiegte es, bevor er es bemerken konnte und wandte sich mit einem schwachen Lächeln ab.

      Während der Autofahrt zurück zur Klinik ließen sie die Gedanken an diesen Mann nicht mehr los. Was mochte in ihm vorgehen? Würde er sich nicht lieber, um seinen Schmerz zu betäuben, in die Arbeit stürzen? Mußte er sich nicht dazu zwingen, in Claudias Gesicht zu schauen? Und dann von der Ähnlichkeit mit ihrer Mutter in noch größerem Schmerz oder sogar in Apathie zu versinken?

      Sie hatte Mitleid mit ihm. Er war ein großer Dirigent, ein genialer Künstler. Wie konnte er nur die Kraft für seine nächsten Konzerte mit der Kraft, die Claudias bemitleidenswerter Zustand ihm jetzt abverlangte, in sich vereinen? Er war doch auch nur ein Mensch. Und sogar ein großartiger, der sich nicht gescheut hatte, ihr auf dem Friedhof im Laufschritt zu folgen, nur, um ihr ehrlich zu danken. Und zu dem Mitgefühl für Annalenas Witwer regte sich nun mitfühlende und tiefe Sympathie für Fabian Ossiander in ihr.

      Ihr Kollege und Freund Kurt Wittek hatte die letzten Stunden in Claudias Zimmer verbracht. Als Astrid, wieder im weißen Kittel, eintrat, schlief ihre kleine Patientin.

      Kurt verließ den Raum auf Zehenspitzen. Sie setzte sich auf den Stuhl am Fenster und sah in den Garten hinaus. Ob sie dort einmal mit Fabian plaudernd spazierengehen würde? Wie würde es sein, wenn sich zum erstenmal nach Wochen ein Lächeln auf seinem Gesicht zeigte? Würde es ihr als Frau oder nur der Ärztin gelten, die sein Kind betreute?

      »Hast du Mami einen Gruß von mir in den Himmel mitgegeben?«

      Claudias brüchige Stimme schreckte sie aus ihren Träumen auf. Sie war sofort bei ihr.

      »Ja, das habe ich. Mit der ganzen Kraft unserer beiden Herzen, Claudia.« Astrid nahm das Glas mit Saft und führte es an ihre Lippen. »Dein Vater wird bald hiersein. Er hat es mir fest zugesagt.«

      Claudia trank zu ihrer Freude das halbe Glas aus. Dann fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen und seufzte.

      »Weißt du, Astrid, mein Papa hat immer viel zu tun. Er muß in Verona ein Konzert geben. Ich glaube sogar, schon morgen…«

      »Wenn es so ist, so kommt er trotzdem noch.«

      Claudia lehnte sich zurück. »Hast du einen Mann auf dem Friedhof gesehen?«

      »Einen Mann? Wen meinst du? Es waren hunderte von Menschen dort.«

      In dem Blick, den Claudia zu ihr hochsandte, lag ein seltsamer Ausdruck, der Astrid im ersten Moment irritierte. Hatte sie was falsches gesagt?

      »Ob meine Mami will, daß Papas Gedanken bei ihr im Himmel sind?« fragte die Elfjährige da schon.

      Es war nicht das erste Gespräch, das Astrid mit trauernden Hinterbliebenen von Unfallopfern führte. Aber noch nie kam sie sich so unwissend und dumm vor wie jetzt. Da Claudia sie immer noch ansah, suchte sie verzweifelt nach einer Antwort, die dem Kind gerecht wurde, Trost erwirkte und doch ohne Heuchelei ausgesprochen werden konnte.

      »Ich glaube«, hörte sie sich sagen, »daß jeder Mensch, der diese Erde verlassen muß, gern von der Liebe seiner Angehörigen in den Himmel getragen wird.«

      »Auch, wenn er die Angehörigen gar nicht lieb hatte?« kam es prompt zurück. Diesmal stutzte Astrid wirklich.

      »Aber deine Mama hat dich doch bestimmt sehr liebgehabt!«

      Claudia atmete schwer. »Wir hatten doch noch Streit, Astrid.«

      »Streit? Im Auto?«

      »Ja«, kam es kläglich zurück.

      Astrid erhob sich, um Claudias Kopfkissen auszuschütteln.

      »Ich habe auch manchmal mit meiner Mutter Streit«, gab sie sich heiterer, als ihr zumute war. »Aber die Liebe einer Mutter wird davon nicht geringer. Glaub’s mir.« Sie setzte sich wieder. »Worüber habt ihr denn gestritten?«

      Die Frage klang munter, weil sie Claudia von einer Last befreien sollte. Diesmal erhielt sie keine Antwort. Vergeblich wartete sie auf die Schilderung einer nichtssagenden Auseinandersetzung, wie sie zu tausenden zwischen Eltern und aufsässigen Kinder geführt wurde.

      Nach einer Weile wurde das Abendessen gebracht. Fast gleichzeitig trat Fabian Ossiander ins Zimmer.

      Nachdem er Claudia mit einem Kuß und Astrid mit einem flüchtigen Nicken begrüßt hatte, entnahm er seiner Ledertasche einen in ein seidenes Tuch gehüllten Gegenstand. Mit dramatischer Geste zog er das Tuch fort.

      Mit angehaltenem Atem beobachtete Astrid, wie er den breiten Silberrahmen mit dem Foto Annalenas so auf den Tisch neben Claudia stellte, daß sie ihre Mutter immer ansehen konnte.

      Annalenas schmales, von dunklen Haaren umgebenes Gesicht war so schön, daß es Astrids Erinnerung an das wächserne Antlitz der Sterbenden im OP auslöschte. Ihr stockte fast der Atem, weil sie erst jetzt begriff, welcher Zauber von dieser Frau ausgegangen war.

      Leise verließ sie das Zimmer. Einmal mehr und so schmerzhaft wie nie zuvor war ihr bewußt geworden, welchen Verlust Claudia und ihr Vater erlitten haben mußten.

      *

      »Es war unklug von


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