Dunkle Träume. Inka Loreen Minden

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Dunkle Träume - Inka Loreen Minden


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ebenso den Tausendfüßler, der über Mamas Gesicht lief. Flink griff er danach und steckte sich ihn in den Mund. Der Panzer knackte zwischen den Zähnen; der schleimige Inhalt verteilte sich auf seiner Zunge.

      Mmm … Ein Insekt schmeckte köstlich, wenn man fast verhungerte. Leider knurrte sein Magen nach diesem Happen nur noch lauter. Außerdem machte sich sein Gewissen bemerkbar. Er hätte Myra die Hälfte aufheben sollen. Sie war so dünn.

      Sanft streichelte er durch ihr Haar, das ebenso schwarz war wie seines. Ansonsten hatten sie, bis auf die Fangzähne, nur wenig gemein. Myra war klein und zierlich, eine Elfe mit spitzen Ohren und einem herzförmigen Gesicht, während er mehr nach Mutter kam: groß und stark. Er besaß zwar keine Schwingen, aber einen Gargoyleschwanz und winzige Hörner, worauf er besonders stolz war. »Kleiner Löwe« nannte Mama ihn oft, weil sein Schwanz dem der Raubkatze ähnelte. Kyrian hatte noch nie einen Löwen gesehen, wusste jedoch, dass er in einer anderen Welt der König der Tiere war. Hauptsache, Kyrian ähnelte seinen Feinden nicht zu sehr. Im Gegensatz zu Myra. Trotzdem liebte er seine Schwester von ganzem Herzen. Er würde sein Leben für sie geben.

      Aufregung machte sich in seinem Magen breit, weil in Kürze die Sonne unterging. Dann wurde Mama wieder lebendig. Gemeinsam würden sie die Höhle verlassen und Myra und er in Mamas Armen über das Dunkle Land gleiten, um wie jede Nacht nach einem Ausgang zu suchen. Sie mussten das Reich der Dunkelelfen dringend verlassen. Leider waren Kyrian und seine Schwester bald zu groß und zu schwer, um mit ihrer Mutter zu segeln.

      Seit er denken konnte, versteckten sie sich in dieser Berghöhle. Seine Mutter hatte ihnen erzählt, ein Dunkelelf habe sie vor langer Zeit aus der Menschenwelt entführt und gefangen gehalten, bis Kyrian und Myra auf die Welt kamen. Erst danach hatte sie es geschafft, ihn zu töten und mit ihnen durch eine geheime Passage zu fliehen.

      Nachdenklich betrachtete er die steinernen Schwingen seiner Mama, die sonst aus warmem Leder bestanden. Schade, dass Myra und er keine Flughäute besaßen, dann könnten sie sich aufteilen, jeder in eine andere Richtung gleiten.

      Seine Ohren zuckten, als er ein Knirschen hörte. Schnell hob er den Kopf. Schritte näherten sich.

      »Sie müssen hier drin sein, Orugh schwört, die drei gesehen zu haben«, hallte eine unbekannte Stimme durch die Höhle.

      »Mama«, flüsterte er und rüttelte an der Steinfigur, obwohl er wusste, dass sich ihr Zustand dadurch nicht ändern würde.

      Myra hatte die Stimmen auch gehört. Mit großen Augen starrte sie ihn an und krallte ihre zarten Finger in ihr schmutziges Kleidchen. Er bedeutete ihr, still zu sein, und reichte ihr die Hand. Aus seinen Beinen wich jegliche Kraft, während er Myra in den tiefsten Winkel der Höhle zog. Er drückte sie hinter sich und sie schmiegte sich zitternd an seinen Rücken. Die Dunkelelfen kamen, um sie alle zu töten. Mama hatte sie darauf vorbereitet. Kyrian und Myra könnten durch einen engen Felsspalt entkommen, doch er dachte nicht an Flucht, solange seine Mama wehrlos war. Er würde sie beschützen. Außerdem war er bereits zu groß.

      Da seine Schwester viel zierlicher war als er, befahl er ihr leise, sich in die Felsnische zu zwängen und zu fliehen. Dank des grauen Kleides verschmolz sie fast mit dem Stein. Sie würde in Sicherheit sein. Keinen Wimpernschlag später blendete ihn Feuer, sodass er sich die Hände vor die Augen halten musste.

      »Da ist der Bastard!«, rief einer, packte ihn am Arm und zog Kyrian aus der Nische, wobei er die Fackel dicht vor sein Gesicht hielt.

      Er zwinkerte, brachte die Augen jedoch nicht auf. An Licht war er nicht gewöhnt, ebenso wenig an den Ruß der Fackel, der in seinen Lungen kratzte.

      »Verdammt, er sieht aus wie einer von uns«, sagte ein Elf.

      Nein, das stimmte nicht, er war nicht wie sie. Er wollte ihnen das ins Gesicht brüllen, aber Angst lähmte seine Zunge.

      »Nicht ganz«, meinte ein anderer, warf ihn auf den Boden und riss ihm den Lendenschurz ab. »Schau, die Missgeburt hat einen Gargoyleschwanz.«

      Hastig krabbelte Kyrian zwischen den drei Elfenkriegern hindurch. Sie sahen unheimlich aus, denn die Perlen in ihren schwarzen Haaren funkelten im Flammenschein wie Insektenaugen, und an ihren spitzen Ohren baumelten Ringe und kleine Knochen. Ihre schlanken Körper steckten in Lederharnischen, und jeder von ihnen trug ein Schwert.

      »Wohin so eilig?«, hörte er, dann Gelächter, als er brutal an seinem Schwanz zurückgerissen wurde.

      Vor Angst, Schmerz und Wut fauchte er, wobei er verzweifelt versuchte, sich umzudrehen, doch jemand trat auf seinen Rücken und presste ihn auf den steinigen Boden. Ein spitzer Kiesel bohrte sich in seine Wange. Der Elf griff in sein Haar und riss seinen Kopf herum. Kyrian blickte in das Antlitz seines Feindes und sah sich selbst in dessen schwarzen Augen, seine hervorgetreten Fangzähne, wodurch sein Gesicht einer Fratze glich, beinahe wie das seiner Mutter.

      »Was machen wir mit dem versteinerten Vieh?«, fragte einer.

      »Töten«, zischte der Elf, der halb auf seinem Rücken kniete und immer noch sein Haar packte.

      Der Krieger, der neben seiner liegenden Mutter stand, holte mit dem Schwert aus. Mit der fehlenden Nasenspitze und dem vernarbten Gesicht sah er besonders bösartig aus.

      »Nein!« Kyrians Herz raste, sein verdrehter Nacken schmerzte und pure Angst fraß sich durch seine Eingeweide.

      »Tut ihr nichts!«, rief plötzlich Myra, die aus ihrem Versteck kam und auf Mutter zulief.

      Kyrian glaubte, zu ersticken.

      »Wen haben wir denn da?« Der Elf, der sich neben seiner Mutter befand, packte sie am Haar. »Die hier sieht wirklich aus wie eine von uns.«

      Der dritte hob ihr Kleidchen an. »Kein Schwanz.« Dann wühlte er in ihrem Haar und zwang Myra, den Mund zu öffnen. »Keine Hörner, nur kleine scharfe Beißerchen, wie unsere.«

      »Wir nehmen sie mit«, befahl der Krieger, der ihn auf den Boden drückte. »Die anderen beiden: töten!«

      Der Dunkelelf, der Myra hielt, holte mit der Schwerthand aus und ließ die Klinge herabsausen. Sie durchtrennte mühelos den Kopf seiner Mutter, der zur Seite rollte, genau vor Kyrians Gesicht.

      Während Myra wie am Spieß schrie und aus der Höhle gezerrt wurde, konnte Kyrian nur auf die steinerne Fratze starren und auf den Tod warten.

      Mama …

      Tränen sammelten sich in seinen Augen; der albtraumhafte Anblick verschwamm.

      Was würde aus Myra werden, was hatten sie mit ihr vor? Kyrian fühlte sich einer Ohnmacht nah. Wenn er starb, wer würde sie beschützen? Er war der Einzige, den sie noch hatte.

      Er zwinkerte. Das Antlitz seiner Mutter musterte ihn anklagend: Du hättest mit ihr fliehen sollen!

      Da kehrten seine Lebensgeister zurück. Er sammelte seine Kräfte und sprang auf, sodass er den Soldaten abschüttelte. Blitzschnell rannte er aus der Höhle, aber er hatte noch nicht den Ausgang erreicht, als sich vor ihm wie aus dem Nichts derselbe Soldat materialisierte, der ihn eben gehalten hatte. Kyrian prallte gegen dessen Lederharnisch.

      Lachend packte ihn der Krieger an den Haaren. »Du bist wirklich mehr Gargoyle als Dunkelelf, ansonsten könntest du dich translozieren.«

      Er könnte was?

      »Du bist tot«, zischte der Soldat, wobei sich seine schwarzen Augen zu Schlitzen verengten.

      Ein weiterer Elfenkrieger trat neben ihn. »Warte, Lachlain, lass uns ein wenig Spaß mit dem Abschaum haben. Diese verdammten Gargoyles arbeiten mit Hexen und Magiern zusammen. Ich hasse diesen kleinen Mistkerl, wenn ich ihn nur ansehe.«

      »Ja, lass uns seine Hörner abschneiden, seine lächerlichen Beißerchen herausreißen und ihn zu Tode quälen. Das wird ein Spaß.« Die beiden lachten. »Fangen wir mit dem Schwanz an.«

      Nein! Kyrian versuchte, zu entkommen. Vergeblich. Sie hatten ihn eingekreist. Niemals war er sich so nackt und hilflos vorgekommen. Er fasste hinter sich, um nach seinem Schwanz zu greifen. Nervös zuckte er in seiner


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