Mami Staffel 1 – Familienroman. Gisela Reutling
Читать онлайн книгу.bei ihr vergessen hat.«
Sie hätte den letzten Satz gern zurückgenommen. Solch einen Blick hatte Max noch nie für sie gehabt.
»Ich möchte nicht, daß du in einem solchen Ton von ihr sprichst.« Max bemühte sich sichtlich, seinen Ärger zu zügeln.
»Max! Hast du denn den verstand verloren? Was will denn eine Schauspielerin bei deinen Kindern? Soll sie ihnen Flöhe ins Ohr setzen? Sie ist doch kein Umgang für deine beiden. Ich hatte dich wirklich für verantwortungsbewußter gehalten. Aber wahrscheinlich hat sie nicht nur den Kindern, sondern auch dir den Kopf verdreht.«
»Das geht zu weit!« Erregt sprang Max auf. Seine Schwester hatte schon immer eine unangenehme Art gehabt, seine geheimsten Gedanken zu erraten.
»Du scheinst in einer eigentümlichen Stimmung zu sein.« Er sprach viel ruhiger, als ihm zumute war. Mit dem Glas in der Hand wanderte er durchs Zimmer, blieb vor dem Bücherregal stehen, nahm den Elefanten aus Elfenbein in die Hand und stellte ihn zurück. »Wenn du Marie-Luise erst ein wenig besser kennenlernst, wirst du mir recht geben. Sie ist ein völlig natürlicher, ja einfacher, lebensfroher Mensch. Sie ist für meine Kinder eine Bereicherung. Sie ist all das, was du an Trude vermißt. Sie haben sie gern, und ich bin froh, wenn sie mit ihnen zusammen ist.«
Pat schürzte verächtlich die Lippen. Sie war im höchsten Grad alarmiert. »Die Laune einer verwöhnten Schauspielerin. Vermutlich kommt bald der Reporter und schießt Bilder von ihr mit den Kindern. Das muß eine wundervolle Reklame für sie sein. Mein Gott, Max, bist du denn wirklich so blind? Das Mädchen hat es ganz sicher nicht auf die Kinder abgesehen. Sie will dich. Dich über die Herzen der Kinder.«
»Das habe ich heute schon einmal gehört«, stieß er böse aus.
»Max, renn nicht herum und trete den Teppich platt. Setz dich, du weißt, daß mich das Gerenne nervös macht. Max«, über den mit Geschirr und Häppchen beladenen Tisch streckte sie ihm die Hand entgegen. »Es ist doch nur Sorge, die mich so sprechen läßt. Ich will nicht, daß dir und den Kindern weh getan wird. Es ist nur eine Laune dieser Person, das ist doch klar. Sie wird euch drei schnell vergessen haben, wenn sie sich einem anderen Spielzeug zuwendet.«
»Du hast kein Recht, einen Menschen, den du nicht kennst, so zu beurteilen. Ich schätze sie sehr. Ich habe sie im Theater bewundert – ja, bewundert. Sie ist eine wundervolle Schauspielerin und ein wundervoller Mensch. Ich habe den Abend mit ihr sehr genossen.«
»Du bist in sie verliebt«, klagte sie und schlug entsetzt die Hände zusammen. »Nein, sag nichts, Max. Ich bin wirklich eine Närrin. Aus Angst um euch drei benehme ich mich unmöglich… Ich sollte froh sein, daß es diesem Mädchen gelungen ist, dich ins Leben zurückzuholen. Du hattest dich nach Jennys Tod in ein Schneckenhaus verkrochen. Du bist viel zu klug, um mehr darin zu sehen, als eine Verliebtheit. Vielleicht schadet diese Freundschaft auch den Kindern nicht. Sie müssen lernen, Enttäuschungen hinzunehmen, niemand kann sie davor bewahren, auch ich nicht. Sieh mich nicht so strafend an, Max. Ich habe Angst um euch. Ihr seid meine Familie.«
Sie strich über ihre Augen, lächelte gequält. »Du weißt, wie sehr ich euch alle liebe. Ist es da nicht verständlich, daß ich euch drei vor Kummer bewahren möchte? Natürlich weiß ich, daß du nichts erwartest als nur eine hübsche Abwechslung, ja vermutlich einen kleinen Flirt. Wenn du nur nicht traurig bist, Max, wenn sie dir den Laufpaß gibt.«
»Ich denke, wir beenden das Gespräch.« Er fühlte sich plötzlich müde, ja ausgelaugt. Jetzt spürte er den arbeitsreichen Tag und sehnte sich danach, allein zu sein.
Spät am Abend, als er sicher war, daß alle im Haus schliefen, schlich er in sein Arbeitszimmer. Er kam sich selbst lächerlich vor, aber auf keinen Fall wollte er, daß Pat ihm hörte.
Er kannte Marie-Luises Nummer längst auswendig, er drehte die Wählscheibe sogar im Schlaf.
Sie meldete sich sofort.
»Ich bin’s. Ist es sehr unhöflich, um diese nachtschlafende Zeit anzurufen?«
Ihre Stimme klang aufgeregt, als freute sie sich wirklich.
»Überhaupt nicht unverschämt. Ich freue mich. Ich komme erst in diesem Moment nach Hause. Hören Sie das Poltern? Ich habe meine Schuhe von mir geworfen. O diese Mode. Die hochhackige Gefühllosigkeit bringt mich noch um.« Dazu lachte sie ihr dunkles, glockenreiches Lachen. Es umspülte sein Herz und nahm allen Ärger fort.
»Wie war die Vorstellung?«
»Gut. Mein Partner hat allerdings zweimal gepatzt, aber das hat im Publikum zum Glück niemand gemerkt. Er hat mich damit ins Schleudern gebracht. Er sagte plötzlich einen Text, der gar nicht dahingehörte.«
Er schloß die Augen. Ihre Stimme klang in seinem Ohr, und es war, als säße sie neben ihm. Das Gefühl ihrer Nähe war so stark, daß er sogar den Duft ihres Parfüms zu riechen glaubte.
»Sind Sie noch da, Max?«
Er atmete tief. »Ja. Ich wollte, ich könnte Ihnen sagen, wie mir zumute ist. Ich glaube, ich habe Sehnsucht nach Ihrer Nähe.«
»Sie glauben das nur? Ich weiß es. Ich habe Sehnsucht nach Ihnen, nach den Kindern. Ich schäme mich auch nicht, es auszusprechen, wie Sie offensichtlich.«
»Ich habe eben Angst, mich lächerlich zu machen. Meine Schwester haben Sie ja heute kennengelernt, Marie-Luise.« Er sprach zögernd, suchte nach den richtigen Worten.
»Kennengelernt ist zuviel gesagt. Wir haben uns begrüßt, einige Artigkeiten getauscht, aber dann hatten die Zwillinge und ich anderes zu tun. Ich glaube, meine Anwesenheit paßte Ihrer Schwester nicht so recht.«
»Sie werden sich doch davon nicht abhalten lassen? Sie werden doch trotzdem kommen?«
»Aber natürlich. Warum sollte ich die Kinder und mich strafen?«
»Sie sprechen nur von den Kindern. Denken Sie denn hin und wieder auch an mich?«
»Was möchten Sie denn gern hören, Max?« Ihre Stimme gluckste vor Lachen. »Sie können doch von mir keine Liebeserklärung erwarten. Ich würde allerdings gern von Ihnen Worte höre, die in diese Richtung zielen.«
»Haben Sie Erbarmen mit mir, Marie-Luise. Ich bin total entwöhnt. Vergessen Sie nicht, ich bin kein schwärmerischer Jüngling mehr. Sie haben es mit einem schwer arbeitenden, geplagten Familienvater zu tun, der schon graue Haare bekommt und unter der Last der Jahre gebeugt geht.«
»Sie Armer. Sie armer Geliebter.«
»Sag’ es noch einmal. Bitte. Bitte, Marie-Luise.«
»Sie Armer.«
»Weiter…«
»Sie armer Geliebter. Ist die moderne Zeit nicht etwas Herrliches? Stellen Sie sich vor, ein Mädchen aus der Biedermeierzeit hätte einem Mann diese Worte gesagt, bevor er sich erklärte. Vermutlich wäre sie auf dem Scheiterhaufen gelandet, besonders wenn sie rote Haare hatte.«
»Deine Haare sind nicht rot. Sie sind von einem leuchtenden Kupferton, man muß an kostbare alte Goldmünzen dabei denken. Und deine Augen sind von einem geheimnisvollen Grünton. Wenn die Sonne einen Gebirgsbach trifft, bekommt das Wasser diese wundervolle Farbe.«
»Für einen Anfänger machst du diese Komplimente schon ganz hübsch. Üb nur weiter, Max, dann wirst du noch den Dichtern Konkurrenz machen.«
»Spottest du jetzt über mich?«
»O nein, du Dummer. Ich flüchte mich höchstens in diesen Ton, ich spiele sehr oft die Burschikose, die nicht gern lange ernst ist. Dabei bin ich eine romantische Närrin. – Wie war der Tag heute bei dir?«
»Interessant. Franziska ist mir nicht von der Seite gewichen. Sie ist wirklich tüchtig, aber mit ihrer Fürsorglichkeit raubt sie mir Nerven. Ich habe den Tag gut überstanden, weil ich hoffte, dich zu sehen. Aber der Vogel mit den goldenen Federn war schon ausgeflogen.«
Er wartete auf eine spitze Bemerkung über Pat. Aber sie kam nicht, und auch deswegen mochte er sie.