H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

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H. G. Wells – Gesammelte Werke - Herbert George Wells


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des Mit­tel­punk­tes der Stadt, be­vor sie sich auf die ge­gen­über­lie­gen­de Sei­te des We­ges durch­ge­kämpft hat­ten. Der Lärm, die Ver­wir­rung wa­ren un­be­schreib­lich. Aber in der Stadt und hin­ter ihr ver­zweig­te sich die Stra­ße zu wie­der­hol­ten Ma­len und lich­te­te so in ei­nem be­schränk­ten Maße den An­drang der Men­ge.

      Sie wand­ten sich nun öst­lich durch Had­ley und dort stie­ßen sie auf bei­den Sei­ten der Stra­ße, und auch spä­ter, auf eine be­trächt­li­che Men­ge von Leu­ten, die aus dem Fluss tran­ken; man­che muss­ten ge­ra­de­zu kämp­fen, um zum Was­ser zu ge­lan­gen. Et­was wei­ter be­merk­ten sie von ei­ner An­hö­he in der Nähe von Ost-Bar­net zwei Ei­sen­bahn­zü­ge, die lang­sam ei­ner hin­ter dem an­de­ren ohne Si­gnal, ohne Auf­sicht da­hin­fuh­ren. Die Züge wim­mel­ten von Leu­ten, selbst zwi­schen den Koh­len hin­ter der Ma­schi­ne kau­er­ten Men­schen, die aus der großen Nord­li­nie zu ent­kom­men trach­te­ten. Mein Bru­der ver­mu­te­te, dass die­se Züge sich erst au­ßer­halb Lon­d­ons mit Flücht­lin­gen ge­füllt ha­ben muss­ten, denn zu je­ner Zeit hat­te der wü­ten­de An­sturm der Leu­te die Benüt­zung der haupt­städ­ti­schen Bahn­hö­fe un­mög­lich ge­macht.

      In der Nähe von Had­ley mach­te die Ge­sell­schaft mei­nes Bru­ders für den Nach­mit­tag Halt; denn die Schre­cken des Ta­ges hat­ten alle drei fast völ­lig er­schöpft. Schon reg­ten sich in ih­nen die ers­ten An­zei­chen des Hun­gers, die Nacht war kalt, und kei­ner von ih­nen wag­te, zu schla­fen. Am Abend eil­ten vie­le Leu­te die Stra­ße ent­lang an ih­rem Rast­platz vor­bei, vor un­ge­kann­ten Ge­fah­ren flie­hend, die in Wahr­heit noch vor ih­nen la­gen. Denn sie eil­ten nach der Rich­tung, von der mein Bru­der ge­kom­men war.

      1 Zwei­räd­ri­ge, ein­spän­ni­ge Miet­wa­gen, de­ren Kutsch­bock hin­ter dem ei­gent­li­chen Wa­gen an­ge­bracht ist. Die üb­li­che eng­li­sche nach ih­rem Er­fin­der be­nann­te Miet­w­agen­ty­pe. <<<

      2 Die ge­wöhn­li­che eng­li­sche Gold­mün­ze im Wer­te von ei­nem Pfund Ster­ling = K 24 <<<

      Hät­ten die Mars­leu­te es nur auf blin­de Zer­stö­rung ab­ge­se­hen ge­habt, so hät­ten sie am Mon­tag die ge­sam­te Be­völ­ke­rung Lon­d­ons ver­nich­ten kön­nen, wie sie sich lang­sam über die nächs­ten Graf­schaf­ten hin aus­brei­te­te. Nicht nur längs der Stra­ße durch Bar­net, son­dern auch durch Edg­wa­re und Wal­tham Ab­bey, und die ost­wärts lau­fen­den Stra­ßen ent­lang nach Southend und Sho­ebu­ry­ness, und süd­lich von der Them­se nach Deal und Broad­stairs, er­goss sich der­sel­be to­ben­de Hau­fen. Wenn ei­ner an je­nem Ju­ni­mor­gen in ei­nem Bal­lon in dem strah­len­den Blau über Lon­don ge­schwebt wäre, dann hät­te er jede Stra­ße, die aus dem un­end­li­chen Stra­ßen­knäu­el nach Nor­den oder Os­ten führ­te, von den da­hin­strö­men­den Flücht­lin­gen schwarz über­sät er­blickt, je­der Punkt eine mensch­li­che Ago­nie von Schre­cken und kör­per­li­chem Elend. Ich habe im vo­ri­gen Ab­schnitt die Be­schrei­bung, die mein Bru­der von der Stra­ße durch Chip­ping-Bar­net mach­te, aus­führ­lich wie­der­ge­ge­ben, um mei­nen Le­sern eine Vor­stel­lung da­von zu er­mög­li­chen, wie je­nes Ge­wim­mel schwar­zer Punk­te ei­nem un­mit­tel­bar dar­an Be­tei­lig­ten er­schi­en. Nie noch in der Ge­schich­te der Welt hat­te sich eine sol­che Mas­se mensch­li­cher We­sen in Be­we­gung ge­setzt, nie noch so ge­mein­sam die­sel­ben Lei­den er­tra­gen. Die sa­gen­haf­ten Scha­ren von Go­ten und Hun­nen, die rie­sigs­ten Hee­re, die Asi­en je er­blickt hat­te, was wä­ren sie an­de­res ge­we­sen, als Wel­len die­ses Stro­mes. Und das war kein durch Man­nes­zucht ge­lei­te­ter Marsch; es war ein zucht­lo­ses Vor­wärts­drän­gen, rie­sen­haft und schre­ckens­voll, ohne Ord­nung, ohne Ziel, sechs Mil­lio­nen Men­schen, die un­be­waff­net und ohne Le­bens­mit­tel, blind­lings wei­ter­trie­ben. Es war der An­fang ei­ner Aus­rot­tung der Ge­sit­tung, ein Nie­der­met­zeln des Men­schen­ge­schlech­tes.

      Gera­de un­ter sich hät­te der Luft­schif­fer ein weit­hin ge­spon­ne­nes Netz­werk von Stra­ßen ge­se­hen, von Häu­sern, Kir­chen, Plät­zen, Gas­sen, Gär­ten, die, schon ver­ödet, sich aus­dehn­ten, wie eine un­ge­heu­re Land­kar­te, die im Sü­den ver­wischt und zer­stört war. Es sah aus, als ob eine Rie­sen­fe­der über Ea­ling, Rich­mond und Wim­ble­don Tin­te über die Kar­te ge­spritzt hät­te. Ste­tig und un­auf­halt­sam wuchs je­der die­ser Fle­cken; er brei­te­te sich aus, sand­te Ab­zwei­gun­gen hier­hin und dort­hin, stau­te sich ge­gen Er­he­bun­gen des Bo­dens, er­goss sich dann wie­der über ab­schüs­si­ges Erd­reich in neu­ent­deck­te Tä­ler, ge­nau so, wie ein Strom von Tin­te sich über Lösch­pa­pier ver­teilt.

      Und drü­ben, bei den blau­en Hü­geln, die sich üb­lich vom Fluss er­he­ben, eil­ten die glit­zern­den Mars­leu­te hin und her, und ver­sen­de­ten be­däch­tig und glanz­voll ein­mal über die­sen, dann über je­nen Land­strich ihre Gift­wol­ken, die sie, so­bald sie ih­ren Zweck er­füllt hat­ten, wie­der mit ih­ren Dampf­strah­len er­stick­ten. So er­grif­fen sie Be­sitz von dem be­sieg­ten Land. Ihr Vor­ha­ben schi­en nicht so sehr auf Aus­rot­tung ab­zu­zie­len, wie auf völ­li­ge Un­ter­jo­chung und Nie­der­wer­fen je­des Wi­der­stan­des. Sie spreng­ten jede Pul­ver­an­samm­lung, auf die sie stie­ßen, in die Luft, schnit­ten jede Te­le­gra­fen­li­nie ab und zer­stör­ten, wo sie konn­ten, jede Ei­sen­bahn. Sie schnit­ten die Seh­nen der Mensch­heit durch. Sie schie­nen kei­ne be­son­de­re Eile zu ha­ben, ihr Ar­beits­feld aus­zu­deh­nen, und ge­lang­ten an die­sem Tag nicht über den Mit­tel­punkt von Lon­don hin­aus. Es ist sehr mög­lich, dass eine be­trächt­li­che An­zahl Leu­te in Lon­don am Mon­tag­mor­gen in ih­ren Häu­sern blieb. Dass vie­le, vom schwar­zen Rauch er­stickt, zu Hau­se star­ben, ist ge­wiss.

      Um die Mit­tags­stun­de stell­te die Werft von Lon­don ein er­staun­li­ches Schau­spiel dar. Dampf­boo­te und Schif­fe al­ler Art, de­ren Ei­gen­tü­mer von den un­ge­heu­ren Geld­sum­men, wel­che die Flücht­lin­ge an­bo­ten, ver­sucht wur­den, la­gen in Be­reit­schaft; vie­le Men­schen, wel­che an die­se Fahr­zeu­ge her­an­schwam­men, sol­len mit Boots­ha­ken zu­rück­ge­sto­ßen und er­tränkt wor­den sein. Um ein Uhr nach­mit­tags etwa wur­de ein dün­nes Über­bleib­sel ei­ner Wol­ke des schwar­zen Qual­mes zwi­schen den Bö­gen der Black­fri­ars Bridge ge­se­hen. Und nun wur­de die Werft der Schau­platz ei­ner wahn­sin­ni­gen Ver­wir­rung, hei­ßer Kämp­fe und Zu­sam­men­stö­ße; eine Zeit lang war eine Men­ge von Boo­ten und Bar­ken im nörd­li­chen Bo­gen der To­wer­brücke ein­ge­klemmt; See­leu­te und Lösch­ar­bei­ter muss­ten wie Wil­de ge­gen die Men­ge an­kämp­fen, die in hel­len Hau­fen vom Ufer her an­dräng­te. Die Leu­te klet­ter­ten tat­säch­lich die Brücken­pfei­ler hin­ab.

      Über den Nie­der­gang des fünf­ten Zy­lin­ders wer­de ich spä­ter be­rich­ten. Der Sechs­te ging bei Wim­ble­don nie­der. Mein Bru­der hielt ne­ben den im Wa­gen schla­fen­den Frau­en auf ei­ner Wie­se Wa­che und sah sei­nen grü­nen Blitz weit drü­ben jen­seits


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