Mein Herz ist aus Stein. Michaela Lindinger
Читать онлайн книгу.seinem Rufe hier;
Die wilde Taube girret im Gezweige,
Und goldig geht ein Maientag zur Neige.
Im Mondlicht ruht Titania gern, dem blassen,
Ihr Lieblingsreh schaut dann zu ihr empor,
Wie ihre Arme zärtlich es umfassen;
Den wilden Eber krault sie hinterm Ohr;
Doch nie und nimmer werden zugelassen,
Die draussen an des Zauberwaldes Thor,
Um Einlass fleh’n mit Schreien und mit Scharren,
Die alten Esel und die jungen Narren.
Sie war fast 50 Jahre alt, als ihr die Hermesvilla zum Geschenk gemacht wurde. Ein Buch mit sieben Siegeln blieb Elisabeth für ihren Ehemann, er ahnte nichts von ihren Dichtungen, er verstand sie einfach nicht. Die beiden lebten in grundverschiedenen geistigen Welten.
Eine Frau um die fünfzig im 19. Jahrhundert
Frauen hatten bis ins 18. Jahrhundert wegen ihrer geschlechtsspezifischen Gefährdungen durch Schwangerschaften, Geburten und Kindbett, Unterleibserkrankungen und wegen der schlechteren Ernährung im Vergleich zu den Männern eine deutlich geringere Lebenserwartung als diese. Königinnen und Kaiserinnen bildeten keine Ausnahmen, gerade ihre Aufgabe war es ja, Nachkommen am laufenden Band zu produzieren. Franz Josephs Vorvorgänger Kaiser Franz zum Beispiel war viermal vor den Traualtar getreten, zwei Frauen starben im Kindbett, eine von ihnen hatte in 17 Ehejahren zwölf Kinder geboren. Noch um 1880 betrug die Lebenserwartung von Frauen durchschnittlich nur etwa 40 Jahre.
In diesem Alter hatte eine veritable Midlife-Crisis Elisabeth erfasst. Sie war ruhelos und suchte nach einer sie ausfüllenden Beschäftigung, einem »Sinn«. Sollte sie in der Hermesvilla herumhocken und Däumchen drehen? Mit 50 war ihre Schönheit im Schwinden, Sport war Mord, Krankheiten quälten sie als Folge ihres ungesunden Lebensstils. Die fünffache Großmutter – ihre Tochter Gisela hatte vier Kinder zur Welt gebracht, Sohn Rudolf war Vater einer Tochter – hatte schon zehn Jahre zuvor für sich festgestellt: »Ein Mensch von vierzig Jahren löst sich auf, verfärbt sich, verdunkelt sich wie eine Wolke.« Ende der 1880er-Jahre hatte sie ihre Entscheidung getroffen:
Es gibt nichts »Grauslicheres«, als so nach und nach zur Mumie zu werden und nicht Abschied nehmen zu wollen vom Jungsein. Wenn man dann als geschminkte Larve herumlaufen muß – Pfui! Vielleicht werde ich später immer verschleiert gehen, und nicht einmal meine nächste Umgebung soll mein Gesicht mehr erblicken.
Dass Elisabeth nicht alt werden wollte, hatte nur marginal mit Eitelkeit zu tun. Sie konnte sehr wohl »Abschied nehmen vom Jungsein«. Vielmehr fürchtete sie sich vor einem ereignislosen Leben, vor Langeweile, davor, dass ihr ein großes Erlebnis, auf das sie ihr ganzes Leben lang gewartet hatte, versagt geblieben sein könnte. Dieses für die Epoche typische Lebensgefühl fasste der vor allem von Frauen viel gelesene, damals sehr »moderne« französische Romancier Paul Bourget wie folgt zusammen: »Der Becher, den uns das Leben hinhält, hat einen Sprung. So empfinden wir im Besitz den Verlust; im Erleben das stete Versäumen.«
Es waren jene wenigen Jahre vor 1889, in denen sie ihre letzten »lichten«, also hellen, Kleider trug. Bald sollte sie vor ihren Kleiderschränken stehen und ihre Garderobe durchmustern. Alles Farbige wurde aussortiert und verschenkt, Hüte, Tücher, Kleider, Schirme, Handschuhe …
7 »Johanneshaupt« (um 1890) aus Elisabeths Besitz, Ausstattungsstück der Hermesvilla
Im Entrée in der Hermesvilla fallen die düsteren Deckengemälde und Ausstattungsgegenstände auf, die ihr Leben bald ausschließlich bestimmen sollten. Der Wiener Publizist Gunther Martin sprach davon, dass Elisabeth in dieser Zeit wie eine Figur »aus den Bildern Gustave Moreaus schimmerte«. Moreau brillierte in den 1870er- und 1880er-Jahren als Maler antiker Mythen, die er als unergründliche Traumzustände zeigte, voller Schauer und Schrecken, Ahnungen, Empfindungen und Erregungen. Zu seinen Lieblingsmotiven gehörten geheimnisvolle Sphingen oder Frauen wie die biblische Heroine Salome, die den abgetrennten Kopf des Johannes auf einer Schüssel präsentiert oder dessen blutiges Haupt als nächtliche Erscheinung vor sich sieht. Auch Elisabeth besaß eine solche Schüssel mit einem toten Johanneskopf.
Dazu »Meister« Heine in seinem Versepos »Atta Troll. Ein Sommernachtstraum«:
In den Händen trägt sie immer
Jene Schüssel mit dem Haupte
Des Johannes, und sie küßt es;
Ja, sie küßt das Haupt mit Inbrunst.
(…)
Wird ein Weib das Haupt begehren
Eines Manns, den sie nicht liebt?
Als »liebesbleich und silberkühl« charakterisierte sich die alternde Elisabeth 1888, entsprechend dem in der zeitgenössischen Kunst vorherrschenden Frauenbild der »Femme fatale«. Ein Erkennungszeichen dieses Frauentyps sind die langen lockigen offenen Haare, denen die Kaiserin auch jenseits ihrer Gedichte, in der »Gegenwelt« der Realität, ein umständliches und langwieriges Ritual widmete. Der »männermordende Vamp« à la Salome war omnipräsent in der (Gebrauchs-)Kunst und verkaufte sich gut in der Zeit kurz vor 1900. Es gab verschiedene Varianten und Facetten, die rätsel-haft-grausame Sphinx, die extravagante Diva oder ganz grundsätzlich die Personifikation fataler Weiblichkeit, wie sie der Münchner Paradekünstler Franz von Stuck in seinem Bild »Die Sünde« publikumswirksam vorführte. Elisabeth machte sich in einem Gedicht als »Frau Ritter Blaubart« über ihre Verehrer lustig, sie erscheint als männermordende Zauberin. Diese Selbststilisierung zur kalten Schönheit bot ihr einen Schutz vor männlichen Machtansprüchen. Gleichzeitig bemühte die belesene Verfasserin byronsches Gedankengut, wenn sie aus der Mitte jener Eiswüsten zu sprechen schien, die der englische Dichter in den Herzen der Herrschenden wachsen sah:
Aus meiner hohen Eisregion
Ruf’ ich zu dir hernieder:
Dein Minnen ist umsonst mein Sohn
Erstarrtes grünt nie wieder.
Besitzest Du den kecken Mut,
Mich jemals zu erreichen?
Doch tödtet meine kalte Glut,
Ich tanze gern auf Leichen.
Seltsame Tanzvergnügen, beleuchtet von lichterloh brennenden Mumien, gab es auch im verwilderten Reich Kor, einem Abenteuerland à la Indiana Jones. Erfunden wurde es vom englischen Autor Henry Rider Haggard, der seine koloniale Vergangenheit in Südafrika und seine heftigen okkulten Neigungen in ein Buch einfließen ließ, das jeden Karl May in den Schatten stellt: ein durchlöcherter Berg voller Gräber, ein morbider Bienenkorb, in dem sich unversehens Schächte auftun, auf deren Grund uralte Knochen-pyramiden lagern, die gern auch mal ins Rutschen kommen. Eine ausschließlich dem Dienst an den Toten geweihte Kultur, mit seitenlangen Schilderungen von Kannibalismus, Folterungen und Totenbräuchen. Dieses Reich aus Stein und Moder beherrschte jene Frau, in der Elisabeth sich wiedererkannte. SHE-who-must-be-obeyed (Sie, der man gehorchen muss), war, so die Überlieferung, in Wirklichkeit eine bösartige Puppe, die in einem alten Schrank lebte und die von Haggards Nanny erfunden worden war, um den Buben zu erschrecken. Der erwachsene Haggard beschrieb in seinem 1887 veröffentlichten Bestseller »SHE« eine 3000 Jahre alte Königin, die sich auf geheimnisvolle Weise immer wieder verjüngte und sich so den Körper einer 30-Jährigen erhalten konnte. In der ostafrikanischen Einsamkeit wartet SHE, die hochgebildete, untote Philosophin, auf einen Wiedergänger. Über die Jahrhunderte hinweg hat sie keinen anderen Mann angesehen als den mumifizierten Leichnam ihres Geliebten, um für eine künftige Inkarnation des Toten bereit zu sein. Dem Schicksal Einzelner gegenüber zeigt sie sich kühl und gleichgültig. Ihre gezüchteten Domestiken sind taubstumm, misslungene Züchtungen