Toni der Hüttenwirt Paket 3 – Heimatroman. Friederike von Buchner
Читать онлайн книгу.Roland in Waldkogel war und sich als Nicoles Liebster ausgab, das verzieh ihr Nicole. Sie hat es nicht böse gemeint. Immerhin habe ich auf diese Weise erfahren, dass meiner Mutter Sabine auf dem Foto aufgefallen ist und ihr Bine gefällt.
Das war Nicole ein großer Trost. Vielleicht werden Mutter und Vater ihre Enkelin doch noch in ihr Herz schließen, eines fernen Tags, überlegte Nicole. Sie sehnte sich so danach, endlich das Versteckspiel aufzugeben. Nicole dachte sich verschiedene Möglichkeiten aus, wie sie mit ihren Eltern darüber reden könnte. Sie wusste, Klarheit würde in mehreren Schritten geschaffen werden müssen. Bevor ich daran gehe, mit meinen Eltern über meinen Sündenfall zu sprechen, muss ich mit Sabine reden, dachte Nicole. Sie überlegte sich die Worte, die sie zu ihr sagen wollte. Ich werde von der Liebe reden. In zehn Jahren ist Sabine eine junge Frau. Die Zeit vergeht schneller, als man denkt. Ja, Tamara hat Recht, ich muss etwas unternehmen.
Nicole ließ noch weiteres warmes Wasser einlaufen und überlegte. Sie wusste nicht genau, wie sie es anstellen sollte. Aber sie entschloss sich dazu. Das ist ein erster Schritt, dachte sie. Ich werde mit Jule reden. Sie kann mir vielleicht einen Rat geben. Nicole musste schmunzeln. Es darf aber kein Rat sein, der eine solche Überraschung auslöst wie ein Erdbeben mit der Stärke Zehn auf der Richterskala. Ich muss nicht jetzt, nicht heute Nacht und auch nicht gleich morgen entscheiden, wie ich vorgehe. Wichtig ist nur, dass ich es tue.
Nicole war etwas zufriedener mit sich und ihrem Schicksal. Und sie gestand sich ein, dass Roland einen wichtigen Beitrag dazu geleistet hatte, auch wenn er etwas gewaltsam vorgegangen war.
Sie stieg aus der Wanne, trocknete sich ab, zog Shorts und ein T-Shirt an und legte sich ins Bett. Sie kuschelte sich in die Kissen. Vor dem Einschlafen musste sie immer noch an Rolands flüchtigen Kuss denken. Es breitete sich dabei ein schönes Gefühl in ihrem Herzen aus, ein Gefühl, das sie jahrelang verdrängt hatte. Sie erinnerte sich nicht einmal mehr daran, wie es damals bei Sabines Vater gewesen war. War es auch so? War es anders? Wahrscheinlich war es anders, höchstens ähnlich. Es war Guido, nicht Roland. Es muss anders gewesen sein, dachte Nicole.
Und mit einem stillen Lächeln stellte sie sich vor, wie es gewesen wäre, wenn sie ihn einfach zurückgeküsst hätte. Träumen darf ich davon, dachte sie. Träume gehören nur mir, niemand kennt sie, außer mir. Nicole spürte zum ersten Mal seit langer Zeit wieder die Sehnsucht nach inniger Zweisamkeit in ihrem Herzen. Es wäre schön, nicht mehr alleine zu sein. Sie sehnte sich nach einer vertrauten, einer zuverlässigen Schulter, der eines starken, eines liebenden Mannes. Doch sich ganz auf Roland einzulassen, dagegen wehrte sich Nicole noch. Sie war zu ärgerlich über den unerwarteten Überfall. Er hätte auch zu mir ins Büro kommen und es mit mir bereden können, sagte sie sich. Im gleichen Augenblick war ihr klar, dass es dann nie so weit gekommen wäre.
Ihre Gedanken kreisten immer wieder um Roland. Mit diesen Gedanken und uneingestandenen Sehnsüchten im Herzen glitt sie hinüber in das Land der Träume.
*
Das Geräusch eines zaghaften und doch dauerhaften Klopfens holte Nicole am nächsten Morgen in die Wirklichkeit zurück. Sie brauchte einen Moment, bis sie ganz wach war. Mit einem Ruck setzte sie sich im Bett auf.
»Oh, Himmel! Das war kein Traum!«, sagte sie laut.
Das beständige Klopfen hörte auf.
»Nicole, bist du wach? Habe ich dich eben gehört?«
Roland! Ihr Herz klopfte. Sie riss sich zusammen und antwortete:
»Ja, ich bin wach!«
»Guten Morgen! Geht es dir gut?«
»Ja, es geht mir gut! Danke, dass Sie mich geweckt haben. Es ist schon spät.«
»Ich habe Frühstück für zwei bringen lassen.« Und vorsichtig fügte Roland hinzu. »Machen wir ein Arbeitsfrühstück und bereden unsere gemeinsame Vorgehensweise. Bist du damit einverstanden?«
»Klingt vernünftig! Geben Sie mir einen Augenblick, Herr Doktor Forster. Ich bin gleich fertig!«
»Ich bin auch noch nicht für das Fest angezogen. Mein Anzug wird noch aufgebügelt. Ich bin im Bademantel, nur damit du gewarnt bist.«
»Danke, für die Warnung!«
»Gern geschehen! Es ist also kein Bruch der Etikette, wenn du dich ebenfalls im Bademantel an den Tisch setzt. Ich warte, der Kaffee wird kalt.«
»Gibt es hier im Hotel keine Warmhaltekanne?«
»Er wird trotzdem kalt!«
Nicole seufzte leise.
»Gut, einen Augenblick!«
»Schön, ich schenke dann schon den Kaffee ein!«
»Nein, tun Sie das nicht. Das möchte ich nicht!«
»Das gehört vielleicht zu deinen Aufgaben im Vorzimmer bei meinem Vater. Aber du hast gestern gekündigt, erinnerst du dich?«
Roland lauschte an der Tür. Er hörte nichts mehr. Er trat zurück, rieb sich die Hände.
»Gutes Zeichen«, sagte er leise zu sich selbst.
Er stellte sich neben den Frühstückstisch und wartete.
Es dauerte nicht lange, dann drehte sich der Schlüssel im Schloss, und Nicole kam heraus. Sie trug eine enge schwarze Hose und eine weiße Bluse.
»Guten Morgen, Herr Doktor Forster!«
Er schob ihr den Stuhl hin.
»Guten Morgen, Nicole! Du siehst großartig aus!«
Nicole setzte sich. Roland nahm gegenüber Platz. Er war wirklich im Bademantel. Sie warf ihm scheue Blicke zu. Ihr Herz klopfte. Sie ermahnte sich zur Disziplin.
Nicole räusperte sich nach einer Weile.
»Herr Doktor Forster! Ich möchte mich bei Ihnen in aller Form entschuldigen für meine überzogene Reaktion gestern Abend. Ich war von der unerwarteten Situation sehr überrascht, um nicht zu sagen überrumpelt. Ich kam in Panik. Und in dieser Lage habe ich Ihnen Wörter an den Kopf geworfen und Ihnen Vorhaltungen gemacht, die ich heute bedauere. Ich möchte Sie bitten, meine Kündigung …, also ich möchte gerne weiterhin in Ihrem Verlag tätig sein.«
Roland kostete es viel Kraft, sich zu beherrschen. Sie sieht so rührend aus, wenn sie zerknirscht ist, dachte er. Er stand auf und schenkte ihr und sich Kaffee ein. Dann setzte er sich langsam wieder hin. In Zeitlupe bestrich er ein Brötchen mit Butter.
»Ich könnte den Ausrutscher vergessen. Aber ich stelle eine Bedingung!«
»Die ist?«
Er sah ihr über den Tisch tief in die Augen. Nicole konnte seinem Blick kaum Stand halten.
»Bedingung ist, dass du endlich aufhörst, mich Doktor Forster zu nennen. Ich bin Roland für dich!«
Nicole schluckte.
»Gut, einverstanden – aber nur wenn wir allein sind. Sie wissen …«
»Falsch! Grober Fehler! Du
weißt …, muss es heißen.«
Nicole seufzte hörbar.
»Gut, dann … Also, du weißt, dass im Verlag gern geredet wird. Ich möchte nicht, dass diese kleine Intimität, dass wir uns duzen, Anlass zu Gerüchten gibt.«
Er sah, wie sich Nicoles Wangen färbten.
»Darüber werde ich noch einmal nachdenken. Beschränken wir diese Intimität der Anrede, wie du es nennst, auf die Zeit des gemeinsamen Aufenthaltes hier in Waldkogel. Einverstanden?«
»Auf den Aufenthalt in der Gegenwart meiner Eltern, Verwandten und so weiter …«
Roland schüttelte den Kopf.
»Danach wird neu verhandelt. Aber bis dorthin bleibt es ausschließlich beim Du. Es könnte uns jemand hören, und das wäre gefährlich.«
»Gut, einverstanden! Ich