Griechische Kulturgeschichte, Band 3. Jacob Burckhardt

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Griechische Kulturgeschichte, Band 3 - Jacob Burckhardt


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Wille, der sich für seine Schöpfungen unvergänglicher Stoffe bedient, ohne doch die Existenz einer ganzen dädalischen Kunst in Holz auszuschließen. Und neben diesem allem macht sich als besonderer Trieb die Schmuckliebe geltend, welche sich schon bei Wilden so stark regt und so zierliche, auch im Stoff sehr ausgesuchte Bildungen hervorbringt, bei einiger Kultur dann aber die Macht und den Reichtum sehr ernstlich in ihren Dienst nimmt.

      Von dieser ältesten Kunstübung legen nun für uns hauptsächlich die Funde Schliemanns Zeugnis ab. Bei ihnen imponiert vor allem die Masse von Gold. Wir erinnern nur an jenen Becher von Ilion in Gestalt eines eingekappten Nachens, aus dem jedenfalls von beiden Seiten getrunken wurde, Schliemanns depas ampikypellon, und andere ilische Gefäße, und an das überaus viele flachgeschlagene Goldblech, welches sukzessive den in der ältesten Fundschicht von Mykenä, auf der Akropolis bestatteten Toten als Schmuck (Totenapparat) mitgegeben wurde. Wir lassen es auf sich beruhen, wieweit für einzelne Formen der Teppich oder der Holzstil das Prius ist, und ebenso, welche Formen aus "Prägetechnik" abzuleiten sind; das Vorbild der Spiralornamente findet Milchhöfer mit Recht in gerolltem und aufgelötetem Draht2. Für uns ist das Wesentliche, daß der Stil, womit die ersten Bildungen von Tieren (niederen Seetieren usw.) und Menschen gegeben sind, schon ein ganz sicherer ist. Jene lebensgroßen, aus Goldblech getriebenen Masken mit den oft unangenehmen, aber ganz realistisch gegebenen Zügen sind im höchsten Grade bedeutend als die erste individuelle Darstellung des griechischen Menschen. Schon entwickelter aber sind der rennende Greif3 und die Sphinx, und ganz meisterhaft die massiven Goldsachen4: die sog. "Schieber" mit ihren vorzüglichen Kompositionen von Kämpfen und Jagden, die "Ringe" mit ähnlichen Darstellungen und zumal jene große Gemme mit göttlichen Frauengestalten, wofür Milchhöfer die Parallelen in der indischen Kunst nachweist5. Diese Gemmen6 setzten eine höchst entwickelte, schwierige und aufopferungsvolle Technik voraus; denn es wurden dazu nicht nur die weichen Steine (Steatit, Hämatit), sondern in den späteren Exemplaren auch Sarder, Achat, Jaspis, Chalcedon und Bergkristall verwandt.

      Neben diesen Schätzen aus Gräbern, welche älter als die mykenischen Schatzhäuser und als das Löwentor sein müssen und auf einen ganz großen künstlerischen Betrieb in allerfrühester Zeit hinweisen, interessieren uns vor allem die an den Brandopferstätten zu Olympia in tiefster schwarzer Erdschicht massenhaft gefundenen Bronze- (auch Terrakotta-) Figürchen von Menschen und Tieren, besonders Pferden. Sie mögen uns als die frühesten nachweisbaren Anatheme der griechischen Kunst begrüßt sein; von ihnen geht eine Reihe weiter bis zu den wundervollen Gruppen des V. und IV. Jahrhunderts. Wenn man dies erwägt, so bekommt man vor einer solchen Übung alle Achtung; einmal hat die Kunst anfangen müssen.

      Nehmen wir zu diesem allen nun noch, was von frühesten Architekturen erhalten ist: die Kyklopenmauern, die Thesauren, das Löwentor7, wobei uns der Anfang architektonischer Gliederung auf griechischem Boden entgegentritt, so gewinnen wir einen Einblick in eine mächtige, der dorischen Wanderung vorangegangene Kunsttätigkeit. Aber zugleich sehen wir uns auch vor eine große Lücke gestellt, welche diese Kunst von der späteren trennt und bis zum VII. Jahrhundert reicht, und möchten dringend wissen, wie dieselbe auszufüllen ist.

      Eine Spur, woraus das Weiterleben der mykenischen Kunst zu erschließen ist, bietet das Epos bei Homer und Hesiod8 mit der Schilderung der beiden Schilde. Man sieht hier in eine ganze Welt von Darstellungen hinein, und diese sind nicht als Reliefs zu denken, sondern als eingelegte Plattierarbeit aus Metallen verschiedener Farben. Man hat sich z.B. auf dem Schild des Achilles dunkle Trauben, Weinpfähle aus Silber, eine Umzäunung von Zinn, Rinder, abwechselnd von Gold und von Zinn, ein dunkelndes Brachfeld vorzustellen; das alles hat seine Analoga in Mykenä gefunden; besonders in den bronzenen Dolchklingen, worauf in kleinen, höchst delikaten Figuren Jagdszenen in Gold eingelegt sind. Aber daß Kunstwerke aus Metall sich nicht erhalten haben, wo nicht, wie in Ilion und Mykenä, eine besondere Gunst des Zufalls waltete, ist natürlich, und dasselbe gilt, wie Milchhöfer9 richtig bemerkt, von der Holzskulptur, deren Repräsentanten für uns Dädalos und die Dädaliden sind, und von der dem späteren Altertum die Kypseloslade und ähnliche Werke erhalten waren. Die Steinskulptur aber, die freilich schon in Mykenä vorkommt, erhob sich langsam und spät, und so ist man denn, da schließlich nur gebrannte Erde solche Lücken überdauert, für diese ganze Zeit auf die Terrakotten- und Vasenfunde angewiesen, die darum mit Recht der Gegenstand eifrigster Forschung sind.

      Für uns aber handelt es sich nun zunächst darum, diejenigen Fördernisse positiver und negativer Art festzustellen, welche die Kunst zu einer so erstaunlichen Blüte gebracht haben, und hier ist nun vor allem der Freiheit dieser Kunst zu gedenken. Freilich blieb dieselbe, nachdem die Poesie die Gestalt der Götter längst mit der höchsten Idealität und Lebendigkeit10 bekleidet hatte, in den Götterbildern noch lange den alten überlieferten Typen treu, und man darf wohl sagen, daß die Anschauung lange schön war, bevor das Bild der Gottheit schön wurde11; dieses wird vielmehr noch Jahrhunderte über Homer hinaus das alte Holzbild (Xoanon)12 geblieben sein. Aber die Kunst war hierzu nicht gezwungen. Während sie bei den Barbaren des Orients, von mächtigen Priesterkasten und dumpfem Volksgeist bedrängt, in wüster Symbolik das Göttliche oder das Religiöse ausdrücken muß, weil es überhaupt um jeden Preis greifbar ausgedrückt werden soll, und also vor Mischung mit Tierformen, wobei der Kopf des Gottes tierisch bleibt (Ägypten), vor Vervielfachung der Glieder (Indien), vor ritualer Umhüllung und Gebärde (Assur) nicht zurückscheuen darf, und dies alles zu einer Zeit, da durch die sonstige Kulturhöhe das Monumentale als solches schon in hohem Grade ausgebildet ist, und während so die größten Mißgeburten gerade im solidesten Stoff und mit relativ hoher Vollendung ins Dasein treten können, gibt es bei den Griechen keinen Priesterstand, d.h. keine dauernde Macht, welche vorzeitig und tyrannisch irgendeine bildliche Auffassung des Göttlichen erzwungen und in dieser Gestalt festgehalten hätte. Und dies ist kein bloßer negativer Glücksfall, sondern die Griechen konnten keinen solchen Klerus haben, wohl aber haben sie eine Polis, welche den Künstler streng bei Verherrlichung des Allgemeingültigen festhält, so daß der Stil ein einheitlicher bleibt, ohne einförmig zu sein.

      Es ist um so merkwürdiger, dieser Sache nachzugehen, weil die Griechen das Monströse ursprünglich auch besessen haben. Die homerischen Beinamen der Hera als der Kuhäugigen (boopis) und der Athene als der Eulenäugigen (glaykopis) weisen auf eine uralte Zeit, da die griechischen Götter, wie die ägyptischen, Tierköpfe hatten, und die dämonischen Wesen auf den sog. Inselsteinen zeigen noch die greulichsten Mischformen13; auch der Mythus enthielt Wüstes, wovon die Geburten der Pallas und des Dionysos Reste sind. Aber dieses alles wurde nach Möglichkeit zurückgedrängt. Schon Homer deutete wohl den Beinamen der Athene wie die Späteren14, die von einer blau schimmernden Farbe der Augen (glaykon ton ommaton) sprachen, und die schrecklichen Mischwesen müssen allmählich aus der Volksanschauung geschwunden sein bis auf wenige, wie die Figuren des Perseusmythus, welche man an den Rändern der Welt weiterlebend glaubte. Der Mythus selbst schaffte sie hie und da weg; so haben sich die Harpyien, Dämonen der scheußlichsten Art, bis zur Zeit der Argonauten behauptet; nun aber ist es hohe Zeit, daß die Boreaden mit ihnen aufräumen. Das Verdienst der Aöden wird es sein, daß das Bild der Götter und dämonischen Wesen, wie wir sie aus Homer kennen, schon völlig unverträglich mit den Fratzen jener Inselsteine ist und nicht gleichzeitig mit denselben in den Gedanken der Griechen existiert haben kann. So ist denn die einzige stehengebliebene Gottheit von gemischter Gestalt Pan, an dem noch im XIX. homerischen Hymnus sein Vater Hermes und die andern Götter ihre Seelenfreude haben müssen. Vielleicht war sein Phantasiebild bei starken Hirtenbevölkerungen dergestalt eingewurzelt, daß die große Operation, welche mit den gemischten Typen vorging, ihn nicht mehr zu berühren wagte. Was sonst noch gemischte Gestalt behielt, war wenigstens keine Gottheit mehr, sondern sank zur dämonischen Fabelfigur.

      Die Ablösung vom Strengsymbolischen und Monströsen hatte nun aber auch die bildende Kunst zu vollziehen, und sie vollzog sie, so weit auch der Weg war, den z.B. die Gestalt des Eros vom rohen Stein (argos litos)15, dem ältesten Bild des Gottes zu Thespiä, bis zu dem Wunderwerke des Praxiteles zurückzulegen hatte. Solche rohe Steine können in den Heiligtümern lange die Gottheit


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