Die Eroberung von Plassans. Emile Zola
Читать онлайн книгу.eine weiße Steinbank im Winkel hätte halten können. Die Kommode auf der anderen Seite, ein kleiner Tisch in der Mitte, zwei Stühle, vor jedem Fenster einer: das war die ganze Einrichtung. Nirgends lag oder hing etwas; weder auf dem Tische, noch auf der Kommode, noch an der Wand. Kein Papier, kein Kleidungsstück, kein sonstiger Gegenstand war zu sehen. Nur über der Kommode hing ein großer Christus aus schwarzem Holze, die einzige Abwechslung in der düsteren Öde dieses Zimmers.
Hier, mein Herr, sagte der Abbé, ist der Fleck an der Decke.
Aber Mouret ließ sich Zeit; er genoß. Obwohl er nichts Außerordentliches sah, wie er gehofft hatte, so hatte das Zimmer doch für ihn viel Anziehendes, einen eigentümlichen Geruch. Es riecht da nach Priester, dachte er; es riecht nach einem Menschen, der ganz anders ist wie die übrigen, der das Licht auslöscht, wenn er das Hemd wechselt und der weder Strümpfe noch Rasierzeug herumliegen läßt. Es ärgerte ihn, daß er weder auf den Möbeln noch in den Ecken etwas herumliegen sah, was ihn auf weitere Vermutungen hätte führen können. Das Zimmer war ganz so wie dieser seltsame Mensch: stumm, kalt, höflich, undurchdringlich. Die größte Überraschung empfand er darüber, daß er nirgends eine Spur von Dürftigkeit sah; er hatte im Gegenteil einen Eindruck, wie ehemals, als er den sehr reich möblierten Salon eines Präfekten in Marseille betrat. Der große Christus dort an der Wand schien diesen Raum mit seinen schwarzen Armen ganz auszufüllen.
Mouret mußte aber dem Abbé in jene Ecke folgen, wo sich der nasse Fleck an der Decke gezeigt hatte.
Sehen Sie da oben den Fleck? sagte dieser. Er ist freilich seit gestern etwas kleiner geworden.
Mouret stellte sich auf die Fußspitzen, zwinkerte mit den Augen, konnte aber nichts sehen. Da zog der Priester die Vorhänge auf, so daß er wirklich einen gelben Fleck sah.
Es ist nicht so arg, sagte er leise.
Freilich nicht; aber ich hielt es doch für notwendig, Sie darauf aufmerksam zu machen ... Es muß am Rande des Daches hereingeregnet haben.
Ja, Sie haben recht, am Rande des Daches.
Mouret schwieg und ließ seine Blicke in dem durch das Tageslicht erhellten Zimmer herumschweifen. Es nahm sich jetzt weniger feierlich aus, aber es lag in voller Ruhe da; nicht ein Staubkörnchen verriet etwas aus dem Leben des Abbé.
Wir könnten es vielleicht durch das Fenster sehen, sagte der Abbé, indem er dieses öffnete.
Aber Mouret erklärte, daß er ihn nicht länger stören wolle; es sei eine Kleinigkeit, und die Arbeiter würden das Loch schon finden.
Sie stören mich gar nicht, erwiderte der Abbé in der liebenswürdigsten Weise. Ich weiß, daß die Hauseigentümer gern alles selbst untersuchen ... Ich bitte Sie, nur alles zu besichtigen ... Das Haus gehört völlig Ihnen.
Bei den letzten Worten lächelte er, was sehr selten vorkam.
Als sich Mouret zum Fenster hinausbeugte und mit beiden Augen zu der Dachrinne emporsah, ließ er sich in allerlei baulichen Mutmaßungen darüber aus, auf welche Weise der nasse Fleck mochte entstanden sein.
Ich glaube, es haben einige Ziegel nachgegeben, oder vielleicht ist einer von ihnen geborsten, wenn es nicht jener Riß dort ist, den Sie am Karnies sehen und der längs der Stützmauer verläuft.
Das ist leicht möglich, erwiderte Mouret. Aufrichtig gestanden, Herr Abbé, ich verstehe von der ganzen Sache nichts. Der Maurer wird sich schon auskennen.
Da sprach der Priester nichts mehr von Ausbesserungen und sah schweigend auf die Gärten hinab. Mouret, der neben ihm am Fenster lehnte, wollte aus Anstand nicht sofort das Zimmer verlassen. Er war völlig gewonnen, als der Mieter nach kurzem Stillschweigen zu ihm sagte:
Sie haben einen sehr schönen Garten.
Ein gewöhnlicher Hausgarten, erwiderte Mouret. Ich mußte einige sehr schöne Bäume fällen lassen, weil nichts in ihrem Schatten gedieh. Ja, man muß immer praktisch, sein. Der Winkel genügt uns; er liefert uns für den ganzen Sommer Gemüse.
Der Abbé war erstaunt und ließ sich die Einzelheiten beschreiben. Es war ein alter Garten, wie man sie in der Provinz findet, von Lauben umgeben, durch große Gebüsche in vier regelmäßige Vierecke geteilt. In der Mitte befand sich ein wasserloses Becken. Ein einziges Viereck war mit Blumen bepflanzt, während in den übrigen Teilen Obstbäume standen und prächtiger Kohl und Salat gediehen. Die mit gelbem Sande bestreuten Wege waren spießbürgerlich sauber gehalten.
Es ist ein kleines Paradies, sagte der Abbé nochmals.
Es sind doch viel Unannehmlichkeiten dabei, erwiderte Mouret, der seinen Besitz nicht so gelobt haben wollte. Sie müssen zunächst bedenken, daß wir auf einem Abhange wohnen, auf dem die Gärten staffelförmig liegen. So ist der Garten des Herrn Rastoil niedriger als der meinige und dieser liegt wieder tiefer als der des Unterpräfekten, weshalb der Regen oft großen Schaden anrichtet. Eine weitere Unannehmlichkeit ist, daß die Leute der Unterpräfektur zu mir herübersehen können, besonders wenn sie auf der Terrasse sind, die meine Mauer beherrscht. Freilich kann ich wieder zu Herrn Rastoil hinübersehen. Aber das ist nur eine geringe Schadloshaltung; denn ich versichere, es gehen mich die anderen Leute sehr wenig an.
Der Priester schien aus Gefälligkeit zuzuhören; er nickte mit dem Kopfe, stellte aber keine Frage und folgte nur mit den Augen den Erläuterungen, die sein Hauseigentümer mit der Hand machte.
Noch etwas ist unangenehm, fuhr letzterer fort, indem er auf ein Gäßchen wies, das sich hinter dem Garten dahinzog. Sehen Sie diesen Weg dort zwischen den beiden Mauern? Das ist die Sackgasse Chevilottes, die in ein Einfahrtstor ausläuft, das auf die Felder der Unterpräfektur geht. Alle benachbarten Gründe haben ein Ausgangspförtchen auf diese Sackgasse, so daß dort ein fortwährendes geheimnisvolles Gehen und Kommen herrscht ... Ich habe Kinder und ließ daher meine Türe dort hinaus vernageln.
Er schielte dabei auf den Abbé, indem er hoffte, daß dieser ihn fragen werde, was für ein geheimnisvolles Gehen und Kommen es sei. Aber der Priester tat nicht den Mund auf und ließ ohne weitere Neugierde seine Blicke von dieser Sackgasse wieder nach dem Garten Mourets schweifen. Unten auf der Terrasse saß wie gewöhnlich Martha und säumte Servietten ein. Sie hatte zuerst erstaunt emporgeblickt, als sie oben Stimmen vernahm; zu ihrer großen Verwunderung sah sie ihren Gatten mit dem Priester im Gespräch und beugte sich wieder über die Arbeit. Mouret sprach in unbewußter Prahlerei jetzt lauter, um seiner Frau zu zeigen, daß es ihm endlich gelungen sei, in diese so fest verschlossene Wohnung einzudringen, während der Priester von Zeit zu Zeit auf die Frau sah, von der er nur den Nacken und den dichten, schwarzen Haarknoten erblicken konnte.
Wieder schwiegen beide; doch schien der Abbé Faujas noch immer nicht geneigt, das Fenster zu verlassen. Er schien jetzt den Garten des Nachbars zu studieren, der mit seinen kleinen Baumgängen, Beeten und Rasenflächen in englischem Geschmacke angelegt war. Im Hintergrunde stand eine Gruppe von Bäumen, zwischen denen ein Tisch und mehrere Gartenstühle sichtbar waren.
Herr Rastoil ist sehr reich, hub Mouret wieder an, indem er den Blicken des Abbé folgte. Dieser Garten kostet ihm viel Geld. Der Wasserfall dort drüben hinter den Bäumen kommt ihm auf dreihundert Franken zu stehen. Dabei wächst nirgends Gemüse, überall nur Blumen. Einige Zeit trugen sich die Damen auch mit der Absicht, die Obstbäume fällen zu lassen, was einem Morde gleichbedeutend gewesen wäre, denn die Birnbäume da drüben sind herrlich! Aber er hat das Recht, sich seinen Garten nach seinem Geschmack herzurichten. Hat er ja die Mittel dazu!
Da der Abbé noch immer schwieg, fuhr er fort:
Nicht wahr, Sie kennen den Herrn Rastoil? Er geht jeden Morgen zwischen acht und neun Uhr unter seinen Bäumen spazieren. Er ist ein dicker, kahler, bartloser Mann mit kugelrundem Kopfe. Ich glaube, im August ward er sechzig Jahre alt. Seit zwanzig Jahren ist er schon Gerichtspräsident, doch verkehre