Die Hauptstadt des Sex. Michaela Lindinger
Читать онлайн книгу.galt als Teufelsanbetung und damit als Apostasie – als Absage an den einzig wahren christlichen Gott.
Althergebrachte Traditionen wie das Tragen oder Auflegen von Talismanen und Amuletten wurden mit medizinischem Wissen gemeinsam angewandt. Die Grenzen zwischen Gebeten und Zauberformeln, zwischen Naturgeistern und den neu eingeführten Heiligen waren fließend. Gegen Wetterkapriolen setzten die einen Schreien, Rasseln und Hornblasen ein, schossen mit Steinen und Pfeilen gegen die Wolken. Andere praktizierten das christliche Wetterläuten und schossen geweihte Hostien gen Himmel. Die meisten versuchten alles zusammen. Weltliche und geistliche Obrigkeit lehnten die »Volksmedizin« wegen ihrer »heidnischen« Ursprünge ab. Solange magische Praktiken noch als unverbesserliche Verirrungen einfacher Leute belächelt wurden, konnten sie weiter ausgeübt werden. Am Ende des Mittelalters allerdings setzte die Definition »heidnischen Zaubers« als diabolischer Kult ein. Doch erst die Verfolgungen der Neuzeit machten den Massenmord an »Hexen und Zauberern« möglich.
Diesen hatte man am Beispiel der Ausrottung von »Häretikern« wie Katharern und Waldensern im 14. Jahrhundert eingeübt. Der Glaube der Katharer fußte auf einem dualistischen Weltbild, in dem der Teufel als Schöpfergott auftrat. Lichtbringer Luzifer, der gefallene Engel, war in der katharischen Theologie von großer Bedeutung. Nächtliche Zusammenkünfte hielten beide »Häretiker«gruppen, Katharer wie Waldenser, ab. Die Waldenser empfingen ihre Wanderprediger häufig mitten in der Nacht. Besonders gefährlich wurde die Situation, wenn ein sterbender Katharer mit dem »Consolamentum« versehen werden sollte, ein Vorgang, der ihm den direkten Eingang in den Himmel ermöglichen sollte. Ein »Consolamentum« konnte nur ein Perfekter erteilen, also ein hochgestellter katharischer Geistlicher, der im Trauerfall mitten in der Nacht gesucht werden musste. Untertags konnte sich ein Perfekter nicht öffentlich blicken lassen. Die »Parfaits«, wie sie genannt wurden, führten ein Vagabundenleben. Sie übernachteten bei Gläubigen, die in Privathäusern den Predigten beiwohnten. Gut möglich, dass Uneingeweihte gelegentlich Begegnungen mitbekamen, von denen sie nichts wissen sollten. So kamen Bilder von nächtlichen Orgien und »Unzucht« in Umlauf, die viel über die Vorstellungswelt des Mittelalters verraten, aber mit der Lebensrealität der Katharer oder anderer »Häretiker« nichts gemein hatten. Für die Verfolgung und Ermordung der Waldenser und Katharer war die Inquisition zuständig. Als die »Ketzer« tot waren, suchte man sich ein neues Betätigungsfeld. Wie die Hexenprozesse zeigen, fand im Lauf des 14. Jahrhunderts eine Weiterentwicklung der »Ketzerverfolgung« statt: die Verbindung von Häresie und Magie.
Der berüchtigte Malleus Maleficarum (1487) des Dominikaners Heinrich Kramer war einer der ersten Bestseller der Geschichte. Johannes Gutenberg hatte gerade erst den Buchdruck erfunden und damit eine Medienrevolution sondergleichen ausgelöst. Flugblätter und Bücher erreichten nun in Windeseile ihre Adressaten. Die Ausbreitung der Hexenidee wäre ohne die neuen beweglichen Lettern überhaupt nicht möglich gewesen.
Der Malleus griff eine, vorwiegend weiblich besetzte, Berufsgruppe gezielt heraus: die Hebammen. Ihre rechtliche und ökonomische Stellung hatte sich innerhalb der spätmittelalterlichen Gesellschaft voller Neid, Konkurrenzkampf und Überlebensangst verschlechtert und machte sie zu perfekten Opfern. Selbst bei Heilkundigen, die früher unter dem Schutz der Gesellschaft gestanden und Privilegien genossen hatten, konnte sich das Blatt rasch wenden. Dann drohten Ausgrenzung, Stigmatisierung und Verfolgung: »Die Hebammen-Hexen übertreffen die anderen Hexen mit ihren Verbrechen! Niemand fügt dem katholischen Glauben mehr Schaden zu!« – so steht es im Malleus. Kurz nach der Geburt würden die »weisen Frauen« die Babys dem Teufel übergeben, hetzte der Inquisitor Kramer. Nach dem Feuertod einer Hebamme habe man in einem Topf aus ihrem Besitz »eine Vielzahl von Kinderköpfen« vorgefunden. Doch sogar die Inquisition fand für die Hebammen Verwendung: Sie mussten bei angeklagten Frauen deren Jungfräulichkeit überprüfen. Johanna von Orléans, die französische Nationalheilige, wurde von so einer »geeigneten Frau« – wie es hieß – untersucht. Und dann bekanntlich verbrannt. Mit ihrer Verbrennung sollten Häretiker, Zauberer und viele andere durch eine irdische Variante des Fegefeuers gehen. Jegliche Erinnerung an sie sollte ausgelöscht werden.
FRAUENSACHEN: EIN BLICK 1000 JAHRE ZURÜCK
Wie könnte ein Kind auf die Welt gekommen sein, in der Wiener Gegend, mit ihren Aulandschaften und versumpften Donauarmen?
In einem beinahe stockdunklen Raum drängen sich die Frauen, Mutter, Schwestern, Freundinnen, Verwandte der Gebärenden. Eine junge Frau hockt unter Schmerzen bebend in der Mitte am Boden. Die professionelle Hebamme, erfahren in eigenen und unzähligen fremden Geburten, reibt den Bauch der Kreißenden mit Kräutertinktur ein. Die anwesenden Frauen lösen Knoten aus Bändern und Fäden – ein magisches Ritual, das symbolisch zur Ausstoßung des Kindes aus dem Bauch beitragen soll. Die meisten sind der Ansicht, das Kind entscheide selbst über den Zeitpunkt seiner Geburt. Kaum ist das Baby da, wird ihm die Zunge gründlich gewaschen. Es soll einmal leicht und gut sprechen lernen. Diese Geburt ist relativ gut verlaufen. Doch es gab auch andere. In Lehrbüchern wird empfohlen, bei Komplikationen das Ungeborene im Mutterleib zu zerstückeln …
In der Wahrnehmung der Menschen waren es nicht die sumpfigen Gegenden, die fehlende Kanalisation und mangelnde Hygiene der Städte, die zu Fieber und Infektionen führten – von diesen Zusammenhängen wusste man nichts. Oft unter schwierigsten hygienischen Bedingungen standen kundige Menschen den Schwangeren zur Seite. Es sind Fälle belegt, wonach Hebammen sogar während der Pestepidemien in verseuchte Häuser kamen, um ihre Tätigkeit auszuüben. Eine Geburt konnte Leben bringen, aber eben auch den Tod. Kaiserschnitte zum Beispiel wurden nur vorgenommen, wenn die Mutter bereits gestorben war und Angehörige verlangten, dass der Säugling – der bei so ungünstigen Bedingungen meist auch starb – rasch getauft werden sollte. Ein Kaiserschnitt bei einer noch lebenden Frau endete fast immer letal. Die Infektionsgefahr und der hohe Blutverlust machten meist alle Hoffnungen zunichte. Christliche Frauen beichteten oft noch kurz vor dem Ableben ihre Sünden der Hebamme, die in diesem besonderen Fall die Absolution erteilen durfte. Auch die Kindersterblichkeit dürfte sehr hoch gewesen sein. Konkrete Quellen fehlen zwar, doch schätzen Mediävisten, dass bis zu 50 Prozent der Neugeborenen das Kleinkindalter nicht überlebten. Die häufigste Todesursache bei Säuglingen und Kleinkindern waren die »Fraisen« – dazu zählte man alle Arten von fiebrigen Krampfanfällen mit Todesfolge. Hervorgerufen wurden sie – was damals niemandem klar war – durch einen schweren Kalkmangel bei den Babys. Dieses Defizit war eine Folge der ununterbrochenen Schwangerschaften der Mutter. Die Hebammen kamen zu den Patientinnen und leisteten Beistand, hörten zu, setzten sich mit den Leidenden auseinander. Sie nahmen sich Zeit, bezogen die Kranken in ihre Beschwörungen mit ein und gaben ihnen Halt.
Im Mittelalter waren nicht nur die praktische Heilmedizin und die Geburtshilfe, sondern auch die Sterbebegleitung bis zum Waschen und Ankleiden der Toten vornehmlich Sache der Frauen. Die Heilende – das war die Frau. Paracelsus, der 1541 in Salzburg starb, meinte, man könne bei den alten Frauen und auch beim fahrenden Volk mehr lernen als bei den – durchwegs männlichen – Gelehrten an der Universität. Ärzte mit universitärer Ausbildung waren im Mittelalter ohnehin nur den wirklich Reichen und Mächtigen vorbehalten. In der Trotula, einer Sammlung von Schriften zur Gynäkologie aus dem 12. Jahrhundert, kann man lesen, dass auch Eingriffe bei Risikogeburten oder ein Dammschnitt zum Aufgabenbereich von Hebammen, nicht von Ärzten, gehörten. Dennoch bekamen die meisten weisen Frauen dieses und ähnliche Bücher kaum zu Gesicht, sie wussten auch gar nichts von deren Existenz. Kaum eine von ihnen konnte lesen und schreiben. Sie verließen sich auf ihre Erfahrungspraxis und die Familienüberlieferung. Erst im Spätmittelalter wurden in Spitälern »Geburtsstationen« eingerichtet, in denen Hebammen den Gebärenden zur Hand gingen. Der Normalfall jedoch blieb die Hausgeburt.
Das Wissen um Empfängnis und Schwangerschaft, Abtreibung, Empfängnisverhütung, Menstruation, Frauen- und Kinderkrankheiten, aber auch Impotenz und Altersbeschwerden wurde innerhalb der weiblichen Familienmitglieder weitergegeben. Die Arzneimittel wurden auf Basis von Kräutern und Drogen selbst hergestellt. Ein Sud aus »Stink-Wacholder, Selleriewurzel, Fenchel, Liebstöckel und Petersilie in Wein« mag wohl unter der Hand seine Besitzerin gewechselt haben. Schon im 9. Jahrhundert wurde dieses Getränk empfohlen, um eine unerwünschte Schwangerschaft zu beenden. Kirche und weltliche Gesetzgebung verboten Abbrüche.