Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman. Nina Kayser-Darius

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Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman - Nina Kayser-Darius


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auch nicht helfen.«

      »Arzt?« Die Augen des Mannes blickten mißtrauisch. »Wo kommen Sie denn so schnell her?« Er stöhnte erneut vor Schmerzen und konnte nicht weitersprechen.

      »Ich habe den Unfall zufällig mit angesehen«, antwortete Adrian ruhig und beugte sich über ihn. Unwillkürlich biß er sich auf die Lippen, der Mann mußte entsetzliche Schmerzen haben. Er konnte hier nicht allzuviel für ihn tun. Das Bein mußte operiert werden, und man konnte nur hoffen, daß er später wieder würde gehen können.

      Adrian verstellte den Sitz, so daß der Mann fast lag und das verletzte Bein etwas mehr Platz hatte und nicht länger eingeklemmt war. Der Mann wehrte sich nicht mehr, als der Arzt ihn untersuchte, seine letzten Kräfte hatten ihn verlassen. Nach der Untersuchung gab Adrian ihm eine Spritze, um seine Schmerzen zu lindern. Die Kommentare der Umstehenden hörte er jetzt nicht mehr.

      Er war gerade fertig, als der erste Rettungswagen eintraf. Dr. Winter winkte die Sanitäter zu sich und begrüßte sie mit einem Kopfnicken. Leise gab er ihnen die nötigen Informationen. »Die Kurfürsten-Klinik ist vorgewarnt«, sagte er. »Fahrt sofort los, den Mann hat’s am schlimmsten erwischt! Ich komme nach, sobald ich kann.«

      Daraufhin ließ er sie allein und lief zurück zu dem Jungen, neben dem noch immer die Frau kniete, die er darum gebeten hatte, bei ihm zu bleiben. Nach wie vor standen viele Leute herum, gafften und regten sich über den Unfall auf, ohne auch nur das geringste zu tun. Einige Autofahrer, die es eilig hatten und weiterfahren wollten, hatten bereits angefangen zu streiten – das Übliche, dachte der engagierte junge Arzt resigniert. Aber in diesem Augenblick kam zum Glück die Polizei, sie würde die Kreuzung in kurzer Zeit geräumt haben.

      »Er hat sich die ganze Zeit nicht bewegt«, sagte die Frau, die die Hand des Jungen hielt, leise. »Er wird doch nicht sterben?« Ihre Stimme klang ängstlich.

      Beruhigend schüttelte Adrian den Kopf. »Nein, er hat eine Gehirnerschütterung, sicher wacht er bald auf. Ich würde sagen, er hat Glück im Unglück gehabt.«

      Adrian richtete sich ein wenig auf und stellte fest, daß die Fahrerin des Autos, das gerade noch rechtzeitig zum Stehen gekommen war, noch immer regungslos hinter dem Steuer saß. Ihre Augen waren weit aufgerissen, und sie war mindestens so blaß wie das Kind.

      In diesem Augenblick bahnten sich die Sanitäter des zweiten Rettungswagens energisch ihren Weg durch die Menge, und Dr. Winter atmete erleichtert auf.

      Sie begrüßten einander mit knappem Nicken, er gab auch ihnen die nötigen Informationen und sagte dann: »Gebt dem Jungen eine Infusion zur Stabilisierung des Kreislaufs und bringt ihn in die Kurfürsten-Klinik, die wissen bereits Bescheid. Er hat eine Gehirnerschütterung, einige Prellungen, aber soweit ich sehe, keine inneren Verletzungen. Aber wartet noch einen Augenblick, ihr müßt noch jemanden mitnehmen.« Er machte eine Kopfbewegung zu dem Auto hin, vor dem der Junge lag.

      Die Sanitäter folgten seinem Blick und verstanden, was er meinte. »Okay, Dr. Winter«, sagte einer von ihnen, ein älterer Mann, den Adrian schon lange kannte. »Wir bringen nur schnell den Kleinen schon mal in den Wagen.«

      Sie betteten den Jungen vorsichtig auf die Trage und schnallten ihn fest. Gleich darauf liefen sie im Eiltempo mit ihm zu dem wartenden Rettungswagen.

      Adrian richtete sich auf und ging zur Fahrerseite des Autos, in dem die Frau noch immer regungslos saß. Die Schaulustigen zerstreuten sich allmählich, denn die Polizeibeamten hatten sich unverzüglich an die Arbeit gemacht und energisch durchgegriffen. Die Namen von Zeugen wurden aufgenommen, alle anderen gebeten, die Straße freizumachen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis der Verkehr wieder floß, als sei nichts geschehen.

      Adrian öffnete die Tür des Wagens, aber die junge Frau hinter dem Steuer rührte sich noch immer nicht. Sie hatte lange blonde Haare, die ihr im Augenblick so weit ins Gesicht gefallen waren, daß er kaum ihr Profil sehen konnte. Er beugte sich hinunter und sagte mit sehr sanfter Stimme, um sie nicht zu erschrecken: »Hallo, ich bin Dr. Adrian Winter. Bitte steigen Sie jetzt aus dem Wagen.«

      Sie schien ihn nicht gehört zu haben, denn sie reagierte überhaupt nicht. Vorsichtig streckte er eine Hand aus und legte sie an ihre Schläfe. Sie zuckte ein wenig zusammen, sonst jedoch bewegte sie sich auch jetzt nicht. Ihre Haut fühlte sich kühl und feucht an, es war offensichtlich, daß sie einen Schock erlitten hatte. »Bitte, steigen Sie jetzt aus«, sagte er behutsam.

      Jetzt endlich wandte sie den Kopf und sah ihn an. Sie hatte große, veilchenfarbene Augen, und unwillkürlich schluckte er. Es kam ihm so vor, als habe er noch nie so schöne Augen gesehen. Sie verliehen ihrem Gesicht einen eigenartigen Reiz, dem man sich nur schwer entziehen konnte.

      »Was haben Sie gesagt?« Ihre Stimme war leise und kaum verständlich.

      »Steigen Sie bitte aus«, wiederholte er ruhig. »Sie müssen in ein Krankenhaus und dort behandelt werden.«

      Sie schüttelte langsam den Kopf und wandte sich von ihm ab, um erneut nach vorn zu starren. »Mir fehlt nichts«, erklärte sie mechanisch. »Mit mir ist alles in Ordnung. Ich bin nicht verletzt.« Dann veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. »Aber der Junge…« Sie begann am ganzen Körper zu zittern. Ihre Hände umklammerten das Lenkrad jetzt so fest, daß ihre Knöchel von der Anstrengung weiß wurden.

      »Ich habe einen Jungen angefahren«, sagte sie, noch immer mit dieser merkwürdig tonlosen Stimme. »Er hat sich nicht mehr gerührt. Ich… ich glaube, er ist tot.« Sie zitterte stärker und wandte sich wieder zu Adrian um. In ihren schönen Augen stand das blanke Entsetzen. »Ich habe ihn umgebracht.«

      Er griff sanft, aber zugleich sehr bestimmt nach ihrem Arm und zwang sie, auszusteigen. »Nein, das haben Sie nicht!« widersprach er energisch. »Sie haben vorher bremsen können. Sie haben ihn nicht angefahren. Er ist verletzt, weil er vom Rad gestürzt ist, aber nicht, weil Sie ihn angefahren haben. Und er ist nicht tot, er lebt.«

      »Was sagen Sie da?«

      Langsam und sehr betont wiederholte er: »Der Junge lebt! Sie haben ihn nicht angefahren! Er ist böse von seinem Rad gestürzt und hat eine Gehirnerschütterung, aber er ist nicht tot. Haben Sie das verstanden?«

      Sie nickte zögernd, obwohl sie ihm offenbar noch immer nicht ganz glaubte. Seine Erfahrung sagte ihm, daß er weitersprechen mußte.

      »Der Junge ist in guten Händen, er wird ebenfalls ins Krankenhaus gebracht. Und jetzt kommen Sie bitte mit mir! Der Rettungswagen wartet, aber wir dürfen keine Zeit verlieren, denn der Junge muß dringend behandelt werden. Und Sie auch.«

      Endlich gab sie ihren Widerstand auf und folgte ihm. Wie eine Schlafwandlerin ließ sie sich von ihm zum Rettungswagen führen, wo die Sanitäter ihr halfen, in den Wagen zu steigen.

      »Sie hat einen schweren Schock«, sagte Adrian leise zu dem älteren Sanitäter, den er kannte. »Sie hat gedacht, der Junge sei tot, und sie habe ihn angefahren.«

      »Wir kümmern uns um sie, Dr. Winter, keine Sorge«, erwiderte der Sanitäter und sah die junge Frau mitleidig an. Er übte seinen Beruf schon lange aus, und noch immer brachte er großes Mitgefühl für die Menschen auf, die er Tag für Tag in eins der Krankenhäuser von Berlin brachte, und deshalb schätzte Adrian Winter ihn besonders.

      »Ich folge euch mit meinem Wagen.«

      »Bis gleich, Doktor!«

      *

      »Ich denke, er hat Urlaub?« Die Internistin Dr. Julia Martensen schüttelte den Kopf. Sie war eine hübsche, sehr schlanke Brünette von Ende Vierzig, die aber deutlich jünger aussah. Soeben war sie von Schwester Monika über den Anruf ihres Kollegen Winter informiert worden. »Und da baut er gleich am ersten Tag einen Unfall?«

      »Ich weiß nicht, ob er in den Unfall verwickelt ist oder ihn nur gesehen hat«, erwiderte Monika Ullmann und strich sich mit einer ungeduldigen Bewegung einige widerspenstige Haare aus dem Gesicht. Sie hatte einen lustigen, fast schwarzen Lockenkopf, aber ihre Haare hatten die Neigung, sich selbständig zu machen und legten sich nur selten so, wie Moni es gern gehabt hätte. Sie beschloß deshalb etwa alle vier Wochen,


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