Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman. Nina Kayser-Darius

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Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman - Nina Kayser-Darius


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ihre Kolleginnen und Kollegen froh waren, denn der Lockenkopf war, wie es der Assistenzarzt Dr. Bernd Schäfer einmal ausgedrückt hatte, »Schwester Monikas Markenzeichen.« Er war verliebt in sie, was natürlich alle wußten, aber bisher hatte sie ihn eiskalt abblitzen lassen. Ihre Interessen lagen im Augenblick woanders. Und Dr. Schäfer war, wenn man es genau nahm, schon in jede Frau der Kurfürsten-Klinik verliebt gewesen. Aber da er ein äußerst schüchterner Mann war, war er bisher noch nie dazu gekommen, auch nur einer einzigen Frau seine Liebe zu gestehen.

      »Typisch Adrian Winter!« Julia Martensen war mit dem Thema noch nicht fertig. »Keinem anderen Arzt würde es passieren, daß er an seinem ersten Urlaubstag gleich Zeuge eines Unfalls oder sogar darin verwickelt wird. Was hat er denn überhaupt gesagt?«

      »Nur, daß ein kleiner Junge bös gestürzt ist und eine Gehirnerschütterung und Prellungen davongetragen hat und daß noch zwei andere…« Schwester Monika wurde unterbrochen, denn in diesem Augenblick kamen die Sanitäter im Laufschritt herein. Auf ihrer Trage lag ein Mann mit einer schrecklich aussehenden Beinverletzung, der leise vor sich hin fluchte.

      »Dies ist Paul Lüttringhaus«, erklärte einer der Männer. »Dreiunddreißig Jahre alt. Er hat einen Schock und eine schwere Beinverletzung. Mehrere Brüche im Unterschenkel, Kniescheibe verletzt. Aber er ist stabil und bei Bewußtsein. Dr. Winter hat ihm eine Spritze gegen die Schmerzen gegeben.«

      »Es war die Rede von einem Jungen«, sagte Dr. Martensen, die sich bereits über den Patienten beugte, während Schwester Monika zum Telefon lief, um das Operationsteam zu informieren.

      »Der Junge und die Frau kommen mit dem nächsten Wagen«, antwortete der Sanitäter. »Der Junge hat eine schwere Gehirnerschütterung, die Frau einen Schock – das ist alles, was ich weiß. Sie müßten aber auch bald hier sein. Es war jedenfalls großes Glück, daß Dr. Winter sofort zur Stelle war.«

      Julia hatte bereits die Hose des Patienten aufgeschnitten und das Bein vorsichtig untersucht. Die Kniescheibe war unförmig angeschwollen, und sie konnte nur für ihn hoffen, daß sie nicht völlig zertrümmert war. Er mußte jedenfalls von einem Orthopäden oder einem hervorragenden Chirurgen operiert werden, wenn er die Chance haben wollte, in seinem Leben jemals wieder laufen zu können.

      Schwester Monika kam angerannt. »Kein OP-Team«, berichtete sie. »Die operieren alle.«

      Julia Martensen sah auf den jungen Mann, der leise stöhnend vor ihr lag und murmelte: »Ist denn kein Chirurg im Haus, der gerade Zeit hat?«

      »Nein, niemand«, antwortete Schwester Monika. »Selbst das Bereitschaftsteam operiert – und alle Operationen dauern länger.«

      Nachdenklich richteten sich die Augen der Ärztin auf Dr. Bernd Schäfer. Der junge Mann mit den gutmütigen braunen Augen, den braunen Locken und dem massigen Körper war Assistenzarzt der Chirurgie. Aber er wäre mit einer solchen Operation hoffnungslos überfordert, das wußte sie. Er würde in diesem Fall nicht helfen können.

      Er mißverstand ihren Blick und hob entsetzt die Arme. »Nein, nein!« sagte er. »Ich operiere dir jeden Blinddarm und von mir aus auch jede Gallenblase, aber dieses Bein – das ist eine Nummer zu groß für mich, Julia. Ehrlich. Da gehe ich allein nicht dran. Das muß ein Orthopäde machen. Hast du dir das mal genau angesehen?«

      Sie seufzte. »Du sollst ihn ja auch gar nicht operieren, Bernd!« sagte sie resigniert. Sie wollte gerade weitersprechen, doch in diesem Augenblick flogen erneut die Türen der Notaufnahme auf. Zwei Sanitäter brachten den Jungen, den Dr. Winter angekündigt hatte, ein dritter führte eine blonde, sehr blasse junge Frau herein.

      Julia Martensen machte ein grimmiges Gesicht. »Du fährst jetzt mit Herrn Lüttringhaus nach oben, Bernd!« kommandierte sie. »Das Bein muß geröntgt werde, und danach werden wir sehen, wie es mit ihm weitergehen kann. Wir versuchen, jemanden für die Operation aufzutreiben, und du kannst dann assistieren.«

      Der junge Assistenzarzt machte sich eilig mit seinem Patienten auf den Weg. Der Tag würde kommen, an dem er derjenige war, der eine solche Operation durchführen mußte, und er zitterte bereits bei dem Gedanken daran. Aber noch war es zum Glück nicht soweit.

      Julia atmete auf und zwang sich zur Ruhe. Es würde sich schon jemand finden für die Operation von Herrn Lüttringhaus, aber sie konnte nicht alle Probleme auf einmal lösen. Eins nach dem anderen, befahl sie sich wie immer, wenn der Streß drohte, zu groß zu werden. Das Wichtigste war jetzt, nicht die Übersicht zu verlieren.

      »Kümmere dich um die Frau, Moni!« sagte sie nach einem prüfenden Blick. »Sie hat einen schweren Schock.«

      Schwester Monika nickte. Sie wußte, was in diesem Fall zu tun war. »Kommen Sie bitte!« sagte sie ruhig und freundlich zu Stefanie Wagner, die ihr folgte wie eine Marionette.

      Julia Martensen wandte sich an die Sanitäter. »Welche Informationen haben Sie denn für uns?«

      »Die Frau heißt Stefanie Wagner. Sie hätte den Jungen fast überfahren«, lautete die Antwort, »deshalb steht sie unter Schock. Dr. Winter hatte Mühe, sie zum Aussteigen aus ihrem Auto zu bewegen, sie war wie erstarrt. Es ist etwas besser, seit er ihr gesagt hat, daß der Junge lebt. Sie hat gedacht, daß sie ihn getötet hat. Der Junge hat eine Gehirnerschütterung, Prellungen, wahrscheinlich keine inneren Verletzungen. Er hat auf Anweisung von Dr. Winter eine kreislaufstabilisierende Infusion bekommen.«

      »Und wie heißt er?«

      Der Sanitäter schüttelte bedauernd den Kopf. »Wir wissen es nicht. Er hatte nichts bei sich, und er war ganz allein. Wenn seine Eltern in der Nähe waren, dann haben sie von dem Unfall offenbar nichts bemerkt.«

      »Mhm.« Julia machte ein nachdenkliches Gesicht. »Ich hoffe, sie melden sich bald, das wäre für das Kind nur gut.« Dann lächelte sie den Sanitätern zu und sagte: »Danke!« Die Männer verließen das Krankenhaus sofort wieder, der nächste Einsatz wartete bereits auf sie.

      Der Junge wurde umgebettet, und die Ärztin machte sich umgehend an die Untersuchung. Wie war er so schmal und blaß! Seine Haare waren dunkelblond, das Gesicht feingezeichnet.

      »Hallo, Kleiner!« sagte sie sanft, als sie die Untersuchung beendet hatte, doch er reagierte nicht. Seine Augen blieben geschlossen. Er hatte Glück im Unglück gehabt, soweit sie das bisher beurteilen konnte. Aber natürlich würden sie seinen Kopf röntgen müssen, um ganz sicher zu gehen, daß er nicht etwa einen Schädelbruch hatte.

      »Tag, Julia!«

      Sie zuckte erschrocken zusammen, als ihr Kollege Dr. Adrian Winter plötzlich vor ihr stand.

      »Was machst du denn hier?« fragte sie ungläubig.

      Er machte sich nicht die Mühe, die Frage zu beantworten. »Und?« fragte er ungeduldig. »Hast du noch etwas gefunden?«

      Sie schüttelte den Kopf. »Nein, aber er muß zum Röntgen. Allerdings wäre es mir lieb, wenn er endlich aufwachen würde.«

      Adrian nickte und fuhr sich mit beiden Händen durch die dunkelblonden Haare. »Ich habe schon auf der Straße versucht, ihm eine Reaktion zu entlocken, aber es ist mir nicht gelungen.« Sanft strich er dem blassen Jungen über die Wange. »Wach auf, Kleiner!« murmelte er. »Du wirst uns doch keinen Kummer machen, hörst du? Und mir schon gar nicht, dies ist nämlich mein erster Urlaubstag, mußt du wissen.«

      Der Junge blinzelte ein wenig, dann machte er die Augen auf. »He!« sagte Adrian. »Da bist du ja! Jetzt kannst du uns auch endlich sagen, wie du heißt, damit wir dich ansprechen können.«

      Der Junge sah ihn aus dunklen unergründlichen Augen an, antwortete aber nicht.

      Nun versuchte Julia ihr Glück. »Heißt du Peter? Oder vielleicht Michael? Oder Benjamin? Du hast bestimmt einen sehr schönen Namen.«

      Das Kind sagte noch immer nichts, sah nur mit großen Augen von einem zum andern.

      »Ich fahre erst einmal mit ihm zum Röntgen, Julia«, entschied Adrian. »Das ist jetzt wichtiger.«

      »Wieso du? Du hast doch Urlaub und solltest dich endlich all


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