Die extreme Mitte. Tariq Ali

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Die extreme Mitte - Tariq  Ali


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Angriff auf die EU liefert eine sehr starke Grundlage für eine linke Kritik an der von Deutschland beherrschten Bankiersunion.

      6 Seumas Milne, The Enemy Within (London and New York, 2014) wurde zu einem Klassiker über das Thema; dort werden im Einzelnen die Methoden dargestellt, die der Staat einsetzte, um die Bergarbeiter zu besiegen.

      7 Im September 2014 wurden die Spanier von der Entscheidung ihrer rechtsgerichteten Regierung erschreckt – den modernisierten Erben Francos, die ihr Land im Namen der Troika ruinierten –, die beschlossen hatte, in Madrid eine Statue zu Thatchers Gedächtnis zu errichten.

      Tariq Ali

      Euroland in Schwierigkeiten

      »Eine Weltkarte, in der das Land Utopia nicht verzeichnet ist, verdient keinen Blick«, schrieb Oscar Wilde einmal, »denn sie lässt die eine Küste aus, in dem die Menschheit ewig landen wird. Und wenn die Menschheit da angelangt ist, hält sie Umschau nach einem bessern Land und richtet seine Segel dahin. Der Fortschritt ist die Verwirklichung von Utopien.«

      Der Geist von Oscar Wilde ist im kollektiven Herzen der Jungen sehr lebendig, der Jungen, die auf die Straße gehen, um gegen die Formen des Kapitalismus zu demonstrieren, der die Welt seit dem Fall der Berliner Mauer 1989 beherrscht. Sie schrien ihre Forderungen gegen das eine Prozent in New York, gegen die von den USA gestützte Diktatur in Kairo, gegen die Korruption der extremen Mitte in Griechenland und Spanien und für Selbstbestimmung in Schottland heraus.

      Die Europäische Union – eine der größten Wirtschaftseinheiten auf dem Planeten, die einen größeren Raum als das Römische Reich vor 2000 Jahren einnimmt – ist in der Klemme. Alle Verschleierungen, alle Versuche, zu suggerieren, die Situation sei unter Kontrolle, und das dicke Heftpflaster um den ganzen Körper der EU bedeute eine Rückkehr zur Normalität, überzeugen ganz und gar nicht. Die Sterne auf der EU-Fahne beginnen zu verblassen. Die Länder der zweiten Reihe, die in die Europäische Union aufgenommen wurden, waren von Anfang an schwach, während die Hauptländer überleben – aber wie lange noch? Dass es den europäischen Philosophen (da fallen einem Habermas und Negri ein) nicht gelungen ist, das Wesen der Krise zu verstehen, weist darauf hin, dass sie selbst ein Teil des Problems sind. Europa ist keine bloße Abstraktion. Es ist eine schlechte Realität, in der bis vor Kurzem Kräfte der extremen Rechten die Debatte beherrschten.

      Wie ist die EU zustande gekommen? Welche Ziele hatte sie? Es ist sehr schwierig, eine einzige Antwort zu geben, denn verschiedene Länder hatten verschiedene Ideen über das, was geschah und warum es geschah. Die Vereinigten Staaten wollten, dass die europäischen Länder, die sie im Zweiten Weltkrieg gerettet und dann mit dem Marshallplan finanziert hatten, im Kalten Krieg ein Bollwerk gegen die Russen und Osteuropa bildeten. Für die Franzosen war es ein Versuch, eine Allianz mit Deutschland zu schmieden. Für die Deutschen war die EU für deutsche Exporte wichtig.

      Dazu kam: Der französische Führer General de Gaulle, der das abschließende Kopfnicken zu den Römischen Verträgen abgab, betrachtete die Union voller Verachtung als nicht mehr denn eine Maschine. Ihm gefiel es nicht, dass Frankreich seine Identität und Souveränität in irgendeiner Gestalt oder Form weggenommen würde. Und das ist bis vor Kurzem die Haltung Frankreichs geblieben.

      Der Vater der Europäischen Union war ein sehr bemerkenswerter Franzose, ein kosmopolitischer Unternehmer namens Jean Monnet, dessen Bilanz in Wirtschaft, Politik und sozialen Aktivitäten recht unterhaltsam ist. Er stand den wichtigsten Kalten Kriegern in den Vereinigten Staaten nahe – unter anderen Dean Acheson, den Brüdern John Foster und Alan Welsh Dulles und John Jay McCloy. Er war gleichzeitig ein französischer Patriot und ein Internationalist. In seiner unvergleichlichen Darstellung des modernen Europas The New Old World liefert uns Perry Anderson eine unterhaltsame Schilderung von Monnets frühen Jahren.

      Monnets Ehe gibt uns vielleicht den besten Einblick in sein Leben, das in der Zeit zwischen den Kriegen immer noch nur teilweise sichtbar ist. Im Jahr 1929 brachte er im Auftrag von John McCloy gerade eine Stadtanleihe in Mailand auf den Markt, als er sich in die frisch verheiratete Frau eines seiner italienischen Angestellten verliebte. Unter Mussolini gab es keine Scheidung und zwei Jahre später wurde dem Ehepaar ein Kind geboren. Der Ehemann und Vater vereitelte Versuche, die Ehe annullieren zu lassen, und der Vatikan weigerte sich. 1934 war Monnets Hauptwohnsitz in Shanghai. Dort stieg er eines Tages in die Transsibirische Eisenbahn, um sich mit seiner Geliebten in Moskau zu treffen, wohin sie aus der Schweiz angereist war. Über Nacht erwarb sie die sowjetrussische Staatsbürgerschaft, löste ihre Ehe auf und heiratete ihn trotz Verbot der UdSSR. Monnets Braut war eine fromme Katholikin und sie gab dieser ungewöhnlichen Maßnahme – so erklärte es Monnet – den Vorzug vor den erniedrigenden Ämtern in Italien. Warum Stalins Regierung ihnen das erlaubte, konnte er nie verstehen. Es war eine angespannte Zeit für eine Heirat: Vierzehn Tage später wurde Kirow ermordet. Als ihr verlassener italienischer Ehemann später versuchte, seine vierjährige Tochter aus Shanghai zurückzuholen, fand Madame Monnet im sowjetischen Konsulat – einer ziemlich berüchtigten Einrichtung in der Geschichte der Komintern – Zuflucht vor dem Entführer. Ende 1935 – sie hatte immer noch einen sowjetrussischen Pass – bekam sie eine Aufenthaltserlaubnis in den USA, als Monnet im Rahmen eines türkischen Kontingents nach New York übergesiedelt war.

      Monnets Abenteuer einmal beiseite: Die Einheit Westeuropas war ein Kind des Zweiten Weltkrieges und des Beginns des Kalten Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion, der auf die Niederlage der Achsenmächte folgte. Im Zentrum stand – im Gegensatz zu den Schrecken, die vom Versailler Vertrag, der auf den Ersten Weltkrieg gefolgt war, ausgelöst worden waren – die Vorstellung von einer tiefen Verbindung zwischen Frankreich und Deutschland als gleichberechtigten Partnern. Aber in Wirklichkeit war das Ziel, Deutschlands politische Souveränität zu beschneiden.

      Die Existenz der Sowjetunion und ihrer neu erworbenen osteuropäischen Satelliten machte eine kollektive Bestrafung der deutschen Elite der Kriegszeit unmöglich. Die Tatsache, dass das Land geteilt worden war, wurde für ausreichend gehalten, die Wiedergeburt des deutschen Militarismus zu verhindern. Der deutsche Führer der Konservativen Konrad Adenauer war niemals von der Lebensfähigkeit von Ostdeutschland überzeugt und sah, schon lange bevor Gorbatschow zu einem Augenzwinkern Reagans wurde, eine Wiedervereinigung voraus.

      De Gaulle wollte ein dicht verwobenes Europa, einen unabhängigen bonapartistischen Block, der mit der UdSSR und den USA auf Augenhöhe verhandelte und in der Innen- und Außenpolitik eigene selbstständige Initiativen ergriff. Aus diesem Grund wollte er Großbritannien ausschließen, da er (wie auch fast alle anderen) wusste, dass es kaum mehr als ein trojanisches Pferd der Vereinigten Staaten sein würde. Die Auffassungen beider erwiesen sich als richtig. Heute ist Deutschland trotz seiner eingeschränkten Souveränität das stärkste Land in Europa und die EU, die infolge des englisch-amerikanischen Drucks außer Kontrolle geraten ist, stöhnt wie ein kranker Stier.

      Frühe Versuche des Franzosen Jacques Delors, ein »soziales Europa« zu schaffen, scheiterten am wiedergeborenen Fanatismus des Washington Consensus: Neoliberaler Kapitalismus sei der einzige Weg nach vorn. Die EU musste die neuen Regeln akzeptieren: Privatisierung im Inland, Kriege und Besetzungen im Ausland. Die Nordeuropäer (Großbritannien und Skandinavien) und die Osteuropäer (die entzückt waren, einen neuen Satelliten-Status annehmen zu dürfen, bei dem die USA die UdSSR ersetzten) erwiesen sich als die loyalsten und gefügigsten EU-Vasallenstaaten. Das Ergebnis ist eine Katastrophe für die EU als Ganze.

      Im Inneren wurde sie zu einem Europa der Bankiers mit wenig Rücksicht auf irgendetwas anderes als auf die Bedürfnisse des Finanzkapitals. Die daraus folgende Wirtschaftskrise hat bisher noch keinen wirklichen Wandel im Grundparadigma bewirkt. Auf die Wunde wurde ein in antiseptischer Flüssigkeit getränkter Verband gelegt, aber noch sieht man das Blut und es wird bald wieder hervorquellen.

      Über zehn Jahre nach dem Crash von 2008 steckten die amerikanischen und europäischen Wirtschaften in Arbeitslosigkeit und Stagnation fest. Die Anarchie der Kreditschöpfung wurde unter eine gewisse Kontrolle gebracht, aber ihre Grundlagen bleiben so solide wie eh und je. Bankiers,


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