Omega - Die letzten Tage der Erde. Camille Flammarion

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Omega - Die letzten Tage der Erde - Camille Flammarion


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ernst, fast verzweifelt, selbst in den Augen der Stoiker. Niemals, im Laufe der Geschichte, hatte die Rasse Adams mit einer solchen Gefahr zu kämpfen. Die Vorzeichen am Himmel konfrontierten sie unaufhörlich mit der Frage von Leben und Tod.

      Aber lassen Sie uns zum Anfang zurückkehren.

      Drei Monate vor dem Tag, von dem wir gerade sprachen, hatte der Direktor der Sternwarte am Gauri Sankar die folgende Email an die wichtigsten Sternwarten der Welt und insbesondere an die von Paris geschickt:[1].

      "Heute Nacht Komet entdeckt bei 290° 15' Rektaszension und 21° 54' südlicher Deklination. Geringe tägliche Bewegung. Ist von grünlicher Farbe."

      Es verging kein Monat ohne die Entdeckung von Kometen und deren Bekanntgabe an die verschiedenen Observatorien, insbesondere seit der Errichtung modernster Einrichtungen dieser Art in Asien auf den hohen Gipfeln des Gauri Sankar, K2 und Kangchendzönga; in Südamerika auf dem Aconcagua, Illampu und Chimborazo, aber auch in Afrika auf dem Kilimanjaro und in Europa auf dem Elburs und dem Montblanc. Diese Meldung hatte daher Astronomen auch nicht zu mehr Kommentaren verleitet als jede andere der ständig eintreffenden Sichtungen. Eine große Anzahl von Beobachtern hatte den Kometen in der angegebenen Position gesucht und seine Bewegung sorgfältig verfolgt. Ihre Beobachtungen waren in den "Neuen Astronomischen Nachrichten" veröffentlicht worden, und ein deutscher Mathematiker hatte eine vorläufige Umlaufbahn und Ephemeride berechnet.

      [1]

       Schon seit etwa dreihundert Jahren war die Pariser Sternwarte keine Beobachtungsstation mehr, sondern nur noch das zentrale Verwaltungsbüro der französischen Astronomie. Astronomische Beobachtungen wurden sowieso unter weitaus besseren Bedingungen in freier Atmosphäre auf Berggipfeln durchgeführt, wo es keine störenden Einflüsse gab. Die Stationen standen über das Internet in direkter und ständiger Verbindung mit der Zentrale, deren Instrumente nur dazu dienten, bestimmte Entdeckungen zu überprüfen oder die Neugierde der in Paris sesshaften Gelehrten zu befriedigen.

      Kaum waren diese beiden Daten veröffentlicht worden, machte ein japanischer Wissenschaftler eine sehr bemerkenswerte Entdeckung. Nach seinen Berechnungen näherte sich der Komet der Sonne aus dem unendlichen Raum auf einer Bahnebene, die leicht geneigt war zur Ekliptik, was ein äußerst seltenes Ereignis am Himmel ist. Außerdem würde er die Umlaufbahn des Saturns durchqueren. "Es wäre äußerst interessant", bemerkte er, "mehr Beobachtungen anzustellen und die Berechnung der Umlaufbahn zu überarbeiten, um festzustellen, ob der Komet mit den Ringen des Saturn kollidieren wird; denn dieser Planet wird am Tag der Ankunft des Kometen exakt dort stehen, wo er seine Umlaufbahn schneidet."

      Eine junge, bereits mit Preisen ausgezeichnete Mitarbeiterin des Instituts, gleichzeitig Kandidatin für die Leitung der Sternwarte, reagierte sofort auf diese Vermutung und richtete sich in der Kommunikationszentrale ein, um ja keine Nachricht zu verpassen. In weniger als zehn Tagen hatte sie mehr als hundert Mails abgefangen und, ohne einen Augenblick zu verlieren, drei Nächte und Tage später eine neue Umlaufbahn berechnet, die auf dieser ganzen Reihe von Beobachtungen basierte. Das Ergebnis bewies, dass dem deutschen Wissenschaftler ein Fehler bei der Bestimmung der Perihelentfernung unterlaufen war und dass die Schlussfolgerung des japanischen Astronomen insofern ungenau war, als der Durchflug des Kometen durch die Ebene der Ekliptik fünf oder sechs Tage später stattfand als ursprünglich errechnet; aber das Interesse an dem Problem wuchs dadurch, denn die Mindestabstände des Kometen von der Erde schienen nun geringer zu sein, als der japanische Kollege es für möglich gehalten hatte. Abgesehen von der Frage einer Kollision hoffte man, dass die enorme atmosphärische Störung, die sich aus der Anziehungskraft von Erde und Mond ergeben würde, eine neue Methode aufzeigen könnte, um die Masse dieser beiden Körper mit genauester Präzision zu bestimmen und vielleicht sogar ein wichtiges Indiz auf die Dichte des Erdinneren zu werfen. Man stellte tatsächlich fest, dass sich der himmlische Besucher auf einer Ebene bewegte, die fast mit der der Ekliptik übereinstimmte; in der Nähe des Saturn würde dessen Anziehungskraft vermutlich die einfache, parabolische Umlaufbahn so verändern, dass der Komet näher an unserem Planeten vorbeiflog. Aber nachdem er die Umlaufbahnen des Jupiters und des Mars durchquert hatte, würde er genau den Kurs verfolgen, den die Erde jährlich um die Sonne beschreibt. Das Interesse der Astronomen war deswegen allerdings nicht minder groß, und die junge Datensammlerin bestand mehr denn je nachdrücklich auf der Wichtigkeit zahlreicher und genauer Beobachtungen.

      Das Observatorium auf dem Gauri Sankar widmete sich vor allem der Untersuchung der Zusammensetzung des Kometen. Auf dieser, einer der höchsten Erhebungen der Erde, in einer Höhe von über 8000 Metern, zwischen ewigem Schnee, der durch elektrochemische Prozesse mehrere Kilometer von der Station entfernt gehalten wurde, und die fast immer viele hundert Meter über den höchsten Wolken in eine pure und extrem dünne Atmosphäre ragte, wurde die Sehkraft des Auges als auch des Teleskops um das Hundertfache gesteigert. Die Mondkrater, die Satelliten des Jupiters und die Phasen der Venus waren mit bloßem Auge gut zu erkennen. Seit neun oder zehn Generationen lebten mehrere Familien von Astronomen auf diesem asiatischen Gipfel und hatten sich allmählich an seine seltene Atmosphäre gewöhnt. Die Ersten waren noch gescheitert; aber Wissenschaft und Industrie hatten es geschafft, die extremen Temperaturen durch die Speicherung von Solarwärme zu mildern, und so konnte langsam eine Akklimatisierung erfolgen; so, wie es schon früher, im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert gewesen war, als in Quito und Bogota eine zufriedene Bevölkerung im Überfluss lebte und junge Frauen die ganze Nacht unermüdlich tanzten, während auf dem gleich hohen Montblanc in Europa nur wenige Schritte getan werden konnten – und selbst das nur mit Schmerzen in den Atemorganen. Nach und nach war eine kleine Kolonie an den Hängen des Himalaya gewachsen, und durch ihre Forschungen und Entdeckungen hatte sich die Sternwarte den Ruf erworben, die beste der Welt zu sein. Sein Hauptinstrument war die überall hochgelobte parallaktische Montierung von hundert Metern Brennweite, mit deren Hilfe bereits viele kosmische Rätsel entschlüsselt wurden.

      Während die europäischen Astronomen noch über die Umlaufbahn des neuen Kometen diskutierten und die Genauigkeit der Berechnungen überprüften, die seine Konvergenz zur Erde und die Kollision der beiden Körper im Weltraum voraussagten, erreichte sie eine neue Nachricht von der Sternwarte im Himalaya:

      "Der Komet wird bald mit bloßem Auge sichtbar sein. Immer noch von grünlichem Farbton. Kurs: erdwärts."

      Die vollständige Übereinstimmung der astronomischen Daten, ob aus europäischen, amerikanischen oder asiatischen Quellen, ließ keine weiteren Zweifel an deren Genauigkeit zu. Die Tageszeitungen vermarkteten diese alarmierende Nachricht sofort und schmückten sie mit unheimlichen Kommentaren und unzähligen Interviews aus, in denen Wissenschaftlern die erstaunlichsten Aussagen zugeschrieben wurden. Ihr einziges Bemühen bestand darin, die bewiesenen Fakten auszuschmücken und ihre Bedeutung durch mehr oder weniger fantasievolle Ergänzungen aufzubauschen. Was das betrifft, sind die Zeitschriften und Zeitungen der Welt natürlich längst zu reinen Wirtschaftsunternehmen geworden. Jedes einzelne Medium wollte nur jeden Tag eine möglichst große Anzahl von Exemplaren verkaufen. Man erfand falsche Nachrichten, travestierte die Wahrheit, entehrte Männer und Frauen, verbreitete Skandale, log ohne jedes Schamgefühl, veröffentlichte die Formeln von erst kürzlich erfundenen Sprengstoffen, gefährdete seine eigenen Leser und verriet jede Klasse der Gesellschaft, nur um die Neugierde der Öffentlichkeit an den Anschlag zu treiben und rekordverdächtige Verkaufszahlen zu erreichen.

      Alles drehte sich nur noch ums Geschäft, denn die Presse interessierte sich nicht für Wissenschaft, Kunst, Literatur, Philosophie, Lehre oder Forschung. Ein Fußballer, ein Tennisspieler oder ein Jockey, ein neuer Sportwagen oder der letzte Schrei am Modehimmel, alles erlangte an einem Tag mehr Berühmtheit als der bedeutendste Wissenschaftler oder der genialste Erfinder – denn diese beiden brachten weder Aktionären der jeweiligen Firmen Ertrag, noch hatten sie irgendwelche Fans. Alles war geschickt mit der Rhetorik des Patriotismus durchtränkt, einem Gefühl, das noch immer in den Köpfen einiger Menschen einen festen Platz hatte. Kurz gesagt, egal wie man es betrachtete, dominierten die finanziellen Interessen einer Veröffentlichung alle Überlegungen bezüglich öffentlichen Interesses und des allgemeinen Wohlergehens. Die Öffentlichkeit war schon lange vorher der Spielball der Medien geworden; aber zu dem Zeitpunkt, von dem wir jetzt sprechen, hatte sie sich dieser Situation ergeben, so dass es keine eigentlichen


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