Omega - Die letzten Tage der Erde. Camille Flammarion
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Aber zum Zeitpunkt der Begegnung mit dem Kometen wäre die Erde nicht genau an dem Punkt ihrer Umlaufbahn, der von einer Linie vom Kometen zur Sonne geschnitten wird, denn ersterer bewegte sich nicht direkt auf letztere zu; die Kollision würde daher fast eine Woche später stattfinden, nämlich: um etwa Mitternacht am Freitag, den 13. Juli. Es ist unnötig hinzuzufügen, dass unter diesen Umständen die üblichen Vorkehrungen für die Feier des Nationalfeiertags am 14. Juli vergessen wurden. Nationalfeiertag! Kein Mensch hatte daran gedacht. War dieses Datum nicht viel wahrscheinlicher für den gemeinsamen Untergang aller Menschen und Dinge? Der Jahrestag dieses berühmten Datums war von den Franzosen seit über zwei Jahrhunderten gefeiert worden. Selbst unter den Römern hatte es kaum vergleichbare Jubiläen gegeben, und viele Franzosen waren sowieso der Meinung, dass der 14. Juli seinen Wert weitestgehend verloren hatte.
Mittlerweile war es Montag, der 8. Juli. Fünf Tage lang war der Himmel völlig klar gewesen, und jede Nacht war der fächerartige Komet weiter durch die Tiefen des Himmels in Richtung Erde geschwebt. Sein Kopf – oder Kern – war deutlich sichtbar und mit Lichtpunkten übersät, die durchaus feste Körper von mehreren Kilometern Durchmesser sein konnten, und die nach den Berechnungen als erstes die Erde treffen würden, wobei sein Schweif in einer von der Sonne abgewandten Richtung ausgerichtet war und im vorliegenden Fall hinter ihm und schräg zur Bewegungsrichtung stand. Der neue Stern brannte im Sternbild Fische. Nach den Beobachtungen vom Vorabend, dem 8. Juli, war seine genaue Position: Rektaszension, 23h, 10m, 32s; Deklination Nord, 7°, 36´, 4˝. Der Schweif verdeckte das Sternbild Pegasus vollständig. Der Komet stieg um 21:49 Uhr auf und war die ganze Nacht über sichtbar.
In den Tagen, in denen das bereits erwähnte Sturmtief die Sicht auf den Kometen verdeckt hatte, hatte es einen Meinungsumschwung in der Öffentlichkeit gegeben. Aus einer Reihe rückblickender Berechnungen hatte ein Astronom bewiesen, dass die Erde bereits mehrmals auf Kometen gestoßen war und als Ergebnis jedes Mal nur ein harmloser Schauer von Sternschnuppen folgte. Einer seiner Kollegen hielt ihm jedoch entgegen, dass der gegenwärtige Komet in keinster Weise mit einem Meteoritenschwarm verglichen werden konnte, da er gasförmig war und sein Kern aus festen Körpern bestand; in diesem Zusammenhang wies er auf die Beobachtungen hin, die an einem der berühmten Kometen der Geschichte, dem von 1811, durchgeführt wurden.
Dieser Komet rechtfertigte in gewisser Weise die allgemeine Besorgnis. Man rief sich seine Dimensionen in Erinnerung: seine Länge von 180 Millionen Kilometern – mehr als die Entfernung der Erde von der Sonne – und die Breite seines Schweifes an seinem Endpunkt, 24 Millionen Kilometer. Der Durchmesser seines Kerns betrug 1800000 Kilometer, vierzigtausend Mal so viel wie der der Erde, und sein nebulöser und bemerkenswert regelmäßiger elliptischer Kopf war ein Punkt, der hell wie ein Stern war und selbst einen Durchmesser von nicht weniger als 200000 Kilometern hatte. Der Punkt schien von großer Dichte zu sein. Man beobachtete ihn sechzehn Monate und zweiundzwanzig Tage lang. Aber das bemerkenswerteste Merkmal dieses Kometen war die immense Entwicklung, die er an den Tag legte, ohne dabei der Sonne sehr nahe zu kommen; er kam ihr nie näher als 150 Millionen Kilometer und blieb somit mehr als 170 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Da Kometen größer werden, je näher sie der Sonne kommen, hätte dieses Exemplar für den Betrachter sicherlich noch wunderbarer und zweifellos erschreckender ausgesehen, wenn es der Aktivität der Sonne mehr ausgesetzt gewesen wäre. Seine Masse war mitnichten geringfügig, und bei einem direkten Sturz in die Sonne hätte seine Geschwindigkeit von etwa fünf- oder sechshunderttausend Metern pro Sekunde zum Zeitpunkt der Kollision dazu geführt, dass sich die mechanische Energie in Wärmeenergie verwandelt und die Sonneneinstrahlung abrupt so stark erhöht, dass innerhalb weniger Tage jede Spur pflanzlichen und tierischen Lebens auf der Erde völlig zerstört worden wäre.
Es war in der Tat ein Physiker gewesen, der diese merkwürdige These aufstellte, dass ein Komet gleicher Größe wie der von 1811 – oder noch größer – ohne Kontakt zu Erde das Ende derselben herbeiführen könnte, nur durch eine Art Eruption von solarem Licht und Wärme, ähnlich einer Nova. Der Sturz in die Sonne würde eine Menge an Wärme freisetzen, die sechsmal so groß wäre wie die, die bei der Verbrennung der gleichen Masse an Kohle entstünde.
Würde ein solcher Komet nicht in die Sonne stürzen, sondern mit unserem Planeten kollidieren, bedeutete dies das Ende der Welt durch Feuer. Eine Kollision mit dem Jupiter würde hingegen die Temperatur dieses Planeten so weit erhöhen, dass er sein verlorenes Licht wiederherstellen und für eine Weile zu einer Sonne werden könnte; die Erde würde also von zwei Sonnen beschienen werden, wobei der Jupiter eine Art kleinerer Nachtsonne wäre, weit heller als der Mond. Sein eigenes Licht würde ihn rubinrot oder granatrot leuchten lassen und er bräuchte zwölf Jahre für eine Umkreisung der Erde. Eine nachtaktive Sonne! Das heißt, es würde nie mehr wirklich Nacht auf der Erde.
Man konsultierte die Klassiker unter den astronomischen Abhandlungen Kapitel über Kometen, die Newton, Halley, Maupertuis, Lalande, Laplace, Arago, Faye, Newcomb, Holden, Denning, Robert Ball und deren Nachfolger verfasst hatten, wurden erneut gelesen. Laplaces Meinung hinterließ den tiefsten Eindruck und er wurde sogar wörtlich zitiert: "Die Erdachse und die Rotation verändern sich; Ozeane verlassen ihre alten Betten und strömen in Richtung des neuen Äquators; die meisten Menschen und Tiere werden von dieser universellen Flut überschwemmt oder sterben durch den heftigen Einschlag; ganze Arten werden vernichtet; jedes Denkmal menschlichen Fleißes wird gestürzt; das sind die Katastrophen, die die Kollision mit einem Kometen hervorbringen wird."
So folgten Diskussionen, Forschungen in der Vergangenheit, Berechnungen, Vermutungen und Hypothesen schnell aufeinander. Was aber den tiefsten Eindruck auf jeden Menschen hinterließ, war erstens, dass der gegenwärtige Komet, wie die Beobachtungen zeigten, einen Kern von beträchtlicher Dichte besaß, und zweitens, dass Kohlenmonoxid zweifellos der am meisten vorkommende chemische Bestandteil war. Angst und Schrecken breiteten sich sofort wieder aus. Es wurde an nichts anderes gedacht oder darüber gesprochen als an den Kometen. Einige erfinderische Köpfe suchten bereits einen mehr oder weniger praktikablen Weg, um der Gefahr zu entrinnen. Chemiker gaben vor, einen Teil des Sauerstoffs der Atmosphäre auffangen zu können. Es wurden Verfahren zur Isolierung dieses Gases aus Stickstoff und seiner Lagerung in riesigen Behältern aus hermetisch abgedichtetem Glas entwickelt. Ein kluger Apotheker behauptete, er habe es in Pastillen verdichtet und innerhalb von zwei Wochen acht Millionen für Werbung ausgegeben. So schlug der Handel aus allem Kapital, sogar aus dem weltweiten Tod. Aber es wurde nicht alle Hoffnung aufgegeben. Die Menschen stritten zwar miteinander, zitterten, hatten Angst, schauderten, und starben sogar – aber sie hofften weiter.
Die neueste Nachricht war, dass der sich weiter vergrößernde Komet, wenn er einmal den thermischen und elektrischen Einflüssen der Sonne unterlag, im Moment des Aufpralls einen Durchmesser haben würde, der das 65-fache des Durchmessers der Erde oder 828000 Kilometer betrug.
So war also die gesamte Welt in einem Zustand umfassender Angst, als die Sitzung des Instituts eröffnet wurde, dessen Worte sozusagen als letztes Orakel galten.
Der Direktor der Pariser Sternwarte war natürlich als erster Redner vorgesehen; das größte Interesse der Öffentlichkeit galt allerdings der Meinung des Präsidenten der Akademie der Medizin bezüglich der wahrscheinlichen Auswirkungen des Kohlenmonoxids. Der Präsident der geologischen Gesellschaft Frankreichs sollte auch eine Rede halten, und das generelle Ziel der Sitzung war es, alle Möglichkeiten, wie unsere Erde ihr Ende finden könnte, zu überprüfen. Ganz selbstverständlich würde jedoch die Diskussion über die Kollision mit dem Kometen den ersten Platz bei den Statements einnehmen.
Nach wie vor hing der bedrohliche Stern sprichwörtlich über jedem Kopf; jeder konnte ihn sehen; er wurde von Tag zu Tag größer und näherte sich mit zunehmender Geschwindigkeit; man wusste, dass er nur noch knappe 18 Millionen Kilometer entfernt war und dass er diese Entfernung in fünf Tagen überwunden haben würde. Jede Stunde brachte diese Bedrohung um 149000 Kilometer näher. In sechs Tagen würde die besorgte Menschheit wieder frei atmen – oder gar nicht mehr.
III.
Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit war eine so riesige Menschenmenge in den riesigen, halbkreisförmigen