Omega - Die letzten Tage der Erde. Camille Flammarion

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Omega - Die letzten Tage der Erde - Camille Flammarion


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drei uns vorliegenden Punkte folgt, dass die Gefahr, obwohl sie existiert und sogar unmittelbar bevorsteht, nicht so groß, so überwältigend, so sicher ist, wie ständig behauptet wird. Ich will noch mehr sagen: Dieses ausgefallene astronomische Ereignis, das so viele Herzen zum Rasen bringt und so viele Gedanken mit Angst erfüllt, ändert in den Augen eines Philosophen kaum seine übliche Sicht der Dinge. Jeder von uns muss eines Tages sterben, aber diese Gewissheit hindert uns nicht daran, in Ruhe zu leben. Warum sollte die Angst vor einem etwas schnelleren Tod die Gemütsruhe so vieler von uns eintrüben? Ist der Gedanke, dass wir zusammen sterben, so unangenehm? Er sollte eher tröstlich sein für unseren Egoismus. Nein, es ist der Gedanke, dass eine gewaltige Katastrophe unsere Leben um ein paar Tage oder Jahre verkürzen könnte. Das Leben ist kurz, und jeder klammert sich selbst an den kleinsten Teil davon; nach dem, was man hört, scheint es sogar so zu sein, dass die meisten es vorziehen würden, die ganze Welt untergehen zu sehen, anstatt allein zu sterben und zu wissen, dass die Welt gerettet wurde – vorausgesetzt natürlich, man selbst überlebt. Das ist reiner Egoismus. Meine Herren, ich bin fest davon überzeugt, dass uns im Wesentlichen eine Katastrophe von höchster wissenschaftlicher Bedeutung bevorsteht, die jedoch Historiker zurücklassen wird, um ihre Geschichte zu erzählen. Es wird eine Kollision, einen gewaltigen Einschlag und örtliche Zerstörungen geben. Und es wird die Geschichte von Erdbeben, Vulkanausbrüchen und Wirbelstürmen sein."

      So sprach der berühmte Astronom. Das Publikum erschien zufrieden, beruhigt, besänftigt zu sein – zumindest teilweise. Es ging nicht mehr um das Ende aller Tage, sondern um eine Katastrophe, der man wahrscheinlich entkommen würde. Überall hörte man geflüsterte und raunende Gesprächsfetzen; Menschen vertrauten sich gegenseitig ihre Meinungen an, Geschäftsleute und Politiker schienen mit den vorgebrachten Argumenten gar gänzlich einverstanden zu sein, als auf Einladung des Vorsitzenden der Präsident der Akademie der Medizin langsam auf die Bühne zusteuerte.

      Er war ein großer Mann, schlank, aufrecht gehend, mit fahlem Gesicht, asketischem Aussehen und melancholischen Gesichtszügen – er trug eine Glatze und einen perfekt getrimmten, grauen Backenbart. Seine Stimme hatte etwas Leichenhaftes an sich, und seine ganze Persönlichkeit erinnerte eher an einen Bestatter als an einen Arzt, der von der Hoffnung getrieben wurde, seine Patienten zu heilen. Seine Einschätzung der Dinge stand im krassen Gegensatz zu der Auffassung des Astronomen, wie sich schon beim ersten Wort, das er sagte, zeigte.

      "Meine Herren", sagte er, "ich werde mich so kurz fassen wie der bedeutende Gelehrte, dem wir gerade zugehört haben, obwohl ich viele Nächte damit verbracht habe, die Eigenschaften von Kohlenmonoxid bis ins kleinste Detail zu analysieren. Über dieses Gas will ich zu Ihnen sprechen, denn die Wissenschaft hat ja nun bewiesen, dass es der Hauptbestandteil des Kometen ist und dass eine Kollision mit der Erde unvermeidlich ist.

      "Die besagten Eigenschaften von Kohlenmonoxid sind schrecklich; warum sollten wir uns das nicht eingestehen? Die kleinste Menge dieses Gases in der Luft, die wir atmen, reicht aus, um unsere Lungen in nur drei Minuten funktionsunfähig zu machen und das Leben zu vernichten.

      "Jeder weiß, dass Kohlenmonoxid, das in der Chemie unter dem Kürzel CO bekannt ist, ein nicht flüchtiges Gas ohne Geruch, Farbe oder Geschmack und in Wasser nahezu unlöslich ist. Seine Dichte im Vergleich zur Luft beträgt 0,96. Es brennt in der Luft mit einer blauen Flamme von geringer Leuchtkraft, ähnlich einem Grablicht, wobei das Produkt dieser Verbrennung Kohlendioxidist.

      "Seine bemerkenswerteste Eigenschaft ist die Tendenz, Sauerstoff aufzunehmen. (Der Redner legte größte Betonung auf die letzten zwei Worte.) In den großen Eisenöfen, zum Beispiel, wird Kohlenstoff unter Zugabe einer geringen Menge an Luft in Kohlenmonoxid umgewandelt; und es ist tatsächlich dieses Oxid, das das Eisen schlussendlich in einen metallischen Zustand überführt, indem es ihm den Sauerstoff entzieht, mit dem es kombiniert wurde.

      "Im Sonnenlicht verbindet sich Kohlenmonoxid mit Chlor und bildet Phosgen, COCl2 –ein Gas mit einem unangenehmen, erstickenden Geruch.

      "Die Tatsache, der wir unsere gesamte Aufmerksamkeit zuwenden sollten, ist, dass dieses Gas hochgiftig ist - weitaus giftiger als Kohlendioxid. Seine Wirkung auf das Hämoglobin besteht darin, die Atemfähigkeit des Blutes zu verringern, und selbst in sehr kleinen Dosen behindert seine kumulative Wirkung die sauerstoffbildenden Eigenschaften des Blutes in einem Ausmaß, das in keinem Verhältnis zur offensichtlichen Ursache steht. Zum Beispiel: Blut, das 23 bis 24 Kubikzentimeter Sauerstoff pro hundert Einheiten absorbiert, nimmt in einer Atmosphäre, die weniger als ein Tausendstel Kohlenmonoxid enthält, nur die Hälfte auf. Selbst ein Anteil von einem Zehntausendstel hat eine schädliche Wirkung, indem er die Atmungsaktivität des Blutes spürbar verringert. Das Ergebnis ist keine einfache Erstickung, sondern eine fast sofort einsetzende Blutvergiftung. Kohlenmonoxid wirkt direkt auf die Blutkörperchen, verbindet sich mit ihnen und macht sie lebensunfähig: Die Hämatose, d.h. die Umwandlung von venösem in arterielles Blut, wird unterbunden. Drei Minuten reichen aus, um den Tod herbeizuführen. Der Blutkreislauf wird eingestellt. Das schwarze, venöse Blut füllt sowohl die Arterien als auch die Venen. Letztere, insbesondere die des Gehirns, werden überlastet, die Substanz des Gehirns wird punktiert, die Zungenbasis, der Kehlkopf, die Luftröhre, die Bronchien werden blutrot, und schon bald zeigt der ganze Körper das charakteristische, lilafarbene Aussehen, das immer auf die Einstellung der Hämatose folgt.

      "Aber, meine Herren, die schädlichen Auswirkungen von Kohlenmonoxid sind nicht die einzigen, die wir zu befürchten haben; schon die bloße Tendenz dieses Gases, Sauerstoff aufzunehmen, kann zu fatalen Folgen führen. Sauerstoff zu binden, selbst den Anteil von Sauerstoff in der Luft zu verkleinern, würde das Aussterben der menschlichen Spezies bedeuten. Jeder hier Anwesende ist vermutlich mit einem Vorfall vertraut, der mit vielen anderen für die Epoche der Barbarei steht, als Menschen sich gegenseitig im Namen der Ehre und des Patriotismus umbrachten; es ist eine einfache Episode aus einem der englischen Kriege in Indien. Erlauben Sie mir, sie Ihnen ins Gedächtnis zu rufen:

      "Einhundertsechsundvierzig Gefangene waren in einen Raum eingesperrt worden, dessen einzige Öffnungen zwei kleine, zu einem Flur hin gerichtete Fenster waren; das Erste, was diese unglücklichen Gefangenen bemerkten, war anhaltendes, starkes Schwitzen, gefolgt von unerträglichem Durst und großer Atemnot. Sie versuchen auf verschiedene Weise, sich mehr Raum und Luft zu verschaffen; sie rissen sich ihre Kleidung vom Leib; sie fächelten die Luft mit ihren Hüten und verfielen schließlich darauf, im Abstand von ein paar Sekunden hinzuknien und zusammen aufzustehen; aber jedes Mal fielen einige von denen hin, deren Kraft sie verlassen hatte, und wurden unter den Füßen ihrer Kameraden zertrampelt. Vor Mitternacht, d.h. in der vierten Stunde ihrer Gefangenschaft, waren alle, die noch lebten und es nicht geschafft hatten, reinere Luft an den Fenstern einzuatmen, in eine lethargische Benommenheit oder ein schreckliches Delirium gefallen. Als wenige Stunden später die Gefängnistür geöffnet wurde, kamen nur 23 Männer lebendig heraus; sie befanden sich in einem äußerst bedauernswerten Zustand; in jedem Gesicht stand der Eindruck des Todes, dem sie um Haaresbreite entkommen waren.

      "Ich könnte tausend weitere Beispiele hinzufügen, aber es wäre sinnlos, denn an diesem Punkt gibt es keine Zweifel. Ich bekräftige daher, meine Herren, dass auf der einen Seite die Aufnahme eines Teils des Luftsauerstoffs durch das Kohlenmonoxid, und auf der anderen Seite die stark giftigen Eigenschaften dieses Gases bezüglich der vitalen Eigenschaften des Blutes, der Begegnung unserer Erde mit der immensen Masse dieses Kometen – in dessen Herz wir mehrere Stunden lang gestürzt werden – fatale Folgen verleihen wird. Ich für meinen Teil sehe keine Chance zu entkommen.

      "Ich habe bewusst nicht über die Umwandlung von mechanischer Bewegung in Wärme, oder über die mechanischen und chemischen Folgen der Kollision gesprochen. Ich überlasse diesen Aspekt der Frage dem Sekretär der Akademie der Wissenschaften und dem erfahrenen Präsidenten der astronomischen Gesellschaft Frankreichs, die sie zum Gegenstand wichtiger Untersuchungen gemacht haben. Was mich betrifft, so wiederhole ich, so ist das irdische Leben in Gefahr, und ich sehe nicht nur eine, sondern zwei, drei oder vier tödliche Gefahren, denen es ausgesetzt ist. Ein Entkommen wäre ein Wunder – und an solche glaubt schon seit Jahrhunderten niemand mehr."

      Diese Rede, die im Ton der Überzeugung und mit klarer, ruhiger und ernster Stimme gesprochen wurde, brachte das gesamte Publikum wieder zurück in den Geisteszustand,


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