Weihnachtsgeschichten. Charles Dickens

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Weihnachtsgeschichten - Charles Dickens


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dieser ganzen Zeit hatte sich Scrooge wie närrisch gebärdet. Sein Herz und seine Seele waren bei dem Ball und seinem ehemaligen Selbst. Er erkannte alles wieder, erinnerte sich an alles, freute sich über alles und befand sich in der merkwürdigsten Aufregung. Nicht eher, als bis die fröhlichen Gesichter seines ehemaligen Selbst und Dicks verschwunden waren, fiel es ihm ein, daß der Geist neben ihm stehe und ihn betrachtete, indessen das Licht auf seinem Haupt in voller Klarheit brannte.

      »Eine Bagatelle genügt«, sagte der Geist, »um diese närrischen Leute so dankerfüllt zu machen.«

      »Eine Bagatelle«, gab Scrooge zurück.

      Der Geist gab ihm ein Zeichen, den beiden Lehrlingen zuzuhören, die ihr Herz in Lobpreisungen auf Fezziwig erleichterten; und als Scrooge das getan hatte, meinte der Geist: »Nun, ist es nicht so? Er hat nur ein paar Pfund Eures irdischen Geldes hingegeben; vielleicht drei oder vier. Macht das soviel aus, daß er deshalb Lob verdient?«

      »Das ist's nicht«, sagte Scrooge, durch diese Bemerkung gereizt, und wie sein früheres, nicht wie sein jetziges Selbst sprechend. »Das ist es nicht, Geist. Er hat die Macht, uns glücklich oder unglücklich, unsern Dienst zu einer Last oder zu einer Bürde, zu einer Freude oder zu einem dauernden Schmerz zu machen. Du kannst sagen, seine Macht liege in Worten und in Blicken, in so unbedeutenden und kleinen Dingen, daß es unmöglich ist, sie herzuzählen. Was schadet das? Das Glück, das er bereitet, ist so groß, als ob es sein ganzes Vermögen gekostet hätte.

      Er fühlte des Geistes Blick und schwieg.

      »Was ist los?« fragte der Geist.

      »Nichts, nichts«, sagte Scrooge.

      »Etwas scheint doch nicht in Ordnung zu sein«, drängte der Geist.

      »Nein«, sagte Scrooge, »nein. Ich möchte nur schnell ein paar Worte mit meinem Diener sprechen. Um weiteres handelt es sich nicht.«

      Sein früheres Selbst löschte die Lampen aus, als er diesen Wunsch aussprach, und Scrooge und der Geist befanden sich wieder im Freien.

      »Meine Zeit geht zu Ende«, sagte der Geist. »Schnell!«

      Diese Aufforderung war nicht an Scrooge oder an jemand, den er sehen konnte, gerichtet; aber es wirkte sofort. Denn wieder sah Scrooge sich selbst. Er war jetzt älter geworden, ein Mann in der Blüte seiner Jahre. Sein Gesicht hatte nicht die schroffen, rauhen Züge wie später, aber es fing schon an, die Merkmale der Sorge und des Geizes zu tragen. In seinem Auge brannte ein unruhiges, habsüchtiges Feuer, das von der Leidenschaft zeugte, die darin einen Nährboden geschlagen hatte und zeigte, wohin der Schatten des wachsenden Baumes fallen würde.

      Er war nicht allein, sondern saß neben einem schönen jungen Mädchen in Trauerkleidung. In ihrem Auge glänzten Tränen, die in dem Lichte schimmerten, das von dem Geist vergangener Weihnachten ausströmte.

      »Es hat nichts zu sagen«, versetzte sie sanft. »Für dich gewiß nicht. Ein anderes Götzenbild hat mich verdrängt; und wenn es dich in späterer Zeit trösten und aufrechterhalten kann, wie ich es versucht haben würde, so habe ich keine Ursache zu klagen.«

      »Welches Götzenbild hätte dich verdrängt?« fragte er.

      »Ein goldenes.«

      »Das ist die Gerechtigkeit der Welt!« sagte er. »Gegen nichts ist sie so feindlich, wie gegen die Armut; und dennoch verdammt sie nichts mit größerer Strenge, als das Streben nach Reichtum.«

      »Du fürchtest das Urteil der Welt zu sehr«, antwortete sie freundlich. »Alle deine andern Hoffnungen sind in der einen verschluckt von dem hoffenden Bemühen der Welt, äußerlich keinen Anlaß zum Tadel zu geben. Ich habe deine edleren Regungen eine nach der anderen verschwinden sehen, bis die eine Leidenschaft nach Gold dich ganz erfüllte. Ist es nicht so?«

      »Und was weiter«, antwortete er. »Selbst wenn ich soviel klüger geworden bin, was weiter? Gegen dich bin ich doch unverändert.«

      Sie schüttelte ihr Haupt.

      »Bin ich anders?«

      »Unser Verlöbnis ist von ehedem. Es wurde geschlossen, als wir beide arm und bei alledem zufrieden waren, bis wir unser Los durch beharrlichen Fleiß verbessern könnten. Du bist ein anderer geworden. Als wir uns verlobten, warst du ein anderer Mensch.«

      »Ich war ein Knabe«, sagte er ungeduldig.

      »Dein eigenes Gefühl sagt dir, daß du nicht so warst, wie du jetzt bist«, antwortete sie. »Ich bin noch immer die gleiche. Das, was uns das Glück versprach, als wir noch eins im Herzen waren, bedeutet uns Kummer und Unglück jetzt, wo wir im Geiste nicht mehr eins sind. Wie oft und wie bitter ich das gefühlt habe, will ich nicht sagen; es ist genug, daß ich es gefühlt habe, und daß ich dich deiner Verpflichtung entbinden kann.«

      »Habe ich meiner Verpflichtung untreu zu werden versucht?«

      »In Worten? Nein. Niemals!«

      »Worin dann?«

      »Durch ein verändertes Wesen, durch eine andere Gesinnung, durch andere Lebenskreise, an die du dich anschlossest, und durch eine andere Hoffnung als auf sein großes menschlich-göttliches Ziel. In allem, was meiner Liebe in deinen Augen einigen Wert gab. Wenn alles Frühere zwischen uns nicht gewesen wäre«, sagte das Mädchen, ihn mit sanftem, aber sicherm Blick ansehend, »sage mir, würdest du mich jetzt aufsuchen und um mich werben? Ach, nein!«

      Er schien die Wahrheit dieser Voraussetzung wider Willen zuzugeben. Aber er versetzte mit Starrsinn: »Du glaubst es also nicht?«

      »Ich wäre glücklich, wenn ich könnte«, sagte sie. »Der Himmel weiß es! Wenn ich eine Wahrheit wie diese erkannt habe, weiß ich, wie stark und unwiderstehlich sie sein muß. Aber wenn du heute oder morgen oder gestern frei wärest, soll ich glauben, daß du ein armes Mädchen wählen würdest, du, der selbst in den vertrautesten Stunden alles nach dem Gewinn taxierst? Oder soll ich mich betören, daß selbst, wenn du für einen Augenblick deinem einzigen leitenden Grundtrieb untreu werden könntest, du sicher einst Enttäuschung und bitteres Bedauern fühlen würdest? Nein; und deswegen gebe ich dir dein Wort zurück. Aus vollem Herzen, um der Liebe willen zu dem, der du einst warst.«

      Es drängte ihn zu sprechen, aber mit abgewandtem Gesicht fuhr sie fort: »Vielleicht – der Gedanke an die Vergangenheit läßt es mich fast hoffen – wird es dich schmerzen. Eine kurze, sehr kurze Zeit, und du wirst dann die Erinnerung daran auslöschen, freudig wie die Gedanken eines unrentablen Traums, von dem zu erwachen es dich beglückte. Mögest du auf dem von dir gewählten Lebensweg glücklich werden!«

      Sie verließ ihn, und so trennten sich ihre Wege.

      »Geist«, sagte Scrooge, »zeige mir nichts mehr, führe mich nach Hause. Warum erfreust du dich daran, mich zu quälen?«

      »Noch ein Schatten«, rief der Geist aus.

      »Nein«, bat Scrooge. »Nein! Ich möchte keinen mehr sehen. Zeige mir keinen mehr.«

      Aber der unnachsichtige Geist hielt ihn mit beiden Händen fest und zwang ihn zu betrachten, was jetzt erfolgte.

      Sie waren nun an einem andern Ort, in einem Zimmer, das war nicht sehr groß oder schön, aber recht behaglich. Neben dem Kamin saß ein schönes junges Mädchen, so ähnlich jener, die Scrooge zuletzt gesehen hatte, daß er glaubte, es sei dieselbe, bis er sie, jetzt eine freundliche Dame, der Tochter gegenübersitzen sah. Der Lärm in dem Raum war wahrhaft tumultuarisch; denn es waren mehr Kinder darin, als Scrooge in seiner Aufregung zählen konnte; und hier führten sich nicht vierzig Kinder wie eins auf, sondern jedes Kind wie vierzig. Die Folge davon war ein unbeschreiblicher Lärm. Aber niemand schien sich darum zu kümmern; im Gegenteil, Mutter und Tochter lachten herzlich und freuten sich darüber. Die letztere, die sich bald in die Spiele mischte, wurde von den kleinen Schelmen gar arg umwirtschaftet. Was hätte ich darum gegeben, eines dieser Kinder zu sein, obwohl ich niemals so unartig gewesen wäre. Nein, nein! Ich hätte um alle Schätze der Welt diese Locken nicht zerdrückt und zerwühlt; und hätte es gegolten, mein Leben damit zu retten, so hätte ich diese lieben, kleinen Schuhe nicht abgezogen.


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