Weihnachtsgeschichten. Charles Dickens

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Weihnachtsgeschichten - Charles Dickens


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mild glänzten, hatte er doch keine Neigung, ihnen zu begegnen.

      »Ich bin der Geist der diesmaligen Weihnacht«, sagte die Gestalt. »Sieh mich an.«

      Scrooge gehorchte mit ehrfurchtsvollem Blick. Der Geist trug ein schlichtes, dunkelgrünes Gewand, mit weißem Pelz besetzt. Die mächtige Brust war entblößt, als verschmähe sie, sich künstlich zu verbergen. Auch die Füße waren nackt und schauten unter den weiten Falten des Gewandes hervor. Auf dem Kopf aber trug er nichts anderes als einen Stechpalmenkranz, in dem hier und da Eiszapfen glänzten. Seine dunkelbraunen Locken wallten lang und frei herab. Sein munteres Gesicht, sein glänzender Blick, seine fröhliche Stimme, sein ungezwungenes Benehmen, alles sprach von Offenheit und heiterm Sinn. Um die Hüften war er mit einer alten Degenscheide gegürtet; aber sie war von Rost zerfressen, und keine Klinge ruhte darin.

      »Du hast meinesgleichen niemals vorher gesehen«, rief der Geist.

      »Niemals«, entgegnete Scrooge.

      Der zweite führende Geist lädt Scrooge zur Wanderung ein.

      »Hast du dich nie mit den jüngern Gliedern meiner Familie abgegeben, ich meine (denn ich bin sehr jung) meine älteren Brüder, die in den letzten Jahren geboren wurden?« fuhr die Erscheinung fort.

      »Ich glaube nicht«, sagte Scrooge. »Ich bedaure, es nicht getan zu haben. Hast du viele Brüder gehabt, Geist?«

      »Mehr als achtzehnhundert«, sagte dieser.

      »Eine schrecklich große Familie für den, der für sie sorgen muß«, murmelte Scrooge.

      Der Geist der diesmaligen Weihnacht stand auf.

      »Geist«, sagte Scrooge unterwürfig, »führe mich, wohin du willst. Ich ging gestern nacht aus Zwang mit, und mir wurde eine Lehre gegeben, die jetzt wirksam ist. Heute bin ich bereit zu folgen, und wenn du mich etwas zu lehren hast, will ich darauf achten.«

      »Berühre mein Gewand.«

      Scrooge tat, wie ihm befohlen worden, und hielt sich fest.

      Stechpalmen, Misteln, rote Beeren, Efeu, Truthähne, Puddings, Früchte und Punsch, alles verschwand im Augenblick. Auch das Zimmer verschwand, das Feuer, der rötliche Schein, die nächtliche Stunde, und sie standen in den Straßen der Stadt, am Morgen des Weihnachtstages, wo die Leute, da es sehr kalt war, eine rauhe, aber fröhliche und nicht ungefällige Musik machten, indem sie den Schnee von dem Straßenpflaster und den Dächern ihrer Häuser zusammenfegten. Dabei aber standen die Kinder und freuten sich und frohlockten, wenn die Schneelawinen von den Dächern herunterstürzten und in künstliche Schneestürme zerstoben.

      Die Hausfronten schauten recht schwarz darein und die Fenster noch schwärzer, verglichen mit der glatten weißen Schneedecke auf den Dächern und dem gelben Schnee auf den Straßen. Dort war er von den schweren Rädern der Wagen und Karren in tiefe Furchen aufgepflügt; Furchen, die sich hundert- und aberhundertmal kreuzten, wo eine Nebenstraße ausging, und in dem dicken, gelben Schmutz und halbgefrorenen Wasser merkwürdige Rinnsale bildeten. Der Himmel war schwer, und selbst die kürzesten Straßen schienen sich in einem dicken Nebel zu verlieren, dessen schwerere Teile in einem rußigen Regen niederfielen, als ob alle Schornsteine von England auf einmal angezündet wären und jetzt nach Herzenslust brannten. Es war nichts Heiteres in der ganzen Umwelt; und doch lag etwas in der Luft, was die klarste Sommerluft und die hellste Sommersonne nicht hätte hervorrufen können. –

      Denn die Leute, die den Schnee von den Dächern kehrten, waren lustig und voll Ausgelassenheit. Sie riefen einander von den Dächern zu und bewarfen einander dann und wann mit Schneebällen – ein gutmütigerer Pfeil als manches Wort – und lachten herzlich, wenn er traf, und nicht weniger herzlich, wenn er vorbeitraf.

      Die Läden der Geflügelhändler waren noch halb geöffnet, und die der Obsthändler strahlten in hellem Glanze. Da sah man große, runde, dickbäuchige Kastanien körbeweise ausgeschüttet, gleich den Bäuchlein lustiger alter Herren, die an ihrer Haustür lehnten oder in apoplektischer Fülle sich auf der Straße trudelten. Da sah man braune, dickbäuchige, breitgedrückte spanische Zwiebeln, die in ihrer Rundheit spanischen Mönchen glichen, wie sie mutwillig den Mädchen winkten, die vorübergingen und verschämt nach dem Mistelzweige schielten. Da sah man Birnen und Äpfel in Pyramiden aufgeschichtet, Trauben, die der Kaufmann in freundlicher Berechnung recht augenfällig am Haken hängen ließ, damit den Vorübergehenden das Wasser kostenlos im Munde zusammenlaufe, Haufen von Lambertsnüssen, bemoost und braun, mit ihrem frischen Duft an vergangene Wanderungen im Wald durch das raschelnde, fußhohe welke Laub erinnernd! Norfolk-Biffins 8, fett und leuchtend, in ihrer Bräune von den goldgelben Orangen abstechend und herrlich einladend, daß man sie in Papiertüten nach Hause tragen und zum Nachtisch verspeisen möge. Ja, selbst die Gold- und Silberfische aus dem dick- und kaltblütigen Geschlecht, die in einem Glase mitten unter den auserlesenen Früchten standen, schienen zu wissen, daß etwas Besonderes los sei, und schwammen in ihrem Element gravitätisch und vornehm umher.

      Und nun erst die Spezereigeschäfte! Fast geschlossen waren sie, vielleicht ein oder zwei Laden vorgezogen; aber welche Herrlichkeiten sah man durch diese Öffnungen! Nicht nur, daß die Wagschalen mit einem fröhlichen Klange auf dem Ladentisch auf und nieder schaukelten, oder daß der Bindfaden und seine Rolle so munter voneinander schieden, oder daß die Büchsen wie Würfelbecher blitzschnell hin und her fuhren, oder daß der vermischte Geruch von Kaffee und Tee der Nase so wohltuend war, die Rosinen so wunderschön, die Mandeln so weiß, die Zimtstengel so lang und gerade, die andern Gewürze so verlockend, die eingemachten Früchte so dick mit Zuckerglasur belegt waren, daß selbst der frostigste Zuschauer entzückt wurde; nicht nur, daß die Feigen so saftig und fleischig waren, oder daß die Reineclauden in bescheidener Koketterie aus ihren geschmückten Büchsen heraus erröteten, oder daß alles so gut zu essen oder so schön in seinem Weihnachtskleid war: das allein war es nicht.... Die Kaufenden waren auch alle so eifrig und eilig in der Vorfreude auf das Fest, daß sie in der Türe gegeneinander rannten, wie von Sinnen mit ihren geflochtenen Körben zusammenfuhren, ihre Einkäufe vergaßen und wieder zurückliefen, um noch nachzuholen, und tausend ähnliche Irrtümer in der bestmöglichen Laune begingen, während der Kaufmann und seine Leute so frisch und froh waren, daß die blinkenden Herzen 9, die ihre Schürzen hinten zusammenhielten, ihre eigenen hätten sein können, die offen zur Schau getragen wurden.

      Aber bald riefen die Glocken das Volk nach den Kirchen und Kapellen; und in ihren besten Kleidern und mit ihren feiertäglichsten Gesichtern gingen die Leute durch die Straßen; und zur gleichen Zeit strömten aus den Nebenstraßen und Gäßchen und unzähligen Winkeln viele, viele Leute, die ihre Pasteten zu dem Bäcker trugen, um sie dort backen zu lassen. Der Anblick dieser nicht mit Glücksgütern gesegneten Lebenskünstler schien den Geist besonders zu interessieren; denn er blieb mit Scrooge in eines Bäckers Torweg stehen und nahm die Deckel von den Schüsseln ab, wenn die Träger vorübergingen, um den Inhalt mit Weihrauch aus seiner Fackel zu durchwehen. Es war eine ganz ungewöhnliche Art von Fackel; einige Male nämlich, als einige Leute zusammengerannt waren und heftige Worte fielen, schüttete der Geist einige Tropfen Tau aus seiner Fackel auf sie nieder, und ihre fröhliche Laune war augenblicklich wieder hergestellt; dann sagten sie, es sei eine Schande, sich am Weihnachtstage zu zanken. Und das war es auch! Bei Gott, das war es!

      Allgemach verstummten die Glocken, und die Läden der Bäcker wurden geschlossen; und doch schwebte noch ein schattenhafter Hauch von allen diesen Mittagessen und dem Fortschritt ihrer Zubereitung in dem getauten, nassen Fleck über jedem Ofen; und in diesem Ofen rauchten die Kacheln, als wenn die Steine selbst kochten.

      »Ist ein besonderer Reiz in dem, was deine Fackel ausstreut?« fragte Scrooge.

      »Ja, mein eigener.«

      »Und wirkt er auf jedes Mittagsmahl heute?« fragte Scrooge.

      »Auf jedes, das gern gegeben wird. Auf das eines Armen am meisten.«

      »Warum auf das eines Armen am meisten?«

      »Weil es desselben am meisten bedarf.«

      »Geist«, sagte Scrooge nach kurzem Nachdenken, »mich wundert's, daß du allein von allen Wesen der mannigfachen Welten um


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