Die kleine Trostapotheke. Anselm Grün

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Die kleine Trostapotheke - Anselm Grün


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uns in bedrängenden Situationen nicht nur die Erfahrungen anderer Menschen, sondern auch die Worte der Bibel. Sie lösen nicht einfach unsere Probleme. Aber wenn wir sie in unsere innere oder äußere Not hineinsprechen, schauen wir gleichsam mit einer anderen Brille auf unsere Situation. Wir heben die Fixierung auf das auf, was uns niederdrückt, und heben unseren Blick, damit wir gleichsam von oben, von Gott her, auf unsere Situation schauen. Dann relativiert sich manche Not und wir kommen durch die Worte der Bibel in Berührung mit der Weisheit unserer eigenen Seele.

      So wünschen wir der Leserin und dem Leser, dass unsere Erfahrungen und die Worte der Bibel, die uns oft geholfen haben, unser Leben in einem anderen Licht zu betrachten, auch ihnen zum Trost werden.

      Der Buchtitel spricht von einer Trostapotheke. Das Wort »Apotheke« kommt aus dem Griechischen und bedeutet ursprünglich »Abstellraum« oder »Vorratskammer«. In den Klöstern wurde dieser Begriff gerne für den Vorratsraum verwendet, in dem die Heilkräuter aufbewahrt wurden. Der Apotheker ist ursprünglich der Lagerverwalter, der sich auskennt in dieser Kammer, der die richtigen Kräuter findet, wenn ein Kranker ärztliche Hilfe braucht.

      In diesem Buch werden keine Heilkräuter aufbewahrt, sondern Erfahrungen der beiden Autoren und der geistlichen Tradition. Und eine Abteilung der Trostbibliothek bietet uns biblische Worte an, auf die wir zurückgreifen können, je nachdem, in welcher Not wir uns gerade befinden. So wünschen wir den Leserinnen und Lesern, dass jeder das in der Trostapotheke findet, was ihn tröstet und aufrichtet und was ihm hilft, mit sich und seinem Leben im Alltag gut zurechtzukommen.

      P. Anselm Grün

      Br. Ansgar Stüfe

      Anselm Grün

      In Gesprächen höre ich immer wieder die Klage: »Ich fühle mich so allein, so einsam. Keiner hat Zeit für mich. Vor allem abends, wenn ich allein in meiner Wohnung bin, habe ich das Gefühl, dass mir die Decke auf den Kopf fällt. Ich fühle mich verlassen von allen Freunden. Keiner ruft mich an. Keiner denkt an mich. Ich frage mich dann oft, welchen Sinn mein Leben hat. Mich vermisst ja doch kein Mensch.«

      Die Bibel kennt solche Situationen der Einsamkeit. Im Alten Testament in den Klageliedern bedauert der Autor zunächst das Schicksal des Volkes Israel nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem: »Weh, wie einsam sitzt da die einst so volkreiche Stadt. Einer Witwe wurde gleich die Große unter den Völkern. Die Fürstin über die Länder ist zur Fron erniedrigt. Sie weint und weint des Nachts, Tränen auf ihren Wangen. Keinen hat sie als Tröster von all ihren Geliebten. Untreu sind all ihre Freunde, sie sind ihr zu Feinden geworden« (Klagelieder 1,1f).

      Diese Worte kann ich auch auf mein persönliches Leiden an der Einsamkeit beziehen: »Früher stand ich einmal im Mittelpunkt vieler Menschen; in meinem Beruf war ich anerkannt. Jetzt sitze ich einsam da, und niemand denkt mehr an mich. Was ich geleistet habe, das ist für immer vergessen.«

      Im dritten Kapitel der Klagelieder bedenkt ein einzelner Mensch seine Einsamkeit. Er nimmt sie an und spürt zugleich die Hoffnung, dass Gott sie wandelt: »Er sitze einsam und schweige, wenn der Herr es ihm auflegt. Er beuge in den Staub seinen Mund, vielleicht ist noch Hoffnung. Er biete die Wange dem, der ihn schlägt, und lasse sich sättigen mit Schmach. Denn nicht für immer verwirft der Herr. Hat er betrübt, erbarmt er sich auch wieder nach seiner großen Huld. Denn nicht freudigen Herzens plagt und betrübt er die Menschen« (Klagelieder 3,28–33).

      Wenn ich diese beiden Texte lese, erlaube ich mir, über meine Einsamkeit zu klagen und mich selbst zu bedauern, dass ich mich so allein fühle. Aber zugleich spüre ich mitten in meiner Klage die Hoffnung, dass Gott meine Einsamkeit verwandelt. Wenn ich mich in meiner Einsamkeit an Gott wende, bin ich schon nicht mehr ganz allein. Ich kann mit Gott über mein Alleinsein sprechen.

      Der Schweizer Psychoanalytiker Peter Schellenbaum meint, die Antwort auf den Schmerz über mein Alleinsein sei, mein Alleinsein in ein All-Eins-Sein zu verwandeln. Wenn ich mich in meinem Alleinsein eins fühle mit Gott und mit allen Menschen, dann fühle ich mich getragen. Ich fühle mich nicht mehr allein gelassen, vergessen, verachtet. Ich bin zugehörig zur großen Gemeinschaft der Menschen. Ich spüre im Einssein mit Gott und mit den Menschen zugleich ein Einssein mit mir selbst, ein Einverstandensein mit mir als dieser einmaligen Person, die sich jetzt allein fühlt, die aber in der Tiefe ihrer Seele eins ist mit allen Menschen auf der weiten Welt. Dann bin ich nicht mehr fixiert auf mich selbst, sondern spüre die Verbundenheit mit allen Menschen und mit der Schöpfung.

      Ein Text, der uns in der Einsamkeit trösten kann, ist für mich Jesaja 54. Die ersten Sätze lauten: »Freu dich, du Unfruchtbare, die nie gebar, du, die nie in Wehen lag, brich in Jubel aus und jauchze! Denn die Einsame hat jetzt viel mehr Söhne als die Vermählte, spricht der Herr. Mach den Raum deines Zeltes weit, spann deine Zelttücher aus, ohne zu sparen. Mach die Stricke lang und die Pflöcke fest!« (Jesaja 54,1f).

      In diesem Text wird die Einsamkeit verbunden mit zwei anderen Nöten: der Erfahrung der Unfruchtbarkeit und des mangelnden Selbstvertrauens. Wer sich allein fühlt, hat den Eindruck, dass sein Leben keine Frucht bringt, dass niemand sich um ihn kümmert, dass man sein Leben lebt, ohne dass jemand anderer davon Kenntnis nimmt. Oft genug nagt das Gefühl des Alleinseins am Selbstvertrauen. Man macht sich Vorwürfe, warum man allein ist. Man ist offensichtlich nicht wichtig für die anderen. Man hat ja nichts anzubieten, fühlt sich langweilig. Im Gespräch kann man nichts zur Unterhaltung beitragen. So vergräbt man sich immer mehr in diese drei Gefühle: Ich bin einsam, ich bringe keine Frucht und ich habe kein Selbstvertrauen.

      Wenn ich diesen Text in diese drei Haltungen hineinfallen lasse und für mich meditiere, dann kann er zum Trost werden, nicht zur Vertröstung. Ich kann erahnen und vielleicht auch glauben: Ja, ich bin einsam. Aber es gibt doch auch Freunde. Ich fühle mich mit vielen Menschen verbunden. Ich werde auch wahrgenommen und gesehen. Es liegt an mir, ob ich mich für die Menschen öffne und mich mit ihnen verbunden fühle. Ich werde spüren: Ja, gegenüber anderen kann ich nicht viel vorweisen. Aber mein Leben hat doch schon Frucht gebracht. Ich durfte anderen helfen, sie stützen. Ich war für andere schon ein Segen.

      Für die ersten beiden Haltungen – Alleinsein und Fruchtlosigkeit – gelten die Worte der Verheißung. Es geht darum, diesen zu trauen. Für die dritte Haltung – das Selbstvertrauen – fordert uns der Text auf, selbst etwas zu tun. Wir sollen den Raum unseres »Zeltes« weit machen und die »Zelttücher ausspannen«. Ich darf nicht darauf warten, bis Gott mir von sich aus mehr Selbstvertrauen schenkt. Ich soll vielmehr seiner Verheißung vertrauen und selbst aktiv werden. Ich soll mich innerlich weiten.

      Der Prophet spricht in Bildern: Ich soll den Raum meines Zeltes weit machen, damit viele Menschen darin Platz finden, damit ein Miteinander entstehen kann. Doch wie kann ich diese Bilder konkret umsetzen?

      Für mich könnte da helfen: Ich setze mich hin und atme langsam ein und aus. Ich stelle mir vor, dass sich beim Einatmen mein Brustkorb weitet. Und mit dem Brustkorb weitet sich mein Herz. In der Weite des Herzens wird auch meine Fixierung auf mein mangelndes Selbstvertrauen aufgebrochen. Da ahne ich etwas von der eigenen Würde, vom eigenen Selbstwert. Mein Herz wird offen für die Menschen, die ich kenne. In diesem weiten Herzen finden viele Platz. Da bin ich nicht mehr allein. Wenn ich mein Herz weite, sind noch keine anderen Menschen da, die in mein Zelt eintreten. Aber ich bin offen für sie. In dieser Offenheit spüre ich schon eine Beziehung zu ihnen. Ich isoliere mich nicht mehr, sondern ich öffne mich, dass andere Menschen bei mir eintreten können.

      Ansgar Stüfe

      Kürzlich saß ich mit mehreren Personen zusammen, die unterschiedlich alt waren. Der Älteste schilderte schließlich seine Empfindungen, die ihn plagten. Vor allem fühle er sich einsam, sagte er. Niemand besuche ihn, niemand frage nach seinen Gedanken, und überhaupt werde er nur noch als Auslaufmodell bezeichnet.

      Diese Schilderung hat mich getroffen, weil die Vorwürfe auch mich trafen. Ich fragte ihn nie nach seinen Ansichten und war auch noch nie auf die Idee gekommen, ihn zu besuchen. Warum wohl? Viele seiner Ansichten gefielen mir nicht und es war auch schon immer schwierig, ihm zu widersprechen. Dann wurde er in der Regel heftig und hielt bestimmte früher vorgetragene Ansichten nach Jahren noch als


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