Die Memoiren des Sherlock Holmes. Arthur Conan Doyle
Читать онлайн книгу.hat.«
Holmes spitzte die Ohren.
»Wir haben Spuren gefunden, die beweisen, daß Montagnacht eine Schar Zigeuner weniger als eine Meile von der Stelle entfernt lagerte, wo sich der Mord ereignete. Am Dienstag waren sie verschwunden. Einmal angenommen, es hätte eine Absprache zwischen Simpson und diesen Zigeunern gegeben, wäre es dann nicht denkbar, daß er gerade dabei war, das Pferd zu ihnen zu bringen, als er überrascht wurde, und daß sie es jetzt haben?«
»Das ist gewiß möglich.«
»Das Moor wird nach diesen Zigeunern abgesucht. Außerdem habe ich jeden Stall und jede Scheune von Tavistock überprüft, und zwar im Umkreis von zehn Meilen.«
»Wie ich höre, gibt es ganz in der Nähe noch einen Trainingsstall?«
»Richtig, und das ist ein Faktor, den wir gewiß nicht außer acht lassen dürfen. Da ihr Pferd Desborough nach den Wetten auf dem zweiten Platz stand, hatten jene Leute ein Interesse am Verschwinden des Favoriten. Von Silas Brown, dem Trainer, weiß man, daß er für das Rennen hohe Beträge gesetzt hat; und er war kein Freund des armen Straker. Wir haben die Ställe allerdings überprüft, und es gibt nichts, was ihn mit der Affaire in Verbindung brächte.«
»Und auch nichts, was diesen Simpson mit den Interessen des Capleton-Stalles in Verbindung brächte?«
»Überhaupt nichts.«
Holmes lehnte sich im Wagen zurück, und das Gespräch brach ab. Ein paar Minuten später hielt unserer Fahrer vor einem schmucken, kleinen, roten Ziegelsteinhaus mit vorspringenden Dachtraufen, das an der Straße stand. Ein Stück weiter weg lag jenseits einer Koppel ein langgestrecktes Nebengebäude aus grauen Ziegeln. Nach jeder anderen Richtung erstreckten sich bis zum Horizont die flachen, vom welkenden Farn bronze gefärbten Hügel des Moors, unterbrochen nur von den spitzen Giebeln von Tavistock und einer Häusergruppe weit im Westen, den Stallungen von Capleton. Wir sprangen alle vom Wagen, mit Ausnahme von Holmes, der zurückgelehnt sitzen blieb, den Blick auf den Himmel vor ihm gerichtet und ganz und gar in Gedanken vertieft. Erst als ich ihn am Arm berührte, schreckte er heftig auf und stieg aus dem Wagen.
»Entschuldigung«, sagte er, indem er sich an Colonel Ross wandte, der ihn einigermaßen überrascht angesehen hatte. »Ich war in Gedanken woanders.« In seinen Augen zeigte sich ein Glanz und in seinem Verhalten eine unterdrückte Erregung, die mich, der ich ja mit seiner Art vertraut war, davon überzeugten, daß er auf eine Spur gestoßen war, wiewohl ich mir nicht vorstellen konnte, wo er sie gefunden hatte.
»Vielleicht würden Sie es vorziehen, sich sogleich zum Schauplatz des Verbrechens weiterzubegeben, Mr. Holmes?« sagte Gregory.
»Ich denke, ich würde es vorziehen, ein wenig hier zu verweilen und das eine oder andere Einzelproblem genauer zu untersuchen. Straker wurde hierhergebracht, nehme ich an?«
»Ja, er liegt oben. Die gerichtliche Leichenschau3 findet morgen statt.«
»Er stand schon seit einigen Jahren in Ihren Diensten, Colonel Ross?«
»Er war mir stets ein ausgezeichneter Angestellter.«
»Ich nehme an, Sie haben ein Verzeichnis dessen angelegt, was er zum Zeitpunkt seines Todes in den Taschen trug, Inspektor?«
»Ich habe die Sachen selbst im Wohnzimmer, wenn Sie sie gern sehen möchten.«
»Das wäre mir sehr lieb.«
Wir traten alle nacheinander ins Vorderzimmer und nahmen um den Tisch in der Mitte Platz, während der Inspektor eine viereckige Blechkassette aufschloß und ein kleines Häufchen von Gegenständen vor uns ausbreitete. Es handelte sich um eine Schachtel Streichhölzer, eine zwei Inch lange Talgkerze, eine A.D.P.-Bruyèrepfeife4, einen Seehundsfellbeutel mit einer halben Unze Cavendish-Grobschnitt, eine silberne Uhr an einer goldenen Kette, fünf Sovereigns in Gold5, ein Bleistiftkästchen aus Aluminium, einige Papiere und ein Messer mit Elfenbeingriff und sehr feiner, starrer Klinge, die die Aufschrift Weiss & Co., London, trug.
»Das ist ein sehr eigenartiges Messer«, meinte Holmes, indem er es in die Hand nahm und eingehend musterte. »Da ich Blutflecken darauf erkenne, nehme ich an, es ist dasjenige, welches man in der Hand des Toten gefunden hat. Watson, dieses Messer schlägt gewiß in Ihr Fach.«
»Wir bezeichnen dergleichen als Starmesser«, sagte ich.
»Das dachte ich mir. Eine sehr feine Klinge, für sehr feine Arbeit vorgesehen. Seltsam, daß jemand so etwas auf einen ungemütlichen Gang mitnimmt, zumal man es nicht zusammengeklappt in der Tasche tragen kann.«
»Die Spitze war mit einem Korkscheibchen geschützt, das wir neben dem Leichnam fanden«, sagte der Inspektor. »Strakers Frau sagt uns, das Messer habe einige Tage auf der Anrichte gelegen und er habe es mitgenommen, als er aus dem Zimmer ging. Es war eine klägliche Waffe, aber vielleicht die beste, die er gerade finden konnte.«
»Sehr gut möglich. Was ist mit diesen Papieren?«
»Drei davon sind quittierte Rechnungen von Heuhändlern. Eines ist ein Brief mit Anweisungen von Colonel Ross. Das hier ist eine Putzmacherrechnung über siebenunddreißig Pfund und fünfzehn Shilling, ausgestellt von Madame Lesurier in der Bond Street für William Darbyshire. Mrs. Straker sagt uns, Darbyshire sei ein Freund ihres Mannes, und gelegentlich sei seine Post hierhergeschickt worden.«
»Madame Darbyshire hat einigermaßen kostspielige Neigungen«, bemerkte Holmes, als er die Rechnung überflog. »Zweiundzwanzig Guineen6 sind ziemlich üppig für ein einziges Kostüm. Hier scheint sich allerdings nichts weiter in Erfahrung bringen zu lassen, und so können wir nun zum Schauplatz des Verbrechens hinübergehen.«
Als wir das Wohnzimmer verließen, trat eine Frau, die im Flur gewartet hatte, auf uns zu und legte dem Inspektor die Hand auf den Ärmel. Ihr Gesicht war verhärmt, abgezehrt und ängstlich besorgt, gezeichnet von jüngst erlittenen Schrecken.
»Haben Sie sie gefaßt? Haben Sie sie gefunden?« stieß sie hervor.
»Nein, Mrs. Straker; aber Mr. Holmes hier ist aus London gekommen, um uns zu helfen, und wir werden alles Menschenmögliche tun.«
»Ich habe Sie doch kürzlich in Plymouth auf einer Gartenparty getroffen, Mrs. Straker«, sagte Holmes.
»Nein, Sir, Sie irren sich.«
»Meine Güte; ich hätte wahrhaftig darauf schwören können. Sie trugen ein Kostüm aus taubengrauer Seide mit einem Besatz von Straußenfedern.«
»Ein solches Kleid habe ich nie besessen, Sir«, antwortete die Dame.
»Aha; damit hat sich das wohl erledigt«, sagte Holmes; und mit einer Entschuldigung folgte er dem Inspektor nach draußen. Ein kurzer Gang übers Moor brachte uns zu der Senke, in der man den Leichnam gefunden hatte. An ihrem Rand stand der Ginsterstrauch, an dem der Mantel gehangen hatte.
»In jener Nacht herrschte kein Wind, wie ich hörte«, sagte Holmes.
»Nein; aber sehr heftiger Regen.«
»In diesem Fall ist der Mantel nicht gegen die Ginstersträucher geweht, sondern hingehängt worden.«
»Ja, er wurde über den Strauch gebreitet.«
»Sie wecken mein Interesse. Wie ich sehe, ist der Boden ganz erheblich zertrampelt worden. Zweifellos sind seit Montagnacht viele Füße darübergelaufen.«
»Man hat hier nebenan eine Matte hingelegt, und auf der haben wir alle gestanden.«
»Ausgezeichnet.«
»In dieser Tasche habe ich einen von den Stiefeln, die Straker trug, einen von Fitzroy Simpsons Schuhen und ein altes Hufeisen von Silberstern.«
»Mein lieber Inspektor,