Auf den Flügeln der Liebe. Barbara Cartland
Читать онлайн книгу.zu offen und hitzig denke, denke ich mir, daß kein Anlaß zur Sorge besteht.«
Die Herzogin hatte ihre Stimme fast zu einem Flüstern gesenkt. Doch dann brach sie wieder in dieses Kichern aus, das durch das Zimmer hallte.
»Aber warum soll ich einen so hübschen jungen Mann mit derartigen Dingen langweilen? Erzählen Sie mir von sich, Monsieur! Für einen Mann gibt es kein interessanteres Thema.«
»Ich würde viel lieber mehr aus Ihrem Leben erfahren, Madame«, entgegnete Armand. »Ich finde meine eigene Geschichte oft unerträglich langweilig, Ihre jedoch ist sicherlich höchst interessant.«
Die Herzogin lachte noch, als Rêve ins Zimmer zurückkehrte. Sie trug ein Silbertablett, auf dem zwei Gläser und eine Karaffe mit Wein standen.
Armand und die Herzogin tranken zusammen ein Glas Wein, und als die Gläser geleert waren, stand Armand auf, um sich zu verabschieden.
Die wenigen Sätze, die er mit Rêve wechselte, waren höfliche Phrasen, doch er las viel in ihren Augen und in der Berührung ihrer Finger, als er sie an seine Lippen hob.
Die Herzogin entließ ihn scherzend, hänselte ihn wegen der lustigen Zeit, die er in Paris verbringen würde. Und als er schließlich die Auffahrt hinabritt, war er nicht sicher, ob er durch seinen kühnen Besuch etwas gewonnen oder sich etwas verscherzt hatte.
Der verbleibende Tag zog sich träge dahin, und Armand erwartete mit einer Ungeduld, die an sich schon ein völlig neues Gefühl für ihn war, den Einbruch der Dunkelheit.
Er aß zeitig zu Abend und machte sich viel zu früh auf den Weg durch das Dorf und den Pfad entlang, der zu dem Loch in der Mauer führte. Seine Füße trugen ihn so schnell und behände wie schon lange nicht mehr.
Er versuchte, über sich selbst zu lachen, sich einzureden, daß die französische Luft und der französische Wein ihm zu Kopf gestiegen seien, doch wußte er nur zu gut, daß diese Ungeduld seinem Herzen entsprang und sich nicht verleugnen ließ.
Der kleine See zwischen den Bäumen - wie Armand inzwischen erfahren hatte - war der letzte einer langen Kette von Seen, die sich vom Château zum Wald erstreckten und lag so still und silbern vor ihm wie in der Vormacht.
Nur der Mond schien heller auf den Tempel, so hell, daß es beinahe blendete, und die dunklen Schatten der Bäume hoben sich geheimnisvoll gegen das Licht ab.
Der Tempel war leer, ganz wie Armand es erwartet hatte. Er setzte sich auf die Stufen und wartete. Dabei versuchte er, sich die Gefühle und Regungen der letzten vierundzwanzig Stunden zu erklären, doch es gelang ihm nicht.
Er konnte nur angespannt dasitzen und darauf warten, daß Rêve erscheinen würde. Ein paar Minuten lang fürchtete er schon, sie würde vielleicht gar nicht kommen. Was tue ich dann? fragte er sich ängstlich, hörte jedoch im selben Moment hinter sich etwas rascheln.
Er wandte sich um. Rêve stand oberhalb von ihm zwischen den Säulen des Tempels.
Er hatte nicht erwartet, daß sie aus dieser Richtung kommen würde. Im ersten Augenblick rührte er sich nicht von der Stelle, sondern sah sie nur an. Sie trug ein Abendkleid aus Satin, das mit winzigen Perlen bestickt war; ihr Haar hatte sie hochgesteckt und mit einem Band zusammengebunden.
Sie stand abwartend da, und als er schließlich aufstand und auf sie zuging, waren Worte überflüssig. Er streckte die Arme aus und zog Rêve zärtlich an sich.
Sie vermochte ihm nicht zu widerstehen. Es war, als könne sie nicht länger gegen etwas kämpfen, das stärker war als alle Anstandsregeln. Sie beugte den Kopf, der an seiner Schulter ruhte, zurück; er sah ihre Augen, die in seine blickten, ihre Lippen, die warteten.
Er küßte sie, zuerst zärtlich und sanft, wie man ein Kind liebkost, dann heftiger, leidenschaftlicher, verlangender, bis er schließlich spürte, daß das Feuer in ihm auf sie übersprang.
Sie umarmten sich fester, preßten ihre Körper noch stärker gegeneinander, bis sie vereint schienen - unzertrennbar für alle Zeiten.
3
Rêve erwachte, öffnete die Augen und blieb noch eine Weile liegen. Sie beobachtete die Sonne, die mit schmalen, goldenen Strahlen die dicken Vorhänge, die die Fenster ihres Schlafzimmers verhüllten, durchdrang.
Als Kind hatte sie immer in diesem Raum geschlafen, und nicht nur aus Sentimentalität hatte sie sich wieder für dieses Zimmer entschieden, als sie ins Château zurückkehrte. Sie tat es auch aus dem glühenden Wunsch heraus, die Glückseligkeit, die Zufriedenheit und den inneren Frieden der Jahre vor der Revolution wiederzuerlangen.
Sie hatte gespürt, daß die weißen Wände mit dem Muster aus Goldrosen, die mit molligen, lächelnden Putten bemalte Decke und die Fenster, von denen man auf den See blickte, einen Zauber in sich bargen, der sie zurück in die glückliche Vergangenheit trug.
Doch ein Zimmer konnte ihr das, wonach sie sich sehnte, auch nicht geben, und so fand sie innerhalb der Mauern ihres alten Zuhauses nichts weiter als die Sehnsucht nach ihrer verlorenen Kindheit und die Angst vor der Zukunft.
Mehr noch - sie wurde gequält von den Erinnerungen an den Terror, Erinnerungen, die wie eine nicht ausgeheilte Wunde bei allem, was sie tat, schmerzten.
Es gab nicht einen Tag, an dem sie sich, wenn sie die Vorhalle durchquerte und die kunstvolle, sich verjüngende Treppe hinaufging, nicht der rohen Schreie und des Schlagens gegen die Außentür, das das Nahen der Revolutionäre ankündigte, erinnerte.
Sie sah im Geiste wieder ihren Vater vor sich, wie er langsam die Stufen herabkam, fein gekleidet wie immer. Die Diamanten an seinem Hals glitzerten im Schein des Kronleuchters, in den schmalen Fingern hielt er seine goldene Schnupftabakdose so lässig, als wäre er im Begriff, ein paar willkommene Freunde zu bewirten.
Als sie einander auf der Treppe trafen, blieb er stehen, und als Rêve mit angsterfülltem Gesicht zu ihm aufsah, hob er ihr Kinn und blickte ihr einen Moment lang in die Augen. Dann sagte er ruhig: »Es gibt nur eine Sache, wovor man Angst haben muß, mein Kind, und zwar davor, Angst zu haben.«
Rêve hatte ihn kaum gehört. Obgleich sie noch sehr klein war, spürte sie, daß irgendetwas Folgenschweres und Furchterregendes ihr Leben bedrohte.
Sie streckte die Arme nach ihrem Vater aus und klammerte sich an ihn, merkte gar nicht, daß sie zitterte, nahm nur wahr, daß die Schreie und das Klopfen an der Außentür lauter und heftiger wurden.
Der Graf beugte sich zu ihr hinab, küßte sie, und für einen kurzen Augenblick ruhten seine Lippen auf ihrer Stirn; dann wandte er sich mit einem leichten Lächeln der jungen Kinderfrau zu, die hinter ihnen stand.
»Allons, Antoinette!« sagte er und stieg weiter die Treppe hinab.
Danach war alles nur ein einziger Alptraum aus Zusammenhanglosigkeit und Schrecken. Antoinette schmuggelte Rêve über eine geheime Treppe in einen uralten Durchgang, der vor langer Zeit unterhalb des Sees gegraben worden war und der, da er lange nicht benutzt worden war, feucht war und stank.
Als sie zwanzig Minuten später ins Freie gelangten, war ihr nach dem muffigen Gestank unter der Erde die Luft erstaunlich süß und frisch vorgekommen. Nachdem sie ihre Lungen mit Luft gefüllt hatten, standen sie im Schutz des Waldes und blickten auf das Château zurück.
Sämtliche Fenster waren hell erleuchtet. In manchen von ihnen brannten Wachskerzen, die zu dieser Stunde immer in den großen Kristallüstern und den mit dem Wappen verzierten Silberleuchtern angezündet wurden; hinter den anderen Fenstern jedoch glühten die in Teer getauchten Fackeln der Revolutionäre rot wie Blut.
Erst einige Jahre später erfuhr Rêve, daß ihr Vater den betrunkenen, mörderischen Pöbelhaufen höflich und würdevoll begrüßt hatte, was den Blutrausch der Revolutionäre für eine Weile dämpfte.
Sein unbezähmbarer Mut hatte ihm tatsächlich für den Augenblick das Leben gerettet, aber als er nach Paris gebracht und dort in den Kerker geworfen wurde, wurde das Todesurteil über ihn verhängt, und wenig später stieg er mit einem