Zenjanisches Feuer. Raik Thorstad
Читать онлайн книгу.Namen lege. Das eine ist meine Berufung, die werde ich wohl kaum vergessen. Und den Namen habe ich mir nicht verdient, sondern bin mit ihm geboren worden. Also fühle ich mich nicht gleich in meiner Ehre gekränkt, wenn man ihn weglässt.«
Zum dritten Mal innerhalb weniger Minuten lag Thalid eine Entschuldigung auf der Zunge, aber sie wusste es besser, als sie auszusprechen. Das hätte ihr nur eine weitere Standpauke eingebracht. »Ja, Venika«, sagte sie stattdessen. »Soll ich nach den Silberfassungen von gestern sehen?«, fügte sie sofort hinzu, um nicht untätig zu wirken.
Venikas üppiger Mund verzog sich ungnädig. »Nein, das habe ich schon erledigt. Wasch lieber die Mörser aus. Und bau die Ölpresse auf. Uns gehen die Vorräte an Würzölen aus. Wenn wir nicht bald für Nachschub sorgen, werden uns die feinen Damen und Herren wieder in den Ohren liegen.«
Thalid deutete eine Verbeugung an, dann nahm sie sich ihrer ersten Aufgaben für den Tag an. Während sie wie angeordnet den Mörser auswusch, dachte sie darüber nach, wie abfällig Venika stets von den Reichen des Landes sprach. Von ihnen und manchmal auch von den Magiern, die sich ihrer Meinung nach allzu viel auf ihre Namen einbildeten.
Die wenigsten Menschen in Sunda führten einen Nachnamen. Nur die Handelsherren und reiche Gildenvorsteher trugen einen als Manifestation ihrer Stellung. Und manchmal – wie in Venikas Fall – auch ihre Nachkommen. Dass den Magiern, die ihre Abschlussprüfungen bestanden hatten, dasselbe Privileg zustand, war eine uralte Tradition und entsprechend verbissen verharrten die meisten darauf, mit vollem Namen und Titel angesprochen zu werden.
Venika nicht. Sie stellte sich gegen vieles, was Tradition und guten Sitten entsprach. So hieß es, dass sie sich vor einigen Jahren geweigert hatte, den Titel der Großmeisterin der Luft anzunehmen – etwas, was als ganz und gar unerhört galt. Zum Großmeister einer der sechs Magieschulen berufen zu werden, war eine ungeheure Ehre und der Traum aller Magier. Und doch hatte Venika dankend verzichtet und war in ihre stets nach geschmolzenem Teer und Qualm riechende Werkstatt zurückgekehrt.
Darüber hinaus weigerte sie sich, Aufträge von Handelsherren anzunehmen, die sie nicht mochte, schlug die zahlreichen Bitten, ihr den Hof machen zu dürfen, mit eisiger Empörung aus und hatte sich ausgerechnet die unfähigste Novizin der Akademie als Gehilfin erwählt.
Eine Novizin, der es nicht einmal gelingt, morgens pünktlich aus dem Bett zu kommen, dachte Thalid missmutig, während sie angetrocknete Pflanzenreste aus den Mörsern schrubbte.
Sie verstand Venikas Wahl bis heute nicht und darin war sie sich mit den übrigen Magiern und Novizen ausnahmsweise einig. An einem Ort, an dem Feuer ein zuverlässiges Werkzeug sein musste, war sie nicht gut aufgehoben. Bisher hatte sie keinen Zwischenfall verursacht. Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis ihre Kräfte mit ihr durchgingen und sie das Dach des wichtigsten magischen Gebäudes der Welt in Brand setzte.
Venika eilte an ihr vorbei. Wie so oft hatte sich ein Großteil ihrer braunen Lockenpracht aus dem Knoten an ihrem Hinterkopf gelöst und flatterte unbändig hinter ihr her. Wie es ihr gelang, die langen Strähnen aus siedenden Tränken, geschmolzenem Metall und Flammen herauszuhalten, war Thalid schleierhaft. Sie selbst hielt ihr Haar nicht grundlos so kurz geschoren, dass es ihr nicht in die Quere kommen konnte.
Sie unterdrückte ein Seufzen. Ihre Hände verharrten im schmutzigen Wasser.
Manchmal – und heute schien ein solcher Tag zu sein – wurde ihr in Venikas Gegenwart die eigene Unzulänglichkeit bewusster denn je. Ihre Dienstherrin hatte und war alles, was Thalid fehlte. Sie war eine hoch talentierte Magierin, die sich für einen ungewöhnlichen, aber selbstbestimmten Weg entschieden hatte, war trotz ihrer manchmal barschen Art bei den Kollegen und Novizen beliebt, von reicher Herkunft, sodass sie als Kind sicher keinerlei Entbehrungen erfahren hatte, und zudem mit ihrer zierlichen Gestalt und dem ausnehmend filigranen Gesicht eine Schönheit, die alle Blicke auf sich zog.
Letzteres sollte in Thalids Überlegungen keine Rolle spielen, das war ihr sehr wohl bewusst. Nur dachte sie oft heimlich, dass ihr Leben leichter wäre, wenn sie Venika wenigstens äußerlich etwas ähnlicher gewesen wäre. Dann wäre sie immer noch für ihre Unfähigkeit, auch nur eine Pfütze aufzuwischen, ausgelacht worden, aber man hätte sie wenigstens nicht als Wüstentrampel beschimpft. Sie bot der Welt schlicht zu viel Angriffsfläche, genau wie die Strohpuppen vor der Kaserne der Stadtwache, deren einziger Zweck es war, sich von Armbrustbolzen durchlöchern zu lassen.
Die Ungerechtigkeit nährte einen der zahlreichen Funken in Thalids Innern und ließ Ärger keimen. Sie war nicht ohne Talent. Bei ihrem Einstand hatte man ihr großes Potenzial bescheinigt. Nur ließ es sich trotz größter Mühe in keine Form zwingen, die irgendjemandem von Nutzen war. Die anderen Magier heilten Kranke, beschworen Elementare, leiteten Flüsse um, riefen Winde in leere Segel, schufen Frieden in rastlosen Seelen oder ließen Pflanzen wachsen.
Worin lag der Sinn ihrer Macht? Darin, innerhalb eines Tages ein ganzes Waldstück zu roden? Oder einen Stadtteil abzubrennen, der neu aufgebaut werden sollte? Früher, ja, da hatte man solche wie sie für das Schlachtfeld ausgebildet, hätte sie sogar hofiert, damit sie Feuer vom Himmel fallen ließen.
Doch die Zeit der beständigen Kriege war vorüber. Die letzten Kampfmagier waren längst tot und vergessen. Wenn sich die Handelsherren in ihrer Gier nach Reichtum und Landbesitz in die Quere kamen, setzten sie niederes Gelichter wie Meuchelmörder ein. Für Thalid gab es keine Verwendung.
Die meiste Zeit über konnte sie sich damit abfinden, wenigstens keinen Schaden anzurichten, wenn sie schon nichts Gutes zuwege brachte. Aber ab und zu, tief in der Nacht und wenn die Novizen sie besonders hartnäckig beleidigt hatten, wünschte sie sich die alten Zeiten zurück. Dann stellte sie sich vor, gemeinsam mit einer Eskorte aus blutrünstigen Kampfpriestern des Qorton in eine feindliche Stadt einzufallen und ein Haus nach dem anderen in Flammen aufgehen zu lassen. Nur ein einziges Mal wollte sie ihre Kräfte entfesseln – nicht zurückhalten – und die Welt zahlen lassen. Für jede Beleidigung, jeden abfälligen Blick, jedes Kichern hinter ihrem Rücken. Meistens unterbrach sie ihre gewalttätigen Träumereien in dem Augenblick, in dem sie merkte, dass sie keineswegs eine fremde Stadt überfiel, sondern durch ein brennendes Auralis zog.
Ein Tropfen rollte von Thalids Nase und fiel ins Schmutzwasser. Im ersten Augenblick hielt sie ihn für eine Träne. Dann wurde ihr bewusst, dass das Wasser um ihre Hände brodelte und sich Dampf auf ihrem Gesicht abgesetzt hatte. Erschrocken besann sich Thalid ihrer Lektionen in Selbstbeherrschung und schloss den Quell, der ungebeten in ihr aufgesprungen war.
Während das Wasser abkühlte, sah sie sich verstohlen um. Venika schien nichts von dem Zwischenfall bemerkt zu haben. Das war wenigstens ein kleiner Segen. Als Thalid sich wieder den Mörsern zuwandte, stellte sie fest, dass zwei von ihnen durch die Hitze verformt worden waren.
Die folgenden Stunden verbrachte sie mit einer Reihe Arbeiten, die eher in einen Handwerksbetrieb als in eine Akademie passten. Sie schnitt die gelblich schimmernden Schoten getrockneter Pflanzen auf, gab sie in die kleine Ölpresse und drehte die Kurbel so lange, bis ihr von den aufsteigenden Gerüchen die Augen tränten. Sie holte Feuerholz aus dem Zwischenlager auf der vierten Ebene, half Venika, die Fassung für einen verzauberten Goldring zu gießen, und schrieb mehrere Rechnungen für geleistete Dienste. Die Anbringung eines szeneda – einer Dämonenfratze, die bei Einbruch zu schreien begann – an der Tür eines Geldverleihers hier, die Anfertigung eines Talismans, der seinen Träger gegen Gifte schützte, dort. Das tägliche Einerlei einer Akademie, die sich dem Geld verschrieben hatte.
Gegen Mittag zeigte Venika Mitleid mit dem laut knurrenden Magen ihrer Gehilfin und sandte eine Nachricht in die Küche. Kurz darauf verspeisten sie gemeinsam ein deftiges Mahl aus frischem Brot, Käse und einem Eintopf, der so dick war, dass beinahe die Löffel darin stehen blieben. Thalid gab sich Mühe, nicht allzu sehr zu schlingen, aber Venikas feines Lächeln verriet, dass es ihr nicht gelang. Dass die Magierin während des Essens mit ihr über den neuesten Tratsch aus der Arena sprach, entschädigte sie jedoch. Offensichtlich war ihr das Zuspätkommen verziehen worden.
Obwohl Thalids Stundenplan vorsah, am Nachmittag gemeinsam mit anderen Novizen ins Labyrinth zu gehen und ihre erbärmlichen Schwebezauber zu verbessern, bat Venika sie, bis