Mami Staffel 10 – Familienroman. Lisa Simon

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Mami Staffel 10 – Familienroman - Lisa Simon


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war Kai ein echter Kumpel, auch wenn er der größere Bruder war. Größere Brüder waren immer Besserwisser, zumindest empfand Martin es so. Und Kai benahm sich, als müsse er Martins Erziehung ganz allein auf seinen Schultern tragen. Ständig beklagte er sich über Martins Ungehorsam. Vor allem bei Tante Friedel.

      Die alte Dame lächelte nachsichtig und schärfte beiden ein: »Du bist der ältere, Kai, du trägst die Verantwortung für deinen kleinen Bruder. Das ist eine große Aufgabe für dich. Und du, Martin, mußt auf deinen großen Bruder hören.«

      »Warum bin ich nicht der ältere? Das ist doch ungerecht«, begehrte Martin auf.

      »O nein!« widersprach Tante Friedel. »Wenn ihr nämlich bei mir seid, dann trage ich die Verantwortung für euch beide. Dann gibt es keinen älteren und keinen jüngeren Bruder. Dann gibt es nur Kai und Martin. Und heute ist Kai dran mit dem Abwasch und Martin trocknet ab. Und morgen wäscht Martin das Geschirr und Kai trocknet ab.«

      »Ooooch!« maulten beide gleichzeitig, und Tante Friedel klatschte aufmunternd in die Hände. »Das ist gerecht! Und jetzt wascht euch die Hände, das Essen ist fertig. Und denkt daran, wir müssen noch den Speiseplan für die nächste Woche aufstellen, damit Kai weiß, was er alles einkaufen muß.«

      *

      Nach dem Essen erledigten die Jungs den Abwasch, und Tante Friedel legte sich zu einem kleinen Nickerchen auf das Kanapee. Jetzt mußten Kai und Martin ihre Hausaufgaben erledigen. Wenn Tante Friedel ihren Mittagsschlaf beendet hatte, würde sie die Aufgaben kontrollieren. Tante Friedel war schon streng, aber es gab auch immer eine kleine Belohnung, wenn eine Aufgabe besonders gut geworden ist. Und beide Jungen bemühten sich, ihre Aufgaben gut zu erledigen.

      Buchstabe für Buchstabe reihte sich auf der Zeile, die Martin in sein Heft schrieb. Es sah ein wenig krakelig aus, aber in der ersten Klasse war noch kein Meister vom Himmel gefallen. Martin jedenfalls konnte es lesen, und das fand er für ausreichend. Nachdenklich kaute er an seinem Füllfederhalter.

      »Kai, ich muß dir etwas sagen«, sagte er.

      »Psst, stör mich nicht!« Kai schüttelte unwillig den Kopf. Er mußte eine komplizierte Aufgabe rechnen. Für ihn eigentlich kein Problem. Besonders gut konnte er mit Geld rechnen. Kein Wunder, denn er erledigte alle Einkäufe, und bisher hat es immer auf den Pfennig gestimmt. Doch nicht alle Rechenaufgaben hatten mit Geld zu tun, und dann mußte sich Kai doch sehr konzentrieren.

      »Es ist aber wichtig«, beharrte Martin und klappte sein Heft zu.

      Seufzend blickte Kai auf. »Was ist denn so wichtig? Ich muß rechnen.«

      »Ich werde sowieso Bankdirektor, wenn ich groß bin. Dann schaffe ich das blöde Geld ab, und du brauchst nicht mehr zu rechnen.«

      »Spinner!« Abfällig pustete Kai die Luft aus den Wangen. »Also, was hast du denn für ein wichtiges Problem?«

      »Es ist wegen dieser Verkäuferin in dem Schuhladen. Die uns die Zauberschuhe verkauft hat.«

      »Ja, und? Was ist mit ihr?«

      »Wie findest du sie?«

      »Die war irgendwie cool. Ich hatte wirklich geglaubt, sie kann zaubern.«

      »Meinst du?« Martin blickte Kai fragend an.

      »Na ja, ist doch Quatsch. Aber irgendwie unheimlich war es doch da hinten in diesem dunklen Lager. Und als die Schuhe so leuchteten, da dachte ich…«

      »Ob sie eine Fee ist?«

      »Eine Fee? So etwas gibt es doch nur im Märchen.« Kai winkte ab und konzentrierte sich wieder auf seine Rechenaufgabe. Plötzlich stutzte er. »Wie kommst du denn darauf?«

      Martins Ohren röteten sich, und daran erkannte Kai, daß etwas Ernsthaftes in seinem kleinen Bruder vorging.

      »Ich war bei ihr«, gab Martin etwas kleinlaut zu.

      »Du warst bei ihr? Im Schuhgeschäft?«

      Martin nickte, und seine Ohren röteten sich etwas mehr.

      »Ja, warum denn?« fragte Kai entgeistert.

      »Ich wollte sie einfach wiedersehen. Ich wollte herausfinden, ob sie vielleicht doch eine Fee ist.«

      Kai starrte seinen Bruder mit offenem Mund an. »Und was hat sie gesagt? Hat sie gezaubert?«

      »Nein, nein! Sie hat mich nur allerhand gefragt. Und sie hat mir zu essen gegeben.«

      »Zu essen?«

      »Hm, ihr Pausenbrot. Es hat gut geschmeckt.«

      »Aber du bekommst doch jeden Tag ein Pausenbrot mit in die Schule. Und Tante Friedel kocht Mittagessen. Warum gibt sie dir ihr Pausenbrot?«

      »Weil sie nett ist. Sag mal, essen Feen Brote? Ich dachte immer, eine Fee braucht nichts zu essen.«

      »Ich weiß nicht. Ich glaube nicht, daß sie eine Fee ist. Aber so richtig sicher bin ich mir nicht. Weißt

      du, als wir mit ihr da allein in dem dunklen Zimmer standen, da hatte ich das Gefühl, daß sie genau weiß, was wir uns wünschen.«

      »Eine gute Fee erfüllt doch Wünsche, nicht wahr? Und sie hat unseren Wunsch nach ganz besonderen Schuhen erfüllt.«

      »Kann sein. Ja, irgendwie hat sie das. Und ich fand sie wirklich sehr nett.«

      »Hm.« Wieder kaute Martin auf seinem Federhalter. »Ob sie noch einmal einen Wunsch erfüllen würde?«

      »Wie kommst du denn darauf? Wünschst du dir noch ein Paar Schuhe?«

      Martin schüttelte den Kopf und starrte zur Decke. »Nein, etwas viel Größeres und Schöneres.«

      *

      Die Sonne strahlte golden am wolkenlos blauen Spätsommerhimmel. Auch Kathrin trug ein hübsches lindgrünes Sommerkleid mit zartgelbem Blütenmuster. Über die Schultern hatte sie sich einen breiten Häkelschal geworfen. In der Hand hielt sie einen kleinen Weidenkorb mit einer Schüssel und Obst. Sie hatte einen bunten Salat aus Mais, Radieschen, roten Bohnen, Gurke und Kräutern bereitet, ihr Beitrag zum Picknick. Sie stand wartend vor ihrem Haus und blickte sich suchend um. Wenn sie wüßte, was Peter Kilian für einen Wagen fuhr. Ein wenig aufgeregt war sie schon. Ob er eine nette Frau hat? Bestimmt, denn er war auch ein netter Mann, ein sehr netter…

      Ein großer silbergrauer Wagen hielt am Straßenrand, und hinter der getönten Scheibe erkannte sie schemenhaft Martins lachendes Gesicht. Kathrin winkte. Die Beifahrertür öffnete sich, und Kathrin beugte sich herunter. Zu ihrer Überraschung war der Beifahrersitz leer. Sie blickte in Peter Kilians strahlend blaue Augen, die mit dem Sommerhimmel zu konkurrieren schienen. Er hatte sich herübergebeugt und die Beifahrertür geöffnet.

      »Ich hoffe, Sie warten noch nicht zu lange. Es ist schlimmer, als einen Sack Flöhe zu hüten, wenn ich die Kinder zusammentrommeln muß.« Er lachte und machte eine einladende Handbewegung. Irritiert blickte Kathrin in den Wagen. Auf der Rückbank saßen Kai und Martin, die beide über das ganze Gesicht strahlten, und zwischen ihnen – ein etwa zweijähriges Mädchen in einem Kindersitz. Die Kleine blickte sie ernst und stumm an. Sie trug eine dünne Stoffmütze mit einem Rüschenrand, und ihre blauen Augen wurden von langen dunklen Wimpern umrahmt. Sie hatte niedliche Pausbäckchen und einen süßen Schmollmund. Nur der ernste Gesichtsausdruck paßte nicht zu ihrer anrührend kindlichen Erscheinung.

      »Na, hallo, wer bist du denn?« versuchte Kathrin ihre Überraschung zu überspielen.

      »Das ist unsere Schwester Jenny. Ist sie nicht süß?« Martin hopste aufgeregt auf dem Rücksitz herum.

      »Wirklich, eine ganz entzückende junge Dame.« Kathrin setzte sich auf den Beifahrersitz und zog die Wagentür zu. Das war in der Tat eine Überraschung. Noch wußte sie nicht, was sie von all dem halten sollte. Dann schwieg sie erwartungsvoll.

      Peter Kilian startete den Wagen. Sie fuhren aus der Stadt hinaus, zwischen abgeernteten Getreidefeldern und sich langsam herbstbunt


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