Adel verpflichtet. Martina Winkelhofer
Читать онлайн книгу.ihren ersten Ball besuchen und jeder konnte sehen, welcher junge Mann sich für sie entschied.
Bei Hof selbst gab es zu Zeiten Kaiser Franz Josephs nur äußerst selten Adoleszentenbälle. Da sie stets nur von der ranghöchsten Dame des Hofes ausgerichtet werden durften, fanden zu Zeiten von Kaiserin Elisabeth, die gesellschaftliche Aktivitäten nicht leiden konnte, keine Kinder- oder Jugendbälle statt. Erzherzogin Sophie, die Mutter des Kaisers, hatte noch unzählige Kinderfeste und Bälle für ihre Söhne und zahlreichen Neffen und Nichten ausgerichtet. »Sisi« hingegen machte lediglich für ihre jüngste Tochter Marie Valerie eine Ausnahme und veranstaltete einmal einen Adoleszentenball, zu dem einige Töchter und Söhne der Aristokratie geladen wurden.
Bei der Aristokratie waren die höfischen Adoleszentenbälle am beliebtesten, weil sie stets in kleinem Rahmen in der Hofburg stattfanden, maximal zwanzig Mädchen und Burschen, und man dem Kaiser und der Kaiserin wesentlich näherkam als bei den riesigen Hofbällen.
Die Adoleszentenbälle bei Hof hatten große Ähnlichkeit mit wirklichen Hofbällen. Kaiser und Kaiserin hielten Cercle mit Jugendlichen, diese benahmen sich entsprechend der höfischen Etikette, es gab Tanz und Buffet. Diese »Hofbälle im Kleinen« sollten die Jugend auf ihr späteres Auftreten bei Hof vorbereiten. Die geladenen Mädchen mussten artig sein, perfekte Manieren zeigen und stets höflich auf die Fragen der Erwachsenen antworten. Außerdem mussten sie bereits wissen, wie man respektvoll antwortete, wenn Kaiser oder Kaiserin ihnen die Gnade erwiesen, sie ins Gespräch zu ziehen.
Manche Mädchen waren aber eindeutig noch zu jung, um ein gleichbleibendes, selbstbeherrschtes Verhalten, das zudem den Regeln des Hofes entsprach, an den Tag legen zu können. Eine Hofdame Kaiserin Elisabeths notierte in ihrem Tagebuch eine reizende Szene: Zum Adoleszentenball der Kaisertochter Marie Valerie wurde auch die erst zehnjährige Prinzessin Dorothea Hohenlohe-Schillingsfürst, genannt »Do«, eingeladen. Um vier Uhr hat das Fest angefangen und um neun Uhr sitzt die kleine Do schon völlig schläfrig auf einem Sessel. Die Kaiserin nähert sich ihr und fragt ganz sanft: »Do, willst Du etwas essen?« Die Kleine, der man daheim eingeschärft hat, wie sie der Kaiserin oder dem Kaiser nach den Regeln der Etikette antworten solle, erwidert perfekt: »Ich danke Euer Majestät tausendmal, nein.« Die Kaiserin fragt das Mädchen noch einmal: »Willst Du kein Gefrorenes, Kompotte, Tee, Limonade, Backwerk?« Die kleine Do lehnt erneut nach allen Regel der Etikette dankend ab. Als die Kaiserin nun freundlich nachfragt: »Sage, Do, was willst du denn?«, fährt die kleine Prinzessin in die Höhe und sagt ärgerlich: »Ruhe möchte ich haben und schlafen möchte ich gehen!« Die Kaiserin war hingerissen von der kleinen Do und sagte lachend: »Du bist eine gescheite, kleine Person – das möchte ich auch oft.«19
Ein Backfisch: eine Komtess »Lintschi«, wohl kurz vor ihrem offiziellen Eintritt »in die Welt«, um 1883.
Die heranwachsenden Mädchen der Aristokratie wurden extrem streng gehalten. Sie durften ohne Begleitung – genannt »Chaperon« (französisch; jemand, der eine junge Dame zu ihrem Schutz begleitet) – ihr Heim nicht verlassen. Sie hatten keine Ahnung, wie das Miteinander von Mann und Frau außerhalb ihres eigenen Heims, außerhalb ihres Standes funktionierte. Sie kannten nur die große Distanz zwischen sich und dem männlichen Teil der Menschheit, die sie von zu Hause gewohnt waren.
Diese strenge, weltfremde Erziehung hatte zur Folge, dass auch die Mädchen in ungewohnten Situationen, außerhalb ihres engen gesellschaftlichen Umfeldes, weltfremd und ängstlich waren – und dies oft noch als Ehefrauen und Mütter. Zu Zeiten, als es innerhalb der Aristokratie noch als sehr abenteuerlich galt, im Burgtheater einen Parterresitz zu nehmen (in der Regel hatte man eine Familienloge), gingen Prinz und Prinzessin Auersperg einmal dieses Wagnis ein. Befremdet und irritiert, dass andere, ihr nicht vertraute Menschen, noch dazu Männer, ungewohnt eng neben ihr saßen, glaubte die Prinzessin, ihr Sitznachbar lehne sich absichtlich an sie an. So sagte sie ihrem Mann, dass der Herr neben ihr sich unsittlich benehme. Worauf Prinz Auersperg den Sitznachbarn seiner Gattin sogleich zur Rede stellte. Dieser wies die Behauptung eines Annährungsversuchs natürlich empört zurück, wandte sich um und sagte, laut hörbar, zu seiner Begleitung: »Siehst du, ich hab dir gleich gesagt, wir sollten nicht ins Parterre gehen, da kommt man mit solche Leut’ zusammen!«20
Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde davon Abstand genommen, die Mädchen allzu naiv ins Leben zu entlassen. Prinz Rudolf Liechtenstein hielt damals ein Lob auf die Erziehung der Töchter des Ehepaars Montenuovo, »deren Aufziehung außer mit der selbstverständlichen Herzenswärme auch mit Verstand bewerkstelligt worden ist.«21
Bis dahin allerdings hielt man es unter Aristokraten für ein erstrebenswertes Erziehungsziel, die Mädchen unschuldig und naiv ins Leben zu schicken – was als besonders reizvoll galt. Und reizvoll musste ein Mädchen sein, um nach absolvierter Erziehung den ersten und wichtigsten eigenständigen Schritt im Leben zu setzen: einen geeigneten Heiratskandidaten zu finden.
Aristokratische Kindheit
Kinder waren der ganze Stolz der Aristokratie, waren sie doch der Garant dafür, dass die Werte des adeligen Hauses weitergetragen wurden. Auch wenn die Kinder auf Grund ihrer Herkunft in einen äußerst exquisiten Lebensstil hineinwuchsen, galt als oberste Erziehungsmaxime, sie nicht zu verwöhnen. Die Erziehung war oftmals geradezu spartanisch streng. Pflichtbewusstsein, Bescheidenheit und eine tadellose innere wie äußere Haltung mussten schon die Kleinsten lernen. Die erhaltenen Fotos zeigen verschiedene Alltagssituationen der Kinder: die obligatorischen täglichen Spaziergänge, das Spiel mit Freunden, aber auch die jährlich immer sehnsüchtig herbeigesehnten Sommeraufenthalte auf dem Land, wo man frei und ungezwungen herumtollen durfte.
Sommer auf dem Landschloss. Die Sommermonate wurden von den Kindern herbeigesehnt, denn nur auf dem Land wurde ihnen viel persönliche Freiheit zugestanden, 1904.
Die kleinen Prinzen und Prinzessinnen Kinsky mit einer ihrer Tanten, 1905.
Beim Spielen, 1905.
Auf ausreichende Bewegung, selbst im Winter, wurde Wert gelegt, 1906.
Zwei kleine Prinzessinnen mit einem Rehkitz, 1905
Die Kinder der Familie Kinsky vor Schloss Mährisch-Krumau, 1905.
Der kaiserliche Oberststallmeister Ferdinand Kinsky mit seiner Kinderschar, 1906.
II Verlobung und Heirat
Die Komtessen – »In die Welt gehen« – Ein strikter »Rite de Passage« – Die ersten Bälle – Der Kotillon – Der erste Hofball – Die Suche nach einem Ehemann – Heiraten »nach unten« und Heiraten »hinauf« – »Liebe ist etwas für Stubenmädeln« – Die Majoratsherren – Die Mütter hoffen auf einen »Épouseur« – Der grausame Heiratsmarkt – Eine Frage des Geldes – Kapital Schönheit – Die Jagd nach der besten Partie – Erste Annäherung und Verlobung – Feilschen um die Mitgift – Eheverträge – Komtessen ohne Bewerber