Lacroix und die stille Nacht von Montmartre. Alex Lépic

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Lacroix und die stille Nacht von Montmartre - Alex Lépic


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Sternschnuppen und Rentieren erstrahlten. Über den Lampen wehten kleine Banderolen mit dem Logo des Energiekonzerns. Nicht mal an Weihnachten gab es etwas geschenkt. Er ließ das Telefon sinken und betrachtete die graue Realität. Die Bäume waren noch da. Die Beleuchtung aber fehlte.

      »Es ist …«

      »… ja, es ist sehr merkwürdig«, sagte Commissaire Violet. »Wer klaut denn Glitzerzeugs? Das habe ich meine Jungs gefragt. Sie hatten auch keine Antwort. Vor allem so viel auf einmal. Das kann sich ja auch niemand zu Hause hinhängen.« Sie schüttelte den Kopf.

      »Wie ist es denn passiert?«

      »Nun, es war ein ganz normaler Abend, vorgestern, meine ich. Die Beleuchtung war eingeschaltet, sagten die Maler, die mein Kollege vernommen hat. Doch es hat geregnet, scheußlicher Nieselregen. Deshalb hatten die Restaurants früher geschlossen als sonst. Ideale Bedingungen für einen Dieb. Obwohl, es ist die Place du Tertre, hier ist immer ein knutschendes Pärchen unterwegs. Ach, diese verliebten Paare. Siehst du denen auch immer so sehnsüchtig nach, Lacroix? Wo sind nur die Jahre geblieben.« Sie sah wehmütig in die Ferne, besann sich dann aber. »Der Straßenkehrer war am nächsten Morgen der Erste hier, zumindest der Erste, dem aufgefallen ist, dass etwas nicht stimmt. Er sagte aber, dass er erst nach zwanzig Minuten in die Bäume gesehen hat. Alles war weg, alles, selbst der letzte Weihnachtsstern. Alle Kabel. Der Aufbau hat zwei Tage gedauert, sagt der maire. Das muss eine Heidenarbeit gewesen sein, das alles in nur einer Nacht abzubauen. Wer macht so etwas?«

      »Hat der Bürgermeister Anzeige erstattet?«

      »Brauchte er nicht. Öffentliches Interesse. Aber er hat gleich mal Le Parisien eingeladen. Offenbar war er fuchsteufelswild und erwartet, dass wir uns ordentlich anstrengen, um den Diebstahl aufzuklären. Aber, Herrgott, es sind Lichterketten.«

      Lacroix betrachtete die Bäume, sie waren leer und karg. »Hier hing alles voll?«

      Rose nickte. »Es ist nichts übrig geblieben, nicht mal die Kabeltrommeln oder etwas von der Stromversorgung.«

      »Die Diebe haben ganze Arbeit geleistet. Gibt es eine Videoüberwachung?«

      »Nicht auf der Place du Tertre. Die Anwohner haben sie abgelehnt. Datenschutz.« Rose lachte bitter.

      »Ich würde gern mit den Malern sprechen«, sagte Lacroix.

      »Tu, was du nicht lassen kannst.«

      »Kannst du mich begleiten? Dich kennt man hier.«

      »Du bist Lacroix. Ganz Paris kennt dich!«

      »Rose …«

      »Es ist so kalt.« Sie rang mit sich, warf dann aber die aufgerauchte Zigarette weg. »Na gut. Aber dafür gibst du mir gleich einen Wein aus.«

      »Einverstanden.«

      3

      La Mère Catherine, Au Cadet de Gascogne, Le Sabot Rouge, Chez Eugène. Die Restaurants in den alten Bürgerhäusern hatten ihre Terrassen fein säuberlich mit kleinen Zäunen abgeteilt, jeweils in den Farben des Restaurants gehalten, blau-rot oder in bordeauxrotem Karo. Um die Außenplätze, die verwaist waren, gruppierten sich die Maler. Sie waren der Grund, warum die Restaurantterrassen das ganze Jahr über gut gefüllt waren. Aber auch die Menüs waren günstig und reichhaltig. Dennoch würde kein Pariser hier auch nur einen Baguettekorb ordern. Lacroix kannte die Horrorgeschichten über mit Käsescheiben überbackene Zwiebelsuppen aus dem Tetra Pak oder Steaks, die so zäh und sehnig waren, dass jeder Pariser Fleischer sich eher entleibt hätte, als derlei zu verkaufen. Deshalb machten die Commissaires einen weiten Bogen um die Speisekarten, die auf großen Tafeln notiert waren, und gingen zum hinteren Teil des Platzes. Zwei ältere Damen standen rauchend neben ihren Staffeleien, eine von ihnen trug einen Pelzmantel, der echt zu sein schien.

      »Excusez-nous, Mesdames«, sagte Violet.

      »Oh, Commissaire«, sagte die Frau im Pelz, »kleine Lizenzprüfung?«

      Die Lizenzen auf der Place du Tertre waren begehrt und streng limitiert, sie bekam nur, wer dem maire nachweisen konnte, dass er wirklich gut zeichnete – ähnlich wie bei den Musikern in der Metro, die die besten Stationen auch nur bekamen, nachdem sie erfolgreich der Stadtverwaltung vorgespielt hatten.

      Lacroix betrachtete die Bilder auf den Holzrahmen, die als Beispiele ausgestellt waren: Die Dame im Pelz zeichnete liebliche Porträts in Aquarell, strahlende Farben und verwischte Konturen. Die andere schien sich auf Karikaturen spezialisiert zu haben, sie benutzte Kreide. Ein Bild des Präsidenten mit großen Ohren und wütenden Augen hing dort.

      »Nein, Mesdames, wir sind hier wegen der gestohlenen Lichterketten.«

      »Ein Jammer«, sagte die eine Frau. »Wir haben die neue Beleuchtung so gemocht, sie glänzte so schön. Mir wurde immer ganz warm ums Herz.«

      Sie mussten ein kurioses Bild abgeben, die drei älteren Damen, über deren Köpfen der Tabakrauch aufstieg. Lacroix dachte wieder an seine Pfeife. Aus dem Augenwinkel sah er, wie ein Fotograf mit professionellem Equipment Bilder vom Platz machte. Der Commissaire dachte kurz, er würde auch sie fotografieren, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Warum sollte er?

      »Waren Sie in der Nacht vor Ort?«, fragte Violet. »Wir sind auf der Suche nach Zeugen.«

      »Sie sehen es ja, tote Hose. So ist es seit Tagen. Vorgestern hat es gegossen wie aus Eimern. Der Einzige, der da noch arbeitet, ist der alte Fuchs.«

      Lacroix sah sie fragend an, doch Rose Violet nickte wissend.

      »Der arbeitet immer. Und er hat auch immer zu tun. Anders als wir …«

      »Ist er noch an seinem alten Platz?«

      »Der schlechteste Platz. Mit der meisten Kundschaft. Viel Spaß, wenn Sie ihn befragen wollen.«

      »Merci, Mesdames.«

      »Wen meinen die Malerinnen?«, fragte Lacroix. Er mochte es gar nicht, bei solchen Gesprächen unwissend danebenzustehen. Doch das hier war eben nicht sein Bezirk. Im fünften, sechsten und siebten Arrondissement, da kannte er allen Klatsch und Tratsch und wusste stets, was in den Ecken geraunt wurde. Und wenn er mal nicht Bescheid wusste, dann konnte er getrost Yvonne oder seinen alten Freund Alain, den Gemüsehändler, fragen.

      »Sie meinen Serge Foll.«

      Den Namen allerdings hatte Lacroix schon gehört. »Der renitenteste Künstler von Paris?«

      Sie grinste ihn von der Seite an. »Ich habe schon befürchtet, dass wir nicht darum herumkommen werden, ihn zu befragen, hatte bislang aber keine Lust. Und ich hatte die leise Hoffnung, dass vielleicht auch die Damen etwas wissen.«

      »So schlimm?«

      »Du wirst es gleich sehen, mein lieber Lacroix.«

      Sie gingen um den Platz herum, weg von den Restaurantterrassen. Leichter Uringeruch hing in der Luft. Der Commissaire war sicher, dass sich hier nun wirklich kein Tourist mehr hinverirrt hatte, wenn der Platz vorn schon so ausgestorben war. Als sie um die Ecke bogen, wurde er eines Besseren belehrt. Vor einer Staffelei standen Dutzende Menschen Schlange, die meisten eingehüllt in dicke Funktionskleidung. Maler und Leinwand waren hinter der Menge nicht zu erkennen.

      Sie traten näher und betrachteten den Auflauf. Alle diese Menschen schienen zu warten, bis sie an der Reihe waren. Lacroix war verblüfft. Rose Violet reichte es, sie drängelte sich an der Schlange vorbei, der Commissaire folgte ihr.

      Er kratzte sich am Kopf, als er den Mann sah. Er hatte schon einiges über den Künstler Serge gehört, doch gesehen hatte er ihn noch nie. Der Mann war ein lebendes Klischee. Die Staffelei vom Publikum abgewandt, saß er in einem ausladenden Sessel mit Armlehnen, als hätte ihn Hemingway persönlich erdacht: Ein dunkelbrauner Lodenmantel, die grauen Haare schauten wirr unter einer Baskenmütze hervor, dazu ein langer Kinnbart. Hinter einer Hornbrille schauten seine Augen unverwandt auf das Bild, das er mit langem Pinsel bearbeitete, dabei hielt er den Kopf ein wenig schräg. Im Mundwinkel klemmte eine glimmende Kippe, Lacroix hätte


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