Lacroix und die stille Nacht von Montmartre. Alex Lépic

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Lacroix und die stille Nacht von Montmartre - Alex Lépic


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Foll?«

      »Wenn du so fragst, denkst du wohl, dass er etwas mit dem Diebstahl zu tun hat?«

      Lacroix grinste und nahm einen Schluck von dem tiefroten Wein. Der Tursan passte perfekt zum Winter. Er war tief und sanft, dabei aber voller Frucht.

      »Er war zumindest nicht gut auf die Dekoration zu sprechen.«

      »Sagen wir mal so: Foll ist einer von den Salonlinken, der gauche caviar. Er gefällt sich in seiner Rolle des Künstlers mit kommunistischem Antlitz, weil er damit bei einer Sorte Mensch besonders gut ankommt.«

      »Du meinst …«

      Sie nickte. »Er wohnt in einem dieser ehemaligen besetzten Häuser in Château Rouge, ein Stück den Berg runter. Es gehört der Stadt, die dort für einen Spottpreis Künstler wohnen lässt. Er hat eine sehr junge Freundin, so heißt es, und es gehen die lustigsten Revolutionäre von Paris ein und aus, trinken, kiffen, nehmen Drogen und schimpfen auf den reichen Staat und auf die Kommerzialisierung der Gesellschaft. Sie haben eine Flugblattaktion gemacht, als ein bekanntes amerikanisches Schnellrestaurant auf den Berg kommen sollte. Eine Flugblattaktion wie zu Zeiten der Résistance – kannst du dir das vorstellen? Foll ist immer vorn mit dabei, wenn es um irgendeine neue Idee des Bürgermeisters geht. Er hasst alle Veränderungen. Aber für ein paar Flugblätter oder ein Tütchen Haschisch mach ich heutzutage keine Razzia mehr. Du etwa?«

      »Wir haben kein Cannabis im Fünften.«

      »Bei euch gibt’s nur Champagner?«

      Sie mussten beide lachen.

      »Los, Lacroix, nun sag schon, warum bist du hier? Du kommst doch nicht am kältesten Tag des Jahres nur wegen ein paar gestohlenen Lichterketten den Berg herauf.«

      »Ehrlich gesagt: doch.«

      »Aber warum?«

      »Ich weiß es nicht, Rose. Es ist nur so ein Gefühl.«

      Sie hob die Augenbrauen und sah ihn an, sagte aber nichts. Er hätte auch keine gute Erklärung liefern können: Ich habe die Nachricht gelesen, und mir haben sich die Haare auf den Unterarmen aufgestellt. Das hätte er sagen können, aber er tat es nicht.

      »Ich habe mich gefragt, wer so etwas tut. Es ist doch vollkommen verrückt. Ist es ein einfacher Diebstahl? Oder ist es ideologisch aufgeladen? Ein Weihnachtshasser?«

      »Und bist du jetzt schlauer?«

      »Leider nicht. Was wirst du jetzt tun? Es ist dein Bezirk.«

      »Ich werde Serge Foll jedenfalls keinen Besuch abstatten. Nicht wegen ein paar Lichterketten. Selbst wenn er es war, wäre es sinnlos, da hineinzugehen. Es gäbe sicherlich keine Beweise. Ich glaube kaum, dass er seinen eigenen Weihnachtsbaum damit schmücken wollte.«

      »Unwahrscheinlich.«

      »Wenn du sagst, dass die Sache dich stutzig gemacht hat, Lacroix, dann werde ich sie ernster nehmen, als ich es bisher getan habe. Ich werde die Anwohner befragen lassen. Der Abbau muss doch Lärm gemacht haben.«

      »Das wäre gut. Rufst du mich an?«

      »Das mache ich. Grüß deine Frau von mir. Und danke. Für den Wein, meine ich.«

      Sie standen auf, Lacroix ließ zehn Euro auf dem Tisch liegen. Als sie hinaustraten, war es gänzlich dunkel – und doch flimmerte die Luft. Ein weißer Glitzer vor den gelben Straßenlaternen. Es schneite.

      Für einen Moment schwiegen sie beide, während sie einträchtig nebeneinanderstanden und zusahen, wie die Schneeflocken die Place du Tertre in eine Winterlandschaft verwandelten.

      Nach einer Minute sagte Rose: »Ich bin ja keine Romantikerin, aber das …«

      »… ist wirklich ein Anblick, den wir nicht vergessen werden.«

       »Bon soirée, mon Commissaire.«

      4

      Er hatte wieder den funiculaire genommen, doch der Schneefall war mittlerweile so dicht, dass er auf der Fahrt runter zur Rue Tardieu nichts sehen konnte. Unten angekommen, zog Lacroix den Hut tief ins Gesicht und nahm den Boulevard de Rochechouart, bevor er nach links in die Rue des Martyrs abbog. Es hätte keinen Sinn ergeben, in einen Bus zu steigen. Der Verkehr war nicht nur auf den großen Boulevards, sondern auch auf den Nebenstraßen schlicht zum Erliegen gekommen.

      Die Pariser besaßen keine Winterreifen. Er sah während seines zwanzigminütigen Fußweges drei Auffahrunfälle und einen Gefriertransporter, der sich auf der Rue Laffitte quer gestellt hatte. Aus einem Taxi waren nicht nur die Fahrgäste, sondern auch der Fahrer schulterzuckend ausgestiegen, um in einem nahen Café zu verschwinden. Der Wagen blieb einfach führerlos auf der einspurigen Straße im Stau stehen.

      Lacroix hatte es bisher vielleicht zehnmal in seinem Leben erlebt: Schnee in Paris. Die Stadt versank dann im Chaos – aber sie war auch wunderschön.

      Am Opernhaus warf er einen Blick nach Norden: Da war die Opéra Garnier mit ihren Lichtern, Säulen und Rundbögen, vor ihren breiten Fenstern tanzten die Flocken, während der Vorplatz schon weiß gepudert war. Die Touristen blieben stehen und machten Fotos, Lacroix aber ging weiter, er hatte ein Ziel. Sie hatten sich schon am Morgen verabredet. Der Commissaire war davon ausgegangen, einen ruhigen Tag zu haben, während seine Frau an einer Bürgermeistertagung im Hotel Bristol teilnehmen musste, die aber um fünf zu Ende sein sollte. Die Uhr an der Straßenecke zeigte kurz vor fünf, er würde pünktlich sein. Auch die Straßen um Madeleine waren ein einziges Gedränge und Gehupe, niemand, der auf das Auto angewiesen war, würde heute pünktlich zu Hause sein. Freudig schritt er aus, nicht mehr lange, nur noch dort vorn an der großen Markthalle vorbei in die Rue du Marché Saint-Honoré, ein kleines Stück die schmale und dicht verschneite Straße herunter bis zur ersten Ecke. Dort, hinter den Weinfässern, auf denen Aschenbecher standen, um die sich die Banker von BNP Paribas in ihren feinen Anzügen versammelt hatten, war der Ort, an dem sie sich trafen, wenn sie mal jenseits der vertrauten Pfade einen apéro nehmen wollten: Le Rubis, die kleine Weinbar, die es schon seit hundert Jahren gab. Genauso alt waren auch der Tresen, die rot bespannten Holzstühle, die Karten an der Wand mit ihrer geschwungenen Schrift und die Gerichte, die aus einer anderen Zeit zu stammen schienen: andouillettes und rillettes. Er trat ein, sofort schlugen ihm Wärme und intensive Gerüche entgegen. Er fühlte sich, als würde er mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit reisen. Ein Wunder, dass hier drinnen nicht mehr geraucht wurde. An der Decke über der Bar hingen luftgetrocknete Würste, die Wände waren mit Weinetiketten tapeziert, und es gab sogar noch eine Tür, auf der Telephone stand – nur das Telefon war nicht mehr da, sehr zu Lacroix’ Leidwesen. Er hatte sich in seinem Quartier ein System geschaffen, um auch ohne Handy immer erreichbar zu sein. So riefen seine Mitarbeiter oder seine Frau im Chai an oder in einer der anderen Bars, die Lacroix regelmäßig frequentierte. Irgendwo fand man ihn immer. Anders ging es gar nicht mehr, seitdem die Stadt fast alle öffentlichen Telefone abgebaut hatte.

      »Zut«, schimpfte er sich, er hatte wieder die Pfeife nicht ausgepackt, es war einfach zu nass und kalt gewesen. Er wollte wieder hinaus in den Schnee, genüsslich den Abend einläuten, doch sie war schon da, stand an der Bar, eben stellte der Wirt zwei Gläser Rotwein vor ihr ab. Lacroix besann sich und steuerte auf sie zu.

      »Chérie«, begrüßte er sie und gab ihr einen sanften Kuss auf die Wange.

      Sie strahlte ihn an und schob ihm sein Glas hin. »Ich habe uns einen Gigondas bestellt, die haben hier einen besonders feinen. Los, ich habe einen Bärenhunger. Was wollen wir essen? Ein confit de canard

      »Ich hatte zum déjeuner Ente. Wollen wir lieber etwas Kaltes essen?«

      Sie sahen sich an und lächelten, sie hatten dieselbe Idee. Er betrachtete sie und war sofort ganz ruhig und gleichzeitig voller Freude: Sie waren schon so lange verheiratet und trotzdem noch sehr glücklich miteinander. Er fand sie hinreißend – und er nahm sich vor, es ihr auch mal wieder zu sagen. In der letzten Zeit hatten sie sich wirklich zu wenig gesehen. Dominique Lacroix war die Bürgermeisterin


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