Klein-Doritt. Charles Dickens

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Klein-Doritt - Charles Dickens


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unter die Fußgarde hätte einschmuggeln können, ohne befürchten zu müssen, entdeckt zu werden, schoß ihr doch vor dem kleinen krebsartigen Mann mit dem durchdringenden Blicke die Furcht in die Knie.

      »Nun, Affery«, sagte er, »nun Frau, was tust du? Kannst du für Master Arthur nicht irgend etwas zu essen auftreiben?«

      Master Arthur schlug aufs neue alles Essen aus.

      »Nun gut«, sagte der Alte, »so mache sein Bett. Eile dich ein bißchen.« Sein Hals war so krumm, daß die geknüpften Zipfel seines weißen Halstuches gewöhnlich unter einem Ohr baumelten; seine natürliche Herbigkeit und Energie, die immer mit einer zweiten Natur, der ihm zur Gewohnheit gewordenen Zurückhaltung, im Kampfe war, gaben seinem Gesicht ein geschwollenes und unterlaufenes Aussehen, und im ganzen machte er den Eindruck, als ob er sich irgendeinmal aufgehängt, und als ob er nun mit dem Strick seit der Zeit herumliefe wie damals, als ihn eine milde Hand noch abgeschnitten.

      »Sie werden morgen bittere Worte hören müssen, Arthur: Sie wie Ihre Mutter«, sagte Jeremiah. »Daß Sie bei Ihres Vaters Tod das Geschäft aufgegeben – was sie vermutet, obgleich wir es Ihnen überlassen, ihr die Sache mitzuteilen –-, das wird sie Ihnen nicht so ruhig hingehen lassen.«

      »Ich habe im Leben alles um des Geschäftes willen aufgegeben, nun kam die Zeit für mich, das Geschäft aufzugeben.«

      »Gut!« rief Jeremiah, während er offenbar ›Schlimm!‹ sagen wollte. »Sehr gut! Nur erwarten Sie nicht, daß ich vermittelnd zwischen Sie und Ihre Mutter treten werde, Arthur. Ich vermittelte zwischen Ihrer Mutter und Ihrem Vater, habe dieses und jenes Unheil abgewendet und habe Stöße und Schläge in Menge dabei abgekriegt: aber nun habe ich die Sache satt.«

      »Ich werde weiter nicht von Ihnen fordern, Jeremiah, daß Sie sich für mich ins Mittel legen.«

      »Gut, das freut mich zu hören: denn ich hätte es abschlagen müssen, wenn Sie dergleichen von mir verlangten. Genug – wie Ihre Mutter sagt, mehr als genug von solchen Dingen an einem Sonntagabend. Affery, Frau, hast du endlich gefunden, was du brauchst?«

      Sie hatte Leintücher und Decken aus einem Wandschrank geholt und legte sie nun eiligst zusammen, worauf sie »Ja, Jeremiah« sagte. Arthur Clennam half ihr die Last tragen, wünschte dem alten Mann gute Nacht und ging mit ihr die Treppen hinauf bis unter das Dach.

      Sie stiegen immer höher durch den dumpfen Geruch eines alten, dicht verschlossenen und wenig bewohnbaren Hauses nach einem großen Schlafzimmer im obersten Stockwerk: kahl und kärglich wie alle andern Zimmer, machte es dadurch noch einen häßlicheren und unheimlicheren Eindruck, daß es der Verbannungsort für allen abgenutzten Hausrat war. Die Möbel bestanden aus häßlichen alten Stühlen mit abgenutzten Sitzen, zwei häßlichen alten Stühlen ohne Sitze, einem fadenscheinigen musterlosen Teppich, einem tannenen Tisch, einem verkrüppelten Kleiderschrank, einem armseligen Sammelsurium von Kamingeräten, das wie ein Paar Skelette aussah, einem Waschtisch, der jahrhundertelang in einem Platzregen von schmutziger Seifenlauge gestanden zu haben schien, und einer Bettstelle mit vier nackten gerippartigen Eckpfosten, deren jeder in einem spitzen Nagel auslief, wie zur traurigen Bequemlichkeit der Insassen eingerichtet, die es vorziehen sollten, sich selbst aufzuspießen. Arthur öffnete das lange niedrige Fenster und blickte auf den alten ausgebrannten und geschwärzten Wald von Kaminen und den alten roten Glanz des Himmels, der ihm einst in früheren Tagen als der nächtliche Reflex der in Flammen stehenden Umgebung erschien, die sich seiner kindlichen Phantasie allerwärts, wohin er den Blick wenden mochte, darbot.

      Er zog den Kopf wieder zurück, setzte sich neben das Bett und sah zu, wie Affery Flintwinch es machte.

      »Affery, Sie waren nicht verheiratet, als ich von hier fortging.«

      Sie verzog den Mund, als wollte sie »Nein« sagen, schüttelte den Kopf und schob ein Kissen in das Linnen.

      »Wie kam das?«

      »Nun, Jeremiah natürlich!« sagte Affery, mit dem Ende eines Kissenbezuges zwischen den Zähnen.

      »Er machte Ihnen natürlich den Vorschlag, aber wie kam das alles? Ich hätte gedacht, keines von beiden würde heiraten; am wenigsten hätte ich mir aber träumen lassen, daß Sie sich heirateten.«

      »Das dacht' ich auch«, sagte Mrs. Flintwinch, indem sie das Kissen in den Bezug drückte.

      »Das ist's, was ich meine. Wann wurden Sie denn andern Sinnes?«

      »Ich wurde nie andern Sinnes«, sagte Mrs. Flintwinch.

      Als sie sah, daß er, während sie das Kissen auf dem Polster zurechtrückte, sie noch immer ansah, als ob er auf eine Antwort warte, schlug sie mit der Faust tüchtig in die Mitte und fragte: »Was hätte ich tun sollen?«

      »Was Sie hätten tun sollen, um sich nicht zu verheiraten?«

      »Natürlich«, sagte Mrs. Flintwinch. »Das war ja nicht meine Sache. Ich hätte nie daran gedacht. Ich mußte wirklich etwas tun, ohne daran zu denken. Sie hielt mich tüchtig zur Arbeit an, solange sie noch ausging, und damals konnte sie noch ausgehen.«

      »Nun?«

      »Nun?« wiederholte Mrs. Flintwinch. »Das ist's ja, was ich sagte. Nun? Was nützt das Überlegen? Wenn zwei so gescheite Leute wie sie wegen einer Sache einverstanden sind, was bleibt mir zu tun? Nichts.«

      »So war es der Plan meiner Mutter?«

      »Der Herr behüte Sie, Arthur, und verzeihe mir den Wunsch!« rief Affery, immer sonst leise sprechend. »Wenn sie beide nicht einverstanden gewesen, wie hätte die Sache geschehen können? Jeremiah hat mir nie den Hof gemacht. Es war auch gar nicht wahrscheinlich, daß er's je tun würde, nachdem er so viele Jahre mit mir im selben Hause gelebt und nur ans Befehlen gewöhnt gewesen. Er sagte eines Tages zu mir: ›Affery‹, sagte er, ›ich will Euch jetzt etwas sagen. Was denkt Ihr von dem Namen Flintwinch?‹ – ›Was ich davon denke?‹ sagte ich. – ›Ja‹, sagt er; ›weil Ihr ihn künftig führen sollt‹, sagte er. – ›Führen soll?‹ sagte ich, ›Jeremiah?‹ Oh, er ist ein gescheiter Mensch!«

      Mrs. Flintwinch breitete das obere Leintuch über das Bett und legte die wollene Decke darauf und die gesteppte Decke über diese, als ob sie mit ihrer Geschichte ganz zu Ende wäre.

      »Nun?« sagte Arthur wieder.

      »Nun?« wiederholte Mrs. Flintwinch. »Was könnt' ich machen? Er sagte zu mir: ›Affery, wir müssen uns heiraten, und ich will Euch sagen weshalb. Sie kränkelt und braucht deshalb beständige Pflege in ihrem Zimmer. Wir werden viel bei ihr sein müssen, und es wird niemand zur Hand sein, wenn wir nicht bei ihr sind – kurz, es ist passender, daß wir heiraten. Sie ist auch meiner Ansicht‹, sagte er, ›wenn Ihr deshalb nächsten Montag morgen um acht Uhr Euren Hut aufsetzen wollt, so können wir die Sache abmachen.‹« Mrs. Flintwinch schlug die Decke glatt.

      »Nun?« »Nun?« wiederholte Mrs. Flintwinch. »Ich dachte so: Ich setze mich hin und sage Ja. Nun! – Jeremiah sagte darauf zu mir: ›Was das Aufgebot betrifft, so werden wir nächsten Sonntag zum dritten Male ausgerufen; denn ich habe es seit vierzehn Tagen besorgt, und deshalb will ich den Montag zur Hochzeit bestimmen. Sie wird selbst mit Euch über die Sache sprechen und Euch nun vorbereitet finden, Affery.‹ Noch am selben Tage sprach sie mit mir und sagte: ›So, Affery, ich höre, daß du Jeremiah heiraten willst. Ich freue mich darüber, und auch du kannst dich mit Recht freuen. Er ist sehr geeignet für dich und mir unter diesen Umständen sehr willkommen. Er ist ein gescheiter Mann und ein redlicher Mann und ein ausdauernder Mann und ein frommer Mann.‹ Was konnte ich sagen, wenn die Sache schon so weit gediehen? Und hätt' es einen – Erstickungsversuch statt einer Heirat gegolten«, Mrs. Flintwinch suchte mit großer Anstrengung nach dieser Form des Ausdrucks, »ich hätte ebensowenig gegen diese beiden gescheiten Leute ein Wort hervorbringen können.«

      »Wahrhaftig, das glaube ich.«

      »Das können Sie auch, Arthur.«

      »Affery, was war das für ein Mädchen soeben in meiner Mutter Zimmer?«

      »Mädchen?« sagte Mr«. Flintwinch in ziemlich scharfem


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