Klein-Doritt. Charles Dickens

Читать онлайн книгу.

Klein-Doritt - Charles Dickens


Скачать книгу
Plornish, und diese mütterliche Beschäftigung war die Beschäftigung von Mrs. Plornish während des größten Teils ihres wachen Daseins.

      »Ist Mr. Plornish zu Hause?«

      »Nein, mein Herr«, sagte Mrs. Plornish, eine höfliche Frau, »die Wahrheit zu sagen, er ist ausgegangen, um nach einem Geschäft zu sehen.«

      »Die Wahrheit zu sagen«, war eine Redensart von Mrs. Plornish. Sie hätte die Menschen unter allen Umständen so wenig wie möglich getäuscht; aber sie hatte die Eigenheit, in dieser vorsichtigen Weise zu antworten.

      »Glauben Sie, daß er bald zurück sein wird, wenn ich auf ihn wartete?«

      »Ich erwarte ihn schon seit einer halben Stunde jeden Augenblick«, sagte Mrs. Plornish. »Treten Sie ein, Sir.«

      Arthur trat in das ziemlich dunkle und dumpfige, obgleich sehr hohe Parterrezimmer und setzte sich auf den Stuhl, der ihm hingestellt worden war.

      »Die Wahrheit zu sagen, Sir, ich schlag' es hoch an«, sagte Mrs. Plornish, »ich halte es für sehr gütig von Ihnen.«

      Er wußte nicht recht, was sie damit meinte; und dies Gefühl, das sich in seinen Augen aussprach, entlockte ihr eine Erklärung.

      »Es kommen nicht viele an diesen Ort der Dürftigkeit, die es der Mühe wert halten, ihren Hut abzunehmen«, sagte Mrs. Plornish. »Aber man denkt doch mehr darüber nach, als die Leute glauben.«

      Clennam, der sich verlegen fühlte bei dem Gedanken, daß diese unbedeutende Höflichkeit etwas Außergewöhnliches sei, entgegnete: das sei nicht der Rede wert. Und sich hinabbeugend, um einem andern kleinen Kinde die Wangen zu kosen, das auf dem Boden saß und ihn anblickte, fragte er Mrs. Plornish, wie alt der hübsche Knabe sei.

      »Gerade vier Jahre, Sir«, sagte Mrs. Plornish. »Es ist wirklich ein hübscher kleiner Junge, nicht wahr, Sir? Aber der da ist etwas kränklich.« Sie wiegte den Säugling sanft in den Armen, während sie dies sagte. »Sie werden mir gütigst erlauben, Sie zu fragen, Sir, ob es ein Geschäft ist, wegen dessen Sie gekommen?« fügte Mrs. Plornish neugierig hinzu.

      Sie fragte so besorgt, daß, wenn er irgendeine Art von Haus gehabt, er es lieber einen Fuß dick hätte mit Gips bewerfen lassen, als nein zu sagen. Aber er war genötigt, nein zu antworten; und er sah einen Schatten von Enttäuschung über ihr Gesicht hinziehen, während sie tief aufseufzte und nach dem herabgebrannten Feuer blickte. Er sah indessen, daß Mrs. Plornish eine junge Frau war, die durch die Armut etwas schlampig an sich selbst und in ihrer Umgebung geworden; Armut und Kinder hatten sie so herumgezogen, daß deren vereinte Kräfte bereits auch Runzeln in ihr Gesicht gezogen.

      »Mit allem, was Auftrag heißt«, sagte Mrs. Plornish, »scheint es mir schief zu gehen, wahrhaftig es ist so.« (Hier beschränkte Mrs. Plornish ihre Bemerkung auf das Gipserhandwerk und sprach ohne Beziehung auf das Circumlocution Office und die Familie Barnacle.)

      »Ist es so schwierig, Arbeit zu bekommen?« fragte Arthur Clennam.

      »Plornish findet es«, versetzte sie. »Er ist sehr unglücklich. Wirklich sehr unglücklich.«

      Er war es auch in der Tat. Er war einer von den Pilgern auf dem Lebensweg, die mit übernatürlichen Hühneraugen behaftet sind. Diese machen es ihnen unmöglich, selbst mit ihren lahmen Rivalen gleichen Schritt zu halten. Ein williger, arbeitsamer, sanfter, nicht hartköpfiger Mann, nahm Plornish sein Schicksal so geduldig hin, wie man es nur erwarten konnte, obwohl es ein hartes Schicksal war. Es geschah so selten, daß wirklich jemand seiner zu bedürfen schien; es war ein so großer Ausnahmefall, wenn man seine Kräfte in Anspruch nahm, daß sein trüber Geist sich nicht klar werden konnte, wie dies kam. Er nahm die Sache deshalb, wie sie war; er stolperte in alle Arten von Verlegenheiten und stolperte auch wieder heraus; und so durch das Leben stolpernd, wurde er zuletzt ordentlich zerquetscht.

      »Er läßt es ganz gewiß nicht daran fehlen, sich nach Arbeit umzusehen«, sagte Mrs. Plornish, ihre Brauen erhebend und nach einer Lösung des Problems zwischen den Eisenstäben des Gitters suchend, »auch ist er fleißig bei der Arbeit, wenn er solche bekommen kann. Niemand hat meinen Mann je über das Geschäft klagen hören.«

      Auf die eine oder andere Art war dies das allgemeine Unglück des Hofes zum blutenden Herzen. Von Zeit zu Zeit war die allgemeine Klage, die sehr nachdrücklich die Runde machte, daß die Arbeitskraft so rar sei – was gewisse Leute sehr übel aufnahmen, als ob sie nach ihrem Gutdünken ein absolutes Recht darauf hätten, – aber der Hof zum blutenden Herzen, obgleich so willig wie irgendein Hof in ganz England, war trotz der Nachfrage deshalb nicht besser daran. Jene hohe alte Familie, die Barnacles, war längst zu sehr mit ihrem großen Prinzip beschäftigt, um in solche Dinge einzudringen; und die Sache hatte auch wirklich nichts mit ihrem Bemühen zu tun, alle andern hohen alten Familien, ausgenommen die Stiltstalking, an Taktik zu übertreffen.

      Während Mrs. Plornish in solchen Worten von ihrem abwesenden Manne sprach, kam dieser. Ein glattwangiger, blühend aussehender, rotbärtiger Mann von dreißig Jahren, mit langen Beinen, schlaffen Knien, einfältigem Gesicht und einer flanellenen Jacke, die mit Kalk bespritzt war. »Das ist Plornish, Sir.«

      »Ich kam«, sagte Clennam, »Sie um die Gefälligkeit einer kleinen Unterredung wegen der Familie Dorrit zu bitten.«

      Plornish wurde mißtrauisch. Er schien einen Gläubiger zu wittern und sagte: »Ah! Ja! So, so. Er wisse nicht, welche Auskunft er einem Gentleman über diese Familie geben könnte. Worum es sich denn handle?«

      »Ich kenne Sie besser«, sagte Clennam lächelnd, »als Sie wohl vermuten.«

      Plornish bemerkte, ohne jedoch auch zu lächeln: »Und doch habe er nicht das Vergnügen, mit dem Gentleman bekannt zu sein.«

      »Nein«, sagte Arthur, »ich kenne Sie durch Ihre Dienste aus zweiter Hand, aber aus der besten Quelle. Durch Klein-Dorrit. Ich meine«, erklärte er, »Miß Dorrit.«

      »Mr. Clennam, nicht wahr? Oh! Habe von Ihnen gehört, Sir.«

      »Und ich von Ihnen«, sagte Arthur.

      »Bitte, setzen Sie sich wieder, Sir, und seien Sie mir willkommen. – O ja«, sagte Plornish, einen Stuhl nehmend und das ältere Kind auf seine Knie nehmend, um die moralische Stütze zu haben, über seinen Kopf hinüber mit dem Fremden sprechen zu können, »ich selber war auch einmal auf der schlimmen Seite der Gefängnistüre und lernte auf diese Weise Miß Dorrit kennen. Ich und meine Frau sind gut bekannt mit Miß Dorrit.«

      »Ganz intim!« rief Mrs. Plornish. Sie war wirklich so stolz auf diese Bekanntschaft, daß sie eine ziemlich erbitterte Stimmung im Hofe hervorgerufen, indem sie die Summe, wegen der Miß Dorrits Vater ins Schuldgefängnis kam, ins Enorme gesteigert hatte. Die »blutenden Herzen« nahmen ihren Anspruch auf die Bekanntschaft mit Leuten von solcher Distinktion übel auf.

      »Mit ihrem Vater wurde ich zuerst bekannt. Und durch die Bekanntschaft mit ihm wurde ich, Sie begreifen; ganz natürlich auch mit ihr bekannt«, sagte Plornish wiederholend.

      »Ich begreife.«

      »Ach! Was hat er für Manieren! Wie fein ist er! Was ist er für ein Gentleman, der noch im Marschallgefängnis gedeiht! Sie wissen vielleicht nicht«, sagte Plornish, seine Stimme schwächend und mit einer verkehrten Bewunderung dessen sprechend, was er hätte bemitleiden oder verachten sollen, »wissen nicht, daß Miß Dorrit und ihre Schwester ihn nicht wissen lassen dürfen, daß sie für den Lebensunterhalt arbeiten. Nein«, sagte Plornish, der mit einem lächerlichen Triumph zuerst seine Frau ansah und dann im ganzen Zimmer umherblickte. »Dürfen's ihn nicht wissen lassen, dürfen's nicht.«

      »Ohne ihn deshalb zu bewundern, tut es mir doch sehr leid um ihn«, bemerkte Clennam ruhig. Diese Bemerkung schien Plornish zum erstenmal darauf aufmerksam zu machen, daß es doch nicht gerade ein sehr edler Charakterzug sei. Er erwog diesen Gedanken einen Augenblick und gab ihn dann auf.

      »Gegen mich«, begann er aufs neue, »ist Mr. Dorrit so freundlich, wie man es nur immer erwarten kann. Namentlich, wenn man den Standes- und Rangunterschied zwischen uns in Betracht zieht. Aber wir sprachen von Miß Dorrit.«

      »Allerdings.


Скачать книгу