Klein-Doritt. Charles Dickens

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Klein-Doritt - Charles Dickens


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Ansicht bekräftigte.

      »Nun kamen die Schwierigkeiten unserer gegenseitigen Stellung. Ich bin stolz. Ich sage nichts zur Verteidigung des Stolzes, aber ich bin stolz. Auch liegt es in meinem Charakter, zu herrschen. Ich kann nicht gehorchen; ich muß herrschen. Unglücklicherweise ruhte das Vermögen von Madame Rigaud in ihren Händen. Das war die wahnsinnige Verfügung ihres verstorbenen Mannes. Noch unglücklichererweise hatte sie Verwandte. Wenn die Verwandten einer Frau sich gegen einen Gatten ins Mittel legen, der ein Kavalier, der stolz ist und der herrschen muß, so sind die Folgen für den Frieden immer sehr gefährlich. Madame Rigaud war unglücklicherweise etwas gewöhnlich. Ich suchte ihren Formen einen feinen Schliff zu geben und ihren Ton im allgemeinen etwas zu verbessern; sie nahm (auch darin von ihren Verwandten unterstützt) meine Bemühungen übel auf. Es entstanden Streitigkeiten zwischen uns; die Nachbarn bekamen durch die verleumderischen Zungen der Verwandten von Madame Rigaud übertriebene Kunde davon. Man sagte, ich behandle Madame Rigaud grausam. Man wollte gesehen haben, wie ich ihr ins Gesicht geschlagen – nichts weiter. Ich habe eine leichte Hand, und wenn man mich Madame Rigaud in dieser Weise zurechtweisen sah, so konnte es ihr wenigstens nicht sehr weh tun: denn es geschah ja nur auf scherzhafte Art.«

      Wenn die scherzhafte Art des Herrn Rigaud in seinem Lächeln bei diesen Worten einen entsprechenden Ausdruck fand, so würden die Verwandten von Madame Rigaud ohne Zweifel es weit vorgezogen haben, wenn er die unglückliche Frau ernsthaft zurechtgewiesen.

      »Ich bin feinfühlig und mutig. Ich will es nicht für ein Verdienst ausgeben, feinfühlig und mutig zu sein, aber es ist mal mein Charakter. Wären die männlichen Verwandten von Madame Rigaud offen gegen mich aufgetreten, würde ich gewußt haben, was mit ihnen anzufangen ist. Sie merkten das und setzten ihre Wühlereien im stillen fort, dadurch gerieten Madame Rigaud und ich häufig in die unglückseligste Kollision. Selbst wenn ich einer kleinen Summe Geldes zu meinen persönlichen Ausgaben bedurfte, konnte ich sie nicht ohne Streit bekommen – und das ich, ein Mann, in dessen Charakter es liegt, zu herrschen? Eines Abends gingen Madame Rigaud und ich freundschaftlich – ich darf sagen wie Liebende – auf einem über die See hinaushängenden Felsenweg spazieren. Ein Unstern ließ Madame Rigaud das Gespräch auf ihre Verwandten bringen. Ich sprach verständig mit ihr über diesen Gegenstand, machte ihr Vorhaltungen über den Mangel an Pflichtgefühl und Hingebung, den sie dadurch an den Tag lege, daß sie sich von der eifersüchtigen Gesinnung ihrer Verwandten gegen den Gatten beeinflussen lasse. Madame Rigaud antwortete etwas derb, ich nicht minder. Madame Rigaud wurde warm, ich wurde gleichfalls warm und reizte sie. Ich gestehe es zu. Offenheit ist eine Seite meines Charakters. Endlich warf sich Madame Rigaud in einem Anfall von Wut, den ich ewig beklagen werde, mit leidenschaftlichem Geschrei auf mich, ohne Zweifel dasselbe Geschrei, das man in der Ferne gehört, zerriß meine Kleider, zerraufte mein Haar, zerkratzte mir die Hände, stampfte mit den Füßen, daß der Staub hoch aufflog, und sprang zuletzt über den Felsen hinab, wo sie sich an den Riffen unten zerschmetterte. Das ist die Kette von Ereignissen, durch die die Bosheit mich zuerst dazu gebracht, von Madame Rigaud das Aufgeben ihrer Rechte gebieterisch zu verlangen und, als sie darein zu willigen sich standhaft weigerte, handgemein mit ihr zu werden – sie zu ermorden!«

      Er trat an den Fenstervorsprung, wo das Weinlaub noch herumlag, nahm zwei oder drei Blätter und wischte, mit dem Rücken gegen das Licht gekehrt, sich die Hände daran ab.

      »Nun«, fragte er nach einer Pause, »habt Ihr auf alles das nichts zu sagen?«

      »Es ist schändlich«, entgegnete der kleine Mann, der aufgestanden war und sein Messer an dem Schuh wetzte, während er sich mit einem Arm gegen die Wand stemmte. »Was soll das?«

      Johann Baptist wetzte schweigend weiter.

      »Glaubt Ihr, daß ich die Sachlage nicht streng nach der Wahrheit dargestellt?«

      »Altro!« entgegnete Johann Baptist. Das Wort war diesmal eine Rechtfertigung und sollte soviel bedeuten als: »O, durchaus nicht.«

      »Was denn?«

      »Präsident und Tribunal haben gewöhnlich ihre vorgefaßte Meinung.«

      »Wohlan!« rief der andere, nicht ohne Unruhe und mit einem Fluch den Zipfel seines Mantels über die Schulter werfend, »so mögen sie ihr Schlimmstes tun!«

      »Das werden sie sicher auch«, murmelte Johann Baptist vor sich hin, während er sich bückte, um sein Messer in die Binde zu stecken.

      Man sprach von keiner Seite mehr, obgleich beide auf und ab zu gehen begannen und sich natürlich bei jedem Umdrehen begegnen mußten. Monsieur Rigaud blieb bisweilen einen Augenblick stehen, als ob er seine Sache in ein neues Licht stellen oder eine gereizte Entgegnung machen wollte. Da aber Signor Cavaletto seinen Spaziergang in einem wunderlich aussehenden stoßweisen Trott gemächlich fortsetzte und die Augen beständig zu Boden senkte, so blieb es auf der andern Seite bei der Absicht.

      Kurz darauf veranlaßte das Klirren eines Schlüssels im Schlosse, daß die beiden stehenblieben. Man hörte ein Geräusch von Stimmen und Tritten. Die Tür rasselte auf; die Stimmen und die Tritte kamen näher, und der Gefängniswärter stieg in Begleitung von einer Wache Soldaten die Treppe herauf.

      »Nun, Monsieur Rigaud«, sagte er, indem er mit den Schlüsseln in der Hand vor dem Gitter stehenblieb, »haben Sie die Güte herauszukommen.«

      »Ich soll, wie ich sehe, in feierlichem Zuge abgeholt werden?«

      »Wenn das nicht der Fall wäre«, entgegnete der Gefängniswärter, »so dürften Sie in vielen Stücken Ihren Kerker verlassen, daß es schwer wäre, sie wieder zusammenzulesen. Draußen steht eine Volksmasse, Monsieur Rigaud, die Ihnen nicht besonders gewogen zu sein scheint.« Mit diesen Worten verschwand er und schloß und riegelte eine kleine Tür in der Ecke des Kerkers auf. »Nun kommen Sie«, sagte er, während er öffnete und eintrat.

      Es gibt keine Art von Weiß zwischen allen Farben unter der Sonne, die im entferntesten Ähnlichkeit mit dem Weiß von Monsieur Rigauds Gesicht in diesem Augenblick gehabt. So gibt es auch entfernt keinen Ausdruck im menschlichen Antlitz, der diesem Ausdruck ähnlich gewesen, in dessen kleinstem Zug man das furchterfüllte Herz pochen sah. Man vergleicht beide gewöhnlich mit dem Tod. Aber der Unterschied ist so groß, wie die tiefe Kluft zwischen dem ausgerungenen Kampf und dem Streit in seiner verzweifeltsten Wut. Er zündete eine zweite Zigarette an der seines Mitgefangenen an, steckte sie zwischen die verbissenen Zähne, bedeckte den Kopf mit einem weichen, über die Augen hängenden Hut, warf den Zipfel seines Mantels wieder über die Schulter und trat auf die Seitengalerie hinaus, zu der die Tür führte, ohne weitere Notiz von Signor Cavaletto zu nehmen. Was den kleinen Mann selbst betrifft, so war sein ganzes Bestreben nur darauf gerichtet, der Tür nahe zu kommen und hinauszusehen. Ganz wie ein wildes Tier sich der geöffneten Tür seines Käfigs nähern und gierig nach der Freiheit draußen blicken würde, so verbrachte er die wenigen Augenblicke mit lauerndem Hinausschauen, bis die Tür sich vor ihm schloß.

      Die Soldaten kommandierte ein Offizier, ein stämmiger, dienstgeübter und ungemein ruhiger Mann, der mit dem gezogenen Degen in der Hand eine Zigarre rauchte. Er befahl in kurzem Ton, daß Monsieur Rigaud in der Mitte der Soldaten gehe, stellte sich mit vollendeter Gleichgültigkeit an ihre Spitze, kommandierte »Marsch!«, und nun ging's klirrend die Treppe hinunter. Die Tür fiel ins Schloß – der Schlüssel wurde umgedreht –, aber ein Strahl ungewohnten Lichtes und ein Hauch ungewohnter Luft schien den Kerker durchzogen zu haben und sich in den dünnen Rauchwölkchen der Zigarre zu verflüchtigen.

      Der einsam zurückgelassene Gefangene war wie ein Tier niederer Art – wie ein ungeduldiger Affe oder ein gereizter Bär der kleineren Gattung – auf die Fensterbank des Gefängnisses gesprungen, um keinen Blick auf den Scheidenden zu verlieren. Wie er noch so dastand, das Gitter mit beiden Händen haltend, drang ein Aufruhr an sein Ohr. Heulen, Schreien, Fluchen, Drohungen, Verwünschungen, alles durcheinander gemischt, obgleich man (wie bei einem Sturm) nichts als ein wildes Brausen hören konnte.

      Durch seine Gier, mehr zu erfahren, einem eingesperrten wilden Tier noch ähnlicher gemacht, sprang der Gefangene rasch herunter, lief in dem Kerker herum, faßte das Gitter und suchte daran zu rütteln; sprang dann wieder herunter, lief hin und her und horchte und ruhte nicht eher,


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