Friede, Freude, Frust?. Anselm Grün

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Friede, Freude, Frust? - Anselm Grün


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Urkirche, das Lukas für die Urgemeinde in Jerusalem so beschreibt: »Alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jedem so viel, wie er nötig hatte. Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel, brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude und Einfalt des Herzens. Sie lobten Gott und waren beim ganzen Volk beliebt« (Apostelgeschichte 2,44–47).

      Das klingt sehr schön – und vielleicht nicht gerade realistisch. In der Apostelgeschichte finden sich auch genügend Situationen, in denen Konflikte aufgetreten sind und wo dieses Ideal nicht durchgehalten werden konnte. Da gab es Streit zwischen den mehr jüdisch orientierten Christen und den Hellenisten, die als Christen griechische Bildung genossen hatten. Doch trotz aller Konflikte machte man doch die Erfahrung, dass da ein neues Miteinander entstanden war, ein Miteinander von Männern und Frauen, von Juden und Griechen, von Armen und Reichen, von Jungen und Alten. Diese Erfahrung war für Lukas ein Zeichen, dass das Reich Gottes durch Jesus wirklich gekommen ist.

      Auch wenn Benedikt das Ideal der Urkirche in Jerusalem vor Augen hatte, so erliegt er nirgends in seiner Regel der Versuchung, die Gemeinschaft der Mönche zu idealisieren. Im Gegenteil, er geht von täglichen Konflikten aus. Und er rechnet damit, dass manche Mönche sich ganz und gar nicht an die Regel halten, sondern aus der gewohnten Ordnung ausbrechen werden. So ordnet er an, dass der Abt am Ende der beiden Gebetszeiten Laudes und Vesper laut das Vaterunser betet, »dass alle es hören können; denn immer wieder gibt es Ärgernisse, die wie Dornen verletzen« (Regel Benedikts 13,12). Das laut gebetete Vaterunser soll die Atmosphäre in der Gemeinschaft täglich reinigen. Benedikt weiß aber, dass es trotzdem täglich Trübungen des Miteinanders geben wird, dass die Brüder sich gegenseitig verletzen, dass sich manche Brüder übersehen oder übergangen fühlen. Benedikt weiß, dass die Gemeinschaft keine heile Welt ist. Die Reibereien können die Atmosphäre vergiften. Daher braucht es ein tägliches Ritual, um das Gift aufzulösen und die Trübungen zu klären.

      In den sogenannten Strafkapiteln der Regel schreibt Benedikt, es komme immer wieder vor, »dass ein Bruder trotzig oder ungehorsam oder hochmütig ist oder dass er murrt« (Regel Benedikts 23,1). Manche halten sich nicht an die Regel, lassen sich nicht von ihr einengen. In ihrem Hochmut stellen sie sich über die Regel und über die Gemeinschaft. Sie schauen auf die anderen Brüder herab, sie murren, sind unzufrieden mit sich und mit der Situation und kritisieren alles. Sie haben den Eindruck, dass die Gemeinschaft schuld ist an ihrer Unzufriedenheit. Aber sie stellen sich nicht der eigenen Realität.

      Benedikt verurteilt das Murren scharf. Offensichtlich hat er es als echtes Problem in den Gemeinschaften erlebt. Murren bedeutet, die Schuld immer bei anderen zu suchen, die eigene Unzufriedenheit auf die anderen zu projizieren. Der Murrer fühlt sich als Opfer und weigert sich, selbst die Verantwortung für den Zustand der Gemeinschaft zu übernehmen. Das Murren vergiftet die Atmosphäre und spaltet die Gemeinschaft.

      Das Murren ist auch heute in vielen Gemeinschaften ein Problem. Da gibt es in Firmen Menschen, die die Atmosphäre vergiften, indem sie hinter dem Rücken der anderen alles in der Firma kritisieren. Sie lassen kein gutes Haar am Chef, sie schimpfen ständig über die Kollegen. Die Murrer brauchen immer Mitläufer. Sie hetzen andere auf, vor allem gegenüber dem Chef oder den Führungskräften. Aber oft wird das Murren auch zum Mobbing gegenüber Mitarbeitern, die anders sind. Weil sie eben anders sind, schimpft man über sie.

      Die Murrer üben Macht aus über die anderen. Wer sich nicht ihrer Meinung anschließt, wer sich nicht anpasst und nicht mitmurrt, wird ausgestoßen und lächerlich gemacht. Man nennt ihn einen Streber oder den Liebling des Chefs. Das geschieht nicht nur in Firmen, sondern fängt schon in der Schule an. Kinder können auch grausam sein und andere Kinder, die vielleicht bessere Leistungen bringen als sie, als Streber bekämpfen. Die Murrer, die in der Schule oder in einer Firma den Ton angeben, sind oft die, die in einer Gemeinschaft keinerlei Verantwortung übernehmen. Aber sie sind immer die ersten, die anderen Versagen oder Führungsschwäche vorwerfen.

      Natürlich gibt es auch berechtigte Kritik an einem Unternehmen und seinen Führungskräften. Doch eine berechtigte Kritik bringt man immer offen vor, weil es dann darum geht, Dinge auch wirklich ändern zu wollen. Wenn ich aber mit meiner Unzufriedenheit die Atmosphäre vergifte, weil ich alles schlechtmache, dann verstecke ich mich hinter dieser Methode, bin ich nicht bereit, wirklich eine Konfrontation auszuhalten oder Lösungsvorschläge vorzubringen. Ich spreche hinter dem Rücken der anderen, aber nur in kleinen Gruppen, von denen ich weiß, dass sie meiner Meinung sind. Doch solche Gruppen können allen, die in einem Unternehmen arbeiten, den Job vergällen. Man kann es nicht richtig greifen und spürt nur, dass eine negative Stimmung herrscht.

      Benedikt verlangt vom Abt, dass er murrende Brüder eine Zeitlang vom gemeinsamen Tisch und Gebet ausschließt. Das ist heute natürlich so nicht möglich. Aber es ist wichtig, dass man die Murrer isoliert. Die Isolierung kann nicht von oben, also von der Führungskraft ausgehen, sondern muss von der Gemeinschaft der Mitarbeiter ihren Anfang nehmen. Sie nehmen dem Murrer die Macht, wenn sie sich nicht anstecken lassen von seiner Unzufriedenheit, sondern ihn stattdessen damit konfrontieren, dass die Kritik an der richtigen Stelle vorgebracht werden sollte. Wenn der Murrer keine Mitläufer mehr hat, wird er irgendwann aufhören. Er spürt, dass er mit seinem Murren bei den anderen nicht ankommt, sondern sich selbst mehr und mehr isoliert.

      Benedikt schärft dem Abt ein, dass er sich besonders um die Brüder kümmern muss, die sich verfehlt haben. Als Begründung gibt er das Wort Jesu an: »Denn nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken« (Regel Benedikts 27,1; vgl. Matthäus 9,12).

      Der Abt soll wie ein weiser Arzt vorgehen und den Bruder, der sich verfehlt hat, trösten, »damit er nicht in zu tiefe Traurigkeit versinkt« (Regel Benedikts 27,3). Benedikt mahnt den Abt, sich immer bewusst zu machen, »dass er die Sorge für gebrechliche Menschen übernommen hat, nicht die Gewaltherrschaft über gesunde« (Regel Benedikts 27,6).

      Daher hält er ihm das Bild des guten Hirten vor Augen. Wie Jesus soll er dem verirrten Schaf nachgehen und es auf seine Schultern nehmen, um es zur Herde zurückzutragen. Benedikt verlangt vom Abt, dass er das Laster des Murrens ausrotten sollte, aber er sollte wie ein guter Hirt auf die Murrer zugehen und in ihnen gleichsam verlorene Schafe sehen, Menschen, die sich selbst verloren haben, die nicht in Beziehung sind mit sich selbst und sich daher auf die Fehler der anderen fixieren. Der Abt soll die Murrer so führen, dass sie ihrer eigenen Wahrheit ins Auge schauen können.

      Viele Gemeinschaften haben hohe Ideale. Da preisen sich Firmen in ihren Leitbildern selbst in den höchsten Tönen. Oder Vereine beschreiben die hehren Ziele, die sie mit ihrem Verein verfolgen. Parteien verkünden ihr Programm mit großen Worten. Doch die Realität sieht oft ganz anders aus. Es gibt einen Grundsatz: Dort, wo ich den Mund zu voll nehme, gibt es viele Schattenseiten. Das führt häufig zu einem Zwiespalt, der für die einzelnen Mitglieder schmerzlich ist. Ich erlebe auch spirituelle Gemeinschaften, die von sich sagen, dass sie eine besonders tiefe mystische Spiritualität pflegen. Doch der tägliche Umgang miteinander zeugt vom genauen Gegenteil. Da ist vor lauter spiritueller Höhenflüge im menschlichen Verhalten keine Wärme und Liebe zu spüren, sondern nur Kälte und Arroganz. Innerlich ist man häufig zerstritten. Da gibt es die Fans des Leiters, die anderen Mitarbeitern keine Chance lassen.

      Bei Führungsseminaren erlebe ich immer wieder, wie Führungskräfte darunter leiden, dass die Leitsätze der Unternehmen nur nach außen hin verkündet werden, aber die Realität innerhalb ganz anders aussieht. Von benediktinischen Gemeinschaften können diese Firmen lernen, sich zwar als Ziel zu setzen, Werte zu leben, sich aber zugleich auch der Realität zu stellen. Nur wenn ich mich der Wirklichkeit stelle, kann ich sie verwandeln. Sonst hängen die Werte und Leitbilder in der Luft.

      Das gilt nicht nur für Unternehmen, sondern in gewisser Weise auch für Beziehungen. Hans Jellouschek hat als Psychotherapeut erkannt, dass für das Scheitern vieler Ehen neoromantische Vorstellungen verantwortlich sind. Man erwartet, dass man in der Partnerschaft immer Glück erfahren muss und immer eine große Nähe zum Partner oder zur Partnerin. Wenn es dann die täglichen Reibereien gibt, ist man enttäuscht und meint, die Ehe aufgeben zu müssen, weil sie das nicht bringt, was man sich von ihr erwartet hat. Jellouschek meint, die Ehe sei keine Glücksveranstaltung,


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