Friede, Freude, Frust?. Anselm Grün

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Friede, Freude, Frust? - Anselm Grün


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sich gesamtgesellschaftlich beobachten: Wenn eine Gesellschaft zu sehr davon schwärmt, wie demokratisch sie ist, wie gerecht alles geordnet ist, wie gut die Infrastruktur funktioniert, dann gibt es sicher viele Schattenseiten. Häufig überdecken solche Lippenbekenntnisse dann auch nur den Unmut, der in der Bevölkerung herrscht. Das war zum Beispiel in der Zeit der Studentenrevolution von 1968 so: Nach außen hin hatte Deutschland sich von der Katastrophe des Krieges durch ungeheuren Fleiß zu einem wirtschaftlich blühenden Land hochgearbeitet. Aber die jungen Menschen spürten, dass unterschwellig etwas nicht stimmte. Viele hatten das Unrecht des Naziregimes verdrängt und waren innerlich erstarrt. Alexander Mitscherlich hat in seinem Buch »Die Unfähigkeit zu trauern« als Grund für diese Erstarrung die Weigerung genannt, das begangene Unrecht zu betrauern. Man hat die Augen davor verschlossen und sich mit Eifer dem wirtschaftlichen Aufbau gewidmet. Doch immer, wenn man sozusagen auf einem Auge blind wird, rächt es sich irgendwann. Das erleben wir gerade wieder in Deutschland: Lange Zeit hat man die Gefahr von rechts verharmlost. Man war sich einig, dass Rassismus und Antisemitismus zu verurteilen seien – was aber nicht bedeutet, dass es ihn in der Realität nicht gibt. Man hat sich ein Idealbild einer toleranten Gesellschaft gemacht. Doch dieses Idealbild ist spätestens mit dem Anschlag in Hanau und dem Tod des Regierungspräsidenten Walter Lübcke zerbrochen.

      Jede Gemeinschaft hat auch durchschnittliche Seiten. Das gilt für Familie, Unternehmen und Gesellschaft. Wenn man diese Durchschnittlichkeit nicht betrauert, erstarrt man innerlich oder aber man sucht den Grund für die eigene Unzufriedenheit in den anderen. Viele Politiker sehen den Grund für die Probleme in ihrem Land in der Politik anderer Länder. Doch sie weigern sich, sich die eigenen Probleme wirklich einzugestehen. Es ist immer leichter, andere zum Sündenbock zu machen, als den Dreck vor der eigenen Türe wegzuräumen.

      Es gibt noch eine andere Gefahr in dieser Hinsicht: Wenn Firmen oder Vereine sich selbst idealisieren, erzählen sie meistens von ihren Großtaten in der Vergangenheit oder eben von ihren hohen Idealen. Der Schweizer Psychotherapeut Carl Gustav Jung meinte einmal, alles, was lebendig ist, müsse sich wandeln. Das gilt für den einzelnen Menschen, aber genauso für eine Gemeinschaft. Als größten Feind dieser Verwandlung sieht Jung ein erfolgreiches Leben an: Wenn der Einzelne Erfolg hat, steht er in Gefahr, sich auszuruhen und dann innerlich zu erstarren. Das gilt auch für Gemeinschaften. Viele Unternehmen haben sich auf ihrem Erfolg ausgeruht und sind dann gescheitert. Ähnlich läuft es in Vereinen, Gewerkschaften und Parteien.

      Wenn man sich zu sehr auf der Vergangenheit ausruht, erstarrt man und wundert sich dann, dass nichts mehr vorangeht. Ein Beispiel dazu sind die großen Volksparteien in Deutschland. Sie haben sich zu lange auf ihren Erfolgen in der Vergangenheit ausgeruht. Ihre Konzepte und Ideen haben Wohlstand gebracht. Und so meinen sie, sie könnten immer so weitermachen, die alten Konzepte nur etwas anpassen und moderner kleiden. Doch jetzt spüren sie, dass ihnen die Wähler davonlaufen, weil sie die Wandlung verpasst haben, die Herausforderung, sich an einen modernen und daher in vieler Hinsicht auch anderen Alltag ihrer Wähler anzupassen. Jede Partei muss sich wandeln, um lebendig bleiben zu können.

      Verwandlung bedeutet jedoch kein planloses Ändern. Manche Firmen, Vereine oder Parteien spüren den Mitgliederschwund sehr deutlich. Sie versuchen, alles anders zu machen, doch dann verliert die Gemeinschaft ihre Identität. Verwandlung heißt: Ich würdige die Gemeinschaft so, wie sie geworden ist. Aber sie ist noch nicht die, die sie von ihrem Wesen her sein könnte. Das Ziel der Verwandlung ist, dass die Gemeinschaft immer mehr die wird, die sie von ihrer Geschichte und von ihrer ursprünglichen Vision her sein könnte.

      Für Benedikt hängt das Gelingen von Gemeinschaft davon ab, dass der Abt sich um die schwachen und kranken Brüder kümmert. Das Gelingen einer Gesellschaft hängt daher davon ab, dass auch die Schwachen gehört werden. Das Erstarken des Rechtspopulismus hat sicher viele Ursachen. Da ist einmal das Minderwertigkeitsgefühl, das man durch einen übertriebenen Nationalismus zu überspielen sucht. Aber es hat seine Ursache sicher auch darin, dass man die Bedürfnisse der Schwachen überhört hat, die sich dann auf extreme Weise äußern. Wer sich ungehört fühlt, meldet sich oft auf ungehörige Weise zu Wort, damit man ihn endlich hört und ernst nimmt.

      Benedikt hat in seiner Regel immer wieder die Demut betont. Demut kommt vom lateinischen Begriff humilitas und hängt mit humus, dem Wort für »Erde«, zusammen. Demut ist der Mut, sich der eigenen Erdhaftigkeit bewusst zu werden. Aber Demut gilt auch für die, die an der Macht sind. Daher fordert Benedikt vor allem vom Cellerar, dem Klosterverwalter, Demut.

      Der Cellerar kann wie Politiker oder Firmenchefs nicht alle Erwartungen erfüllen. Aber Benedikt mahnt ihn, dass er den, der unvernünftige Forderungen stellt, nicht durch Verachtung kränkt, sondern er »schlage ihm die unangemessene Bitte vernünftig und mit Demut ab« (Regel Benedikts 31,7). Die Verantwortlichen sollen die Demut besitzen, sich auf den Schwachen und Bedürftigen einzulassen und ihnen auf gleicher Augenhöhe zu begegnen. Sie sollen nicht alles vom hohen Thron her regeln, sondern brauchen den Kontakt mit den Schwachen und Verletzten. Nur dann wird auf Dauer ein gutes Miteinander möglich.

      Jede Gemeinschaft bietet uns immer zwei Erfahrungen an: die von Erfüllung und von Enttäuschung. Das gilt zum Beispiel für geistliche Gemeinschaften: Manchmal blitzt im Gottesdienst oder in einem Bibelgespräch oder in einem gemeinsamen Projekt, das gelingt, die heilende Nähe Gottes auf. Aber oft genug erleben wir auch Enttäuschungen. Wir denken, dass alle in der Gemeinschaft sich vom Geist Jesu leiten lassen. Doch dann merken wir, dass manche die Gemeinde als Ort benutzen, ihr Bedürfnis nach Macht auszuleben, oder dass sie im Miteinander schwierig sind und ihre neurotischen Lebensmuster das Miteinander stören.

      Diese zweifache Erfahrung gilt aber für jede Gemeinschaft. Am Anfang hält der Verein, die Partei zusammen. Alle sind sich einig. Doch dann »menschelt« es. Auch in Vereinen oder Bewegungen, die sich dem Umweltschutz oder der Friedensbewegung verpflichtet wissen, entstehen Machtkämpfe. Vielleicht greift auch jemand in einem wohltätigen Verein in die Vereinskasse. Beides gehört zur Erfahrung in jeder Gemeinschaft. Da gibt es Parteitage, bei denen alle euphorisch sind und meinen, einen neuen Aufbruch zu wagen. Und dann endet es im Gerangel um die Posten in der Partei und in der Politik.

      Für eine klösterliche Gemeinschaft gilt, dass uns beide Erfahrungen für Gott aufbrechen wollen. Denn es geht nicht nur darum, sich in der Gemeinde wohlzufühlen, sondern sich vom Miteinander immer mehr auf Gott hin öffnen zu lassen. Dazu gehören gerade die Enttäuschungen, die mich letztlich antreiben, mich immer mehr für Gott aufbrechen zu lassen. In einer weltlichen Gemeinde, einem Verein oder einem Unternehmen können wir dankbar sein für die erfüllenden Erfahrungen. Aber auch die Enttäuschungen haben ihren Sinn. Sie bewahren uns davor, abzuheben und uns für besser zu halten als alle anderen. Die Enttäuschungen dürfen uns nicht lähmen, sondern sollen uns aufbrechen, dass wir für neue Wege offen sind und uns ehrlich den Problemen stellen. Gerade wenn wir in aller Demut und Ehrlichkeit miteinander umgehen, kann ein gutes Miteinander entstehen.

      Enttäuschungen gehören wesentlich zur Erfahrung von Gemeinschaft. Manche jammern dann und fühlen sich als Opfer einer Gemeinschaft, die gar nicht den Geist Jesu widerspiegelt, sondern von Machtkämpfen und Intrigen geprägt ist. Doch für Benedikt ist gerade die Erfahrung der Enttäuschung eine Herausforderung, in Gott den Grund für unsere christliche Existenz zu sehen und nicht in einer idealen Gemeinschaft. Es zeugt vom Realitätssinn Benedikts, dass er mit Enttäuschungen rechnet. Sie zeigen, dass ich mich getäuscht habe mit meinen Idealbildern. Ich bin letztlich Illusionen nachgelaufen. Ich dachte, ich könnte Gott nur in einer idealen Gemeinschaft erfahren. Doch Benedikt ist überzeugt: Gerade in einer Gemeinschaft, die mich immer wieder enttäuscht, kann ich Gott erfahren. Ich verwechsle dann Gott nicht mit den guten Gefühlen, die mir eine Gemeinschaft vermitteln kann. Gute Gefühle können mich für Gott öffnen und mir Gotteserfahrung vermitteln. Aber ich darf diese Gefühle nicht mit Gott identifizieren. Gott ist jenseits aller Gefühle. Die Enttäuschungen zwingen mich, den Gott jenseits der Gefühle zu suchen.

      Auch in weltlichen Gemeinschaften fühlen sich viele als Opfer. Sie haben sich voller Idealismus in einem Verein engagiert, der ein gemeinnütziges Ziel hat. Dann werden sie enttäuscht durch den Egoismus der Führungskräfte oder durch die Machtspiele unter den Vereinsmitgliedern. Der Sinn solcher Enttäuschungen besteht darin, die Beziehungen unter den Mitgliedern realistisch anzuschauen


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