Dombey und Sohn. Charles Dickens

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Dombey und Sohn - Charles Dickens


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Es gelang ihr aber doch durch ihre Nachfragen, die sie vorderhand nur auf den Weg nach der City beschränkte, allmählich dem Herzen jener großen Region näher zu kommen, die durch den schrecklichen Lord-Mayor beherrscht wird.

      Müde vom Gehen, allenthalben hin und her gestoßen, betäubt von dem Lärm und der Verwirrung, voll Angst um ihren Bruder und die Wärterinnen, erschreckt durch das Vorgefallene und durch die Aussicht, ihrem zornigen Vater in einem so veränderten Zustand entgegenzutreten, wankte Florence mit tränenvollen Augen auf ihrem Wege weiter und konnte sich's nicht erwehren, ein- oder zweimal haltzumachen, um ihr übervolles Herz durch ein bitterliches Weinen zu erleichtern. Aber in dem Gewande, das sie trug, achteten bei solchen Gelegenheiten nur wenige Leute auf sie, oder wenn es auch geschah, so glaubte man, sie sei dazu angehalten, um Mitleid zu erregen, und ging weiter. Doch bot die Kleine all die Festigkeit und Selbstzuversicht eines Charakters, der durch traurige Erfahrungen frühzeitig geprüft und gereift ist, auf und strebte stetig dem Ziele zu, das sie im Auge hatte.

      Volle zwei Stunden später, nachdem sie ihren letzten abenteuerlichen Gang angetreten, gelangte sie aus dem Lärm einer engen Straße voller Karren und Frachtwagen nach einer Art Werft oder einem Landungsplatz an der Flußseite, wo viel Gepäck, Fässer und Kisten umherlagen. Neben einer großen hölzernen Wage stand ein kleines Bretterhaus auf Rädern, vor dem ein stämmiger Mann pfeifend, die Feder hinter dem Ohr und die Hände in der Tasche, als ob sein Tagwerk bald zu Ende sei, nach den benachbarten Masten und Booten hinsah.

      »Was willst du?« sagte der Mann, der sich zufällig nach ihr umdrehte. »Wir haben nichts für dich, Mädchen. Mach', daß du fortkommst!«

      »Mit Erlaubnis, ist hier die City?« fragte die zitternde Tochter der Dombeys.

      »Ja, freilich ist es die City, aber ich denke mir, du weißt das ebenso gut. Marsch da! Wir haben nichts für dich.«

      »Ich verlange nichts, danke Euch«, lautete die schüchterne Antwort. »Ich möchte nur den Weg zu Dombey und Sohn wissen.«

      Der Mann, der sorglos auf sie zugegangen war, schien über diese Antwort in Staunen zu geraten; er sah ihr aufmerksam ins Gesicht und erwiderte:

      »Der Tausend, was kannst du von Dombey und Sohn wollen?«

      »Nur den Weg dahin, wenn ich bitten darf.«

      Der Mann sah sie noch neugieriger an und rieb sich vor Verwunderung den Hinterkopf so eifrig, daß ihm der Hut herunterflog.

      »Joe!« rief er einem andern Manne, einem Arbeiter zu, während er seine Kopfbedeckung aufhob und sie wieder aufsetzte.

      »Was verlangt Ihr von Joe?« versetzte der Angerufene.

      »Wo ist denn der junge Bursch von Dombey, der die Aufsicht über die Einschiffung der Güter hat?«

      »Eben nach dem andern Tore gegangen«, sagte Joe.

      »Ruft ihn auf einen Augenblick zurück.«

      Joe lief rufend einen Bogenweg hinauf und kehrte mit einem blühend aussehenden Knaben zurück.

      »Ihr seid Dombeys Jockei, nicht wahr?« fragte der erste Mann.

      »Ich bin in Dombeys Haus, Mr. Clark«, entgegnete der Knabe.

      »So seht dahin«, sagte Mr. Clark.

      Der Andeutung von Mr. Clarks Hand entsprechend, ging der Knabe auf Florence zu, wie man sich denken kann, sehr verwundert, was er mit dem Geschöpfe wohl zu schaffen haben könnte. Sie aber, sobald sie gehört hatte, was vorging, und daraus die Beruhigung entnehmen konnte, plötzlich wohlbehalten am Ziel ihrer Reise angelangt zu sein, fühlte sich über die Maßen ermutigt durch das lebhafte jugendliche Gesicht und das Benehmen des Knaben; sie eilte hastig auf ihn zu, wobei einer ihrer Schlappschuhe auf dem Boden zurückblieb, und ergriff mit ihren beiden Händchen seine Hand.

      »Ich habe mich verirrt«, sagte Florence.

      »Verirrt!« rief der Knabe.

      »Ja; ich hab' mich heute mittag, weit weg von hier, verirrt. Man hat mich meiner Kleider beraubt, und diese Lumpen gehören nicht mir. Ich heiße Florence Dombey und bin die Schwester meines kleinen Bruders – und, ach Gott, nehmt Euch meiner an, seid so gütig!« schluchzte Florence, indem sie ihren so lang unterdrückten kindlichen Gefühlen in vollem Maße Luft machte und in Tränen ausbrach. Zu gleicher Zeit war ihr erbärmlicher Hut abgefallen, so daß die Locken ihr über das Gesicht niederwallten – welch' ein Gegenstand für die sprachlose Bewunderung und das Mitleid des jungen Walters, des Neffen von Solomon Gills, dem Schiffsinstrumentenmacher.

      Mr. Clark stand im größten Erstaunen da und bemerkte halblaut vor sich hin, daß ihm auf dieser Werft nie zuvor etwas Ähnliches vorgekommen sei. Walter hob den verlorenen Schuh auf und paßte ihn dem kleinen Fuß an, wie es etwa der Prinz in dem Märchen Aschenbrödel getan haben mochte. Er hing das Kaninchenfell über seinen linken Arm, gab den rechten Florence und fühlte sich dabei, ich will nicht sagen wie Richard Whittington, denn das wäre nur ein matter Vergleich, sondern wie der heilige Georg von England, als der Drache tot zu seinen Füßen lag.

      »Weint nicht, Miß Dombey«, sagte Walter im Übermaß seiner Begeisterung. »Eine wunderbare Fügung ist es, daß ich gerade hier bin. Ihr seid jetzt so sicher, als stündet Ihr unter dem Geleite einer ganzen Bootsmannschaft, der besten, die man von einem Kriegsschiff auswählen kann. O, weint nicht.«

      »Ich will nicht mehr weinen«, versetzte Florence. »Ich habe es nur aus Freude getan.«

      »Vor Freude geweint!« dachte Walter. »Und ich bin die Ursache davon! Kommt mit, Miß Dombey. Jetzt ist der andere Schuh auch abgefallen! Nehmt meine, Miß Dombey.«

      »Nein, nein, nein«, entgegnete Florence, ihn abhaltend, als er eben im größten Eifer seine Schuhe ausziehen wollte. »Diese sind schon gut; ich komme ganz gut darin weiter.«

      »Ei freilich«, erwiderte Walter, indem er seinen Fuß ansah, »meine sind um eine Meile zu groß. Was denke ich auch! Ihr könntet nie in meinen Schuhen gehen! Doch kommt mit, Miß Dombey. Wir wollen den Schurken sehen, der sich erdreisten wird. Euch jetzt zu belästigen.«

      Bei diesen Worten schaute Walter mit unendlich wilder Miene umher und führte in der seligsten Stimmung Florence weiter. Sie gingen Arm in Arm ihrer Straße, ohne sich um das Erstaunen zu kümmern, das ihr Aussehen bei den Vorübergehenden erregte oder doch zu erregen imstande war.

      Es wurde nachgerade dunkel, neblig, und am Ende fing es gar an zu regnen; aber sie kümmerten sich nicht darum. Beide waren zu sehr in die kürzlichen Abenteuer vertieft, welche Florence mit der unschuldigen Vertraulichkeit und Zuversicht ihrer Jahre erzählte, während ihr Walter zuhörte, als ergingen sie sich fern von dem Kot und Unflat der Themsestraße, allein unter den breiten Blättern und hohen Bäumen irgendeiner verlassenen Tropeninsel – ja es ist sehr gut möglich, daß er sich in diesem Augenblick sogar ein derartiges Bild vergegenwärtigte.

      »Haben wir noch weit zu gehen?« fragte Florence endlich, die Augen zu dem Gesicht ihres Begleiters erhebend.

      »Ah! beiläufig«, sagte Walter stehenbleibend, »laß mich sehen, wo wir sind. O! ich kenne mich aus. Aber die Geschäftslokale sind jetzt geschlossen, Miß Dombey. Es ist niemand dort. Mr. Dombey ist längst nach Hause gegangen. Vermutlich müssen wir auch nach Hause gehen – oder halt! Gesetzt, ich brächte Euch zu meinem Onkel, bei dem ich lebe – es ist ganz in der Nähe hier – und ließe mich in einer Kutsche nach Eurer Wohnung fahren, um dort zu sagen, daß Ihr wohlbehalten seid, und holte für Euch Kleider? Wäre nicht das das beste?«

      »Ich denke so«, antwortete Florence. »Meint Ihr nicht? Was haltet Ihr davon?«

      Während sie noch überlegend auf der Straße standen, kam ein Mann an ihnen vorbei, der Walter einen raschen Blick zuwarf, als ob er ihn erkannt hätte; er schien jedoch den ersten Eindruck für einen Irrtum zu halten und ging sogleich wieder weiter.

      »Ei, ist das nicht Mr. Carter gewesen?« sagte Walter. »Carter in unserm Hause. Nicht Carter der Magazinverwalter, Miß Dombey – der andere Carter, der jüngere. – He, Mr. Carter!«

      »Seid


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