Dombey und Sohn. Charles Dickens

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Dombey und Sohn - Charles Dickens


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auch für unsere moderne Zeit mitnehmen.

      Die Durcharbeitung dieses Werkes fiel für den Herausgeber in eine Zeit, da er selbst durch Amtsgeschäfte und berufliche Tätigkeit sehr in Anspruch genommen war. Um so dankbarer ist er daher seiner bisherigen treuen Helferin an diesem Unternehmen, Frau Clara Weinberg, für die geleistete Unterstützung.

      Den 26. Januar 1928.

      P. Th. H.

      Dombey saß in der Ecke des abgedunkelten Zimmers in dem großen Lehnstuhl neben dem Bett, und Sohn lag, warm eingewickelt, in einem Korbnestchen, das unmittelbar vor dem Feuer auf einem niedrigen Schemel stand und der Glut sich so nah befand, als ob die Konstitution des jungen Herrleins Ähnlichkeit habe mit der einer Semmel, die braun geröstet werden muß, solange sie noch frisch ist.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/d/d0/Toots_Dickens_1889.jpg/800px-Toots_Dickens_1889.jpg

      Die Figur des Toots, einer der Bewunderer der von Dombey vernachlässigten Florence

      Dombey war ungefähr achtundvierzig Jahre alt, Sohn etwa achtundvierzig Minuten. Dombey war etwas kahl, ziemlich rot und, obschon sonst ein wohlproportionierter Mann, doch zu ernst und zu pomphaft in seinem Äußern, um durch dieses sonderlich anzusprechen, während Sohn sehr kahl, sehr rot und, wenn auch unleugbar ein sehr schönes Kind, im allgemeinen vorderhand etwas zerdrückt und verbeult aussah. Auf Dombeys Stirn hatten Zeit und Sorge, wie an einem Baum, der bald zum Fällen reif ist, allerlei Merkmale eingegraben: denn besagte beiden Schwestern schreiten schonungslos durch die Menschenforsten und lassen überall die Zeichen ihres Dagewesenseins zurück. Das Gesicht von Sohn aber war von tausend kleinen Furchen gekreuzt, die dieselbe hinterlistige Zeit mit dem flachen Teil ihrer Sense auszuglätten bestimmt war – eine Vorbereitung für die tieferen Eindrücke späterer Jahre.

      Überglücklich ob der langersehnten Ereignisse klimperte und klimperte Dombey mit der schweren goldenen Uhrkette, die unter dem eleganten blauen Frack hervorblitzte, während die Knöpfe des erwähnten Kleidungsstückes in den matten Strahlen des fernen Feuers phosphorisch funkelten. Sohn dagegen reckte seine Händchen in die Höhe, ballte sie zu Fäustchen und schien mit dem Dasein, in das es so unerwartet getreten war, Händel anfangen zu wollen.

      »Mrs. Dombey«, begann Mr. Dombey, »das Haus wird fortan nicht bloß der Firma nach, sondern nun auch wieder in der Tat Dombey und Sohn sein. Dombey und Sohn!«

      Diese Worte übten einen so starken Einfluß aus, daß der Sprecher (freilich nicht ohne einiges Zögern, da er an dergleichen nicht gewöhnt zu sein schien) dem Namen der Mrs. Dombey einen Ausdruck der Zärtlichkeit beifügte, er sagte nämlich:

      »Mrs. Dombey, meine – meine Liebe,«

      Ein flüchtiges Rot, das Merkzeichen einer kleinen Überraschung, glitt über da« Antlitz der Wöchnerin, als sie ihre Blicke zu Mr. Dombey erhob.

      »Er wird in der Taufe den Namen Paul erhalten, meine Mrs. Dombey, – natürlich.«

      Sie wiederholte matt das »natürlich«, oder schien es wenigstens durch die Bewegung ihrer Lippen tun zu wollen; dann aber schloß sie die Augen wieder.

      »Seines Vaters Name, Mrs. Dombey, und seines Großvaters! Wollte Gott, sein Großvater hätte diesen Tag erlebt.«

      Und abermals fügte er – genau in demselben Ton wie früher – bei:

      »Dombey und Sohn!«

      Diese drei Worte umfaßten die einzige Idee von Mr. Dombeys Leben. Die Erde war nur da, damit Dombey und Sohn Geschäfte darin machen konnten, und Sonne und Mond hatten bloß die Bestimmung, für Dombey und Sohn zu scheinen, Flüsse und Meere waren da, um die Schiffe der Firma zu tragen; die Regenbogen versprachen nur ihr schönes Wetter; Sterne und Planeten liefen in ihren Kreisen, um unabänderlich einem System zu folgen, von dem Dombey und Sohn den Mittelpunkt bildete. Gewöhnliche Abkürzungen erhielten in seinen Augen ganz neue Bedeutungen, die bloß auf seine Firma Bezug hatten, und A. D. lautete in seiner Zeitrechnung nicht als Annus Domini, sondern als Annus Dombei – und Sohn.

      Er hatte sich, wie vor ihm sein Vater, im Laufe der Zeit vom Sohn zu Dombey heraufgearbeitet und fast zwanzig Jahre lang die Firma als alleiniger Repräsentant vertreten. Die Hälfte dieser Periode war ihm im Ehestand entschwunden – wie einige sagen, mit einer Dame, die ihm nicht ihr Herz zur Morgengabe brachte, sondern ihr Glück in der Vergangenheit suchte und sich darin fügen mußte, den gebrochenen Geist an das ergebungsvolle Dulden der Gegenwart zu fesseln. Dergleichen Gerede kam übrigens nicht leicht Mr. Dombey zu Ohren, wie sehr er auch dabei beteiligt war, und wenn es je auch so weit gekommen wäre, so würde er zu allerletzt daran geglaubt haben. Dombey und Sohn hatten zwar schon oft in Häuten, nie aber in Herzen Geschäfte gemacht, denn letztere waren ein Geschäftszweig, den sie gerne jungen Burschen und Mädchen, den Kostschülern und den Bücherschreibern überließen. Mr. Dombey pflegte zu sagen, daß ein Ehebund mit ihm an und für sich jedem auch nur mit gewöhnlichem Verstand begabten Frauenzimmer sehr wünschenswert und ehrenvoll sein müsse, und die Hoffnung, einem solchen Hause einen neuen Associé zu geben, könne nicht fehlen, in der anspruchslosesten Weiberbrust ein Gefühl des glühendsten Ehrgeizes zu wecken. Mrs. Dombey habe mit ihm diesen sozialen Ehevertrag eingegangen, der ihr, selbst eine Bezugnahme auf die Fortpflanzung der Familienfirma, fast notwendig die Teilnahme an einer gentilen und wohlhabenden Stellung sicherte, und alle diese Vorteile vollkommen eingesehen, ja noch außerdem durch tägliche Erfahrung sich überzeugen können, welche Stellung er in der Gesellschaft einnehme; sie habe stets an seiner Tafel obenan gesessen, und habe die Honneurs seines Hauses nicht nur in geziemender Weise, sondern auch mit dem Anstand einer seinen Dame gemacht; sie müsse daher notwendig glücklich sein, ob sie nun wolle oder nicht. Oder jedenfalls lag ihr dabei nur ein einziger Hemmstein im Wege. Ja. Dies würde er zugegeben haben. Nur ein einziger, der aber zuverlässig viel in sich faßte. Sie waren zehn Jahre verheiratet gewesen, ohne bis auf die Stunde, in welcher Mr. Dombey auf dem Lehnstuhl neben dem Bette mit der goldenen Uhrkette klimperte, einen Sprößling erzielt zu haben.

      Daß ich's recht sage, wenigstens keinen erheblichen. Vor etwa sechs Jahren war zwar ein Mädchen geboren, und das Kind, das sich eben erst unbemerkt ins Gemach gestohlen hatte, duckte sich jetzt schüchtern in eine Ecke, von der aus es seiner Mutter ins Gesicht sehen konnte. Aber was war ein Mädchen für Dombey und Sohn! In dem Kapitel des Firmanamens und der Firmawürde erschien ein solches Kind nur wie eine falsche Münze, die nirgends angelegt werden konnte – ein mißratenes Ding, weiter nichts.

      Im gegenwärtigen Augenblick war übrigens Mr. Dombeys Wonnebecher so zum Überquellen angefüllt, daß er fühlte, er könne wohl einige Tröpflein des Inhalts missen, um den Staub auf dem Nebenpfade seiner kleinen Tochter damit zu benetzen. Er sagte daher:

      »Florence, du kannst hingehen und dein Brüderlein ansehen, denn ich denke mir, daß dies dein Wunsch ist. Aber rühre es beileibe nicht an.«

      Die Kleine warf einen lebhaften Blick auf den blauen Frack und die steife weiße Halsbinde, welche nebst ein Paar knarrenden Stiefeln und einer laut tickenden Taschenuhr ihre Idee von einem Vater verkörperten; aber ihre Augen kehrten unmittelbar darauf wieder zu dem Gesicht ihrer Mutter zurück, und sie rührte sich nicht von der Stelle, während sie zugleich ihre Lippen geschlossen hielt.

      Im nächsten Moment öffnete die Dame ihre Augen und wurde des Kindes ansichtig. Die Kleine eilte auf sie zu, stand auf die Zehen, um ihr Gesichtchen besser an dem mütterlichen Busen verbergen zu können, und klammerte sich an die Wöchnerin mit einer so verzweifelten Innigkeit, wie man sie in ihren Jahren nicht erwartet hätte.

      »O Gott behüte mich!« sagte Mr. Dombey, indem er ärgerlich aufstand. »Wahrhaftig, dies ist ein sehr unbesonnenes Benehmen und wird das Fieber nur steigern. Es ist wohl am besten, ich frage bei Doktor Peps an, ob er nicht vielleicht die Güte haben will, noch einmal heraufzukommen. Ich will hinunter gehen. Es wird nicht nötig sein, daß ich Euch erst bitte«, fügte er bei, während er bei der Chaiselongue vor dem Feuer


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