Dombey und Sohn. Charles Dickens

Читать онлайн книгу.

Dombey und Sohn - Charles Dickens


Скачать книгу
Ihr habt ihn kaum gesehen – zu Bett legen, kann's aber nicht tun, ehe Ihr Euch ein wenig aufgerafft habt. Glaubt Ihr nicht auch, es sei Zeit, daß Ihr Euch ein wenig anstrengt? Eh?«

      Sie neigte ihr Ohr gegen das Bett und lauschte, während sie zu gleicher Zeit nach den Umstehenden blickte und den Finger erhob.

      »Eh?« wiederholte sie. »Was habt Ihr gesagt, Fanny? Ich Habe Euch nicht verstanden.«

      Kein Wort, kein Laut zur Erwiderung. Nur Mr. Dombeys Uhr und die des Doktor Parker Peps schienen schneller zu laufen.

      »In der Tat, meine liebe Fanny«, fuhr die Schwägerin fort, indem sie ihre Stellung änderte und dabei unwillkürlich mit weniger Zuversicht, dagegen aber mit größerer Strenge sprach, »ich muß böse auf Euch werden, wenn Ihr Euch nicht aufrafft. Ein Kraftaufwand ist für Euch nötig, wie beschwerlich oder schmerzlich er auch sein mag: aber Ihr wißt ja, wir leben in einer Welt des Kämpfens, Fanny, und wir dürfen nicht nachgeben, wenn so viel von uns selbst abhängt. Kommt! Versucht es! Ich muß wahrhaftig mit Euch zanken, wenn Ihr's nicht tut!«

      Das Rennen der Uhren in der darauffolgenden Pause war wild und wütend. Sie schienen gegeneinander anzustoßen und sich auf die Fersen zu treten.

      »Fanny!« sagte Louisa, mit steigender Unruhe umherschauend. »Seht mich nur an. öffnet doch die Äugen, um mir anzudeuten, daß Ihr mich hört und versteht – wollt Ihr nicht? Gütiger Himmel, Gentlemen, was ist da anzufangen?«

      Die beiden Ärzte wechselten über dem Bett weg einen Blick, und Doktor Parker Pep beugte sich sodann zu dem Kinde nieder, dem er etwas ins Ohr flüsterte. Das kleine Wesen, das die Worte des Arztes nicht verstanden hatte, wandte ihm das farblose Gesicht mit den tiefschwarzen Augen zu, ohne jedoch die Mutter auch nur im mindesten loszulassen.

      Das Geflüster wurde wiederholt.

      »Mama!« sagte die Kleine.

      Die schwache Stimme des heißgeliebten Wesens weckte selbst bei dieser tiefen Ebbe eine Spur von Besinnung. Einen Moment zitterten die geschlossenen Augenlider, die Nasenflügel bewegten sich, und man bemerkte den matten Schatten eines Lächelns.

      »Mama!« rief das Kind, laut schluchzend. »O liebe Mama! o liebe Mama!«

      Der Doktor streifte sanft die wirren Locken der Kleinen von dem Gesicht und Mund der Mutter. Ach, wie ruhig sie dort lagen! Wie schwach der Atem, der sie nicht in Bewegung zu setzen vermochte!

      So entschwebte, den schwachen Mast fest mit ihren Armen umschlingend, die Mutter – hinaus in das dunkle, unbekannte Meer, das die ganze Welt umfließt.

      »Mein Leben lang will ich mich glücklich schätzen«, sagte Mrs. Chick, »daß ich mich aussprach, als ich nicht entfernt daran dachte, was uns bevorstand – in der Tat; es war, wie wenn ich durch eine höhere Fügung geleitet würde, als ich Fanny alles vergab. Was nun auch kommen mag, das wird mir stets ein Trost bleiben!«

      Mrs. Chick sprach in diesen eindrucksvollen Worten, als sie vom Frauenschneider, der in einem oberen Zimmer mit der Anfertigung von Trauergewändern beschäftigt war, wieder nach dem Besuchszimmer zurückkam. Ihre Worte galten Mr. Chick, einem beleibten, kahlköpfigen Gentleman mit sehr breitem Gesicht, der seine Hände stets in den Taschen trug und einen natürlichen Hang besaß, Arien vor sich hin zu pfeifen oder zu summen. Dies war nun freilich in einem Hause der Trauer nicht sehr angebracht und er fühlte es auch: aber es kostete ihn nicht geringe Anstrengung, seine Liebhaberei zu unterlassen.

      »Strenge dich doch nicht allzusehr an, Frau«, sagte Mr. Chick, »denn du wirst sonst sehen, daß du deine Krämpfe kriegst. Tra-la-la-la! Behüt' mich – wie ich mich vergesse. Wir sind übernächtig – heute rot, morgen tot.«

      Mrs. Chick begnügte sich mit einem Blick des Vorwurfs und nahm sodann den Faden ihres Gesprächs wieder auf.

      »Ich hoffe in der Tat«, sagte sie, »dieses herzzerreißende Ereignis wird für uns alle eine Warnung sein. Wir müssen uns daran gewöhnen, Anstrengungen durchzumachen für die Zeit, wenn wir es nötig haben. Alles führt eine Lehre mit sich, wenn wir sie nur benutzen wollen, und es ist bloß unsere Schuld, wenn wir nicht auf diesen einen wichtigen Wink achtgeben.«

      Mr. Chick störte das auf diese Bemerkung folgende ernste Schweigen durch die auffallend unpassende Arie: ›Ein Schlosser hat en G'sellen g'habt‹, unterbrach sich aber schnell mit einiger Verwirrung und erklärte sodann, es sei ohne Zweifel unser eigenes Verschulden, wenn wir so ein trauriges Geschick wie das gegenwärtige uns nicht zur Lehre machten.

      »Sie sollten zu was Besserem Anlaß geben, meine ich, Mr. Chick«, erwiderte seine zweite Hälfte nach einer kurzen Pause, »als zu Schelmenliedern oder zu der ebenso nichtssagenden und gefühllosen Bemerkung des ›Rumpditty bau wau wau!‹« In dieser hatte sich nämlich Mr. Chick in halblautem Tone wirklich ergangen, und seine Frau Gemahlin ahmte ihn spottend nach.

      »Nur eine Gewohnheit, meine Liebe«, entschuldigte sich Mr. Chick.

      »Unsinn! Gewohnheit!« entgegnete die Dame. »Wenn du ein vernünftiger Mensch bist, so komm' mir bitte nicht mit solchen lächerlichen Ausreden. Gewohnheit! Wenn ich mir die Gewohnheit, wie du's nennst, aneignen wollte, wie die Fliegen an der Zimmerdecke spazieren zu gehen, so würde ich's wahrscheinlich oft genug zu hören bekommen.«

      Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte eine derartige Gewohnheit sehr auffallen müssen, und auch Mr. Chick mochte dies einsehen, denn er verriet nicht die kleinste Neigung, zu widersprechen.

      »Und wie geht's dem Bübchen, Frau?« fragte Mr. Chick, um der peinlichen Stimmung auszuweichen.

      »Was für ein Bübchen meinst du?« fragte Mrs. Chick. »Ich habe heute morgen im Speisezimmer drunten eine solche Menge von Bübchen gehabt, daß man seinen Sinnen kaum glauben sollte.«

      »Eine Menge von Bübchen?« wiederholte Mr. Chick, indem er mit dem Ausdruck größter Unruhe umherblickte.

      »Den meisten Menschen würde es sicherlich eingefallen sein«, entgegnete Mrs. Chick, »nach dem Hinscheiden der armen Fanny für eine Amme zu sorgen.«

      »O! Ah!« versetzte Mr. Chick – »Turolt – so ist das Leben, wollte ich sagen. Ich hoffe, du hast das Richtige gefunden, meine Liebe.«

      »In der Tat, nein«, sagte Mrs. Chick, »und das wird auch nicht so schnell gehen, so weit ich die Dinge übersehen kann. Inzwischen wird natürlich das Kind –«

      »Zum Teufel fahren«, versetzte Mr. Chick gedankenvoll. »Natürlich.«

      Die Entrüstung, die sich bei der Idee, daß ein Dombey eine solche Reise antreten könnte, in Mrs. Chicks Gesicht ausdrückte, belehrte ihn jedoch, daß er eine Ungeschicklichkeit begangen habe, weshalb er, um sein Vergehen wieder gut zu machen, in wohlmeinender Absicht beifügte:

      »Könnte nicht vorderhand der Teetopf Abhilfe leisten?«

      Wenn es wirklich in seiner Absicht lag, die Sache zu einem schnellen Schluß zu führen, so hätte es nicht wirksamer geschehen können. Die Dame sah einige Momente in stummer Resignation nach ihm hin und ging dann, durch das Gerassel von Rädern angelockt, majestätisch nach dem Fenster, um durch die Jalousien auf die Straße hinunter zu sehen. Mr. Chick, welcher fand, daß zurzeit sein Geschick gegen ihn war, sagte nichts mehr und entfernte sich.

      Aber nicht immer befand sich Mr. Chick in dieser Situation: denn sein eigener Stern war oft im Aufsteigen, und zu solchen Zeiten strafte er Louise rund ab. Mit einem Wort, sie waren im ganzen bei ihren ehelichen Zänkereien ein gut zusammenpassendes Paar, das sich gegenseitig das Gleichgewicht hielt und bald austeilte, bald einnahm, so daß es in der Regel schwer wurde, auf den gewinnenden Teil eine Wette zu parieren. Ja, selbst wenn Mr. Chick geschlagen schien, pflegte er oft einen plötzlichen Ausfall zu machen, indem er den Stiel umdrehte und ihn um Mrs. Chicks Ohren sausen ließ, so daß alles vor ihm weglief. Da er übrigens selbst auch ähnlichen unvorhergesehenen Überfällen von seiten der Mrs. Chick ausgesetzt


Скачать книгу