Dombey und Sohn. Charles Dickens

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Dombey und Sohn - Charles Dickens


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nehmt doch auch ein Glas, Sir?« sagte Miß Tox, als Toodle eintrat.

      »Danke, Ma'am«, versetzte Toodle: »wenn Ihr es durchaus haben wollt.«

      »Und es freut Euch, daß Ihr Euer liebes gutes Weib in einem so anständigen Hause zurücklassen könnt – oder nicht, Sir?« sagte Miß Tox, indem sie ihm verstohlen einen blinzelnden Wink zusandte.

      »Nein, Ma'am«, versetzte Toodle. »Ich möchte sie wohl wieder zurück haben.«

      »Hierauf weinte Polly mehr als je, und Mrs. Chick, die ihre matronenhaften Bedenken hatte, ein solches Übermaß von Leid könnte dem kleinen Dombey schaden (»angreifend«, flüsterte sie Miß Tox zu), beeilte sich, Polly auf andere Gedanken zu bringen.

      »Euer kleines Kind wird bei Eurer Schwester Jemima trefflich gedeihen, Richards«, sagte Mrs. Chick, »und Ihr braucht Euch nur Mühe zu geben – Ihr wißt, Richards, dies ist eine Welt voll Mühe –, um in der Tat sehr glücklich zu sein. Es ist Euch doch schon bereits Maß für die Trauerkleidung genommen worden, nicht wahr?«

      »J–a, Ma'am«, schluchzte Polly.

      »Und ich weiß, sie wird Euch trefflich passen«, sagte Mrs. Chick, »denn die junge Schneiderin hat mir schon viele Kleider gemacht. Dazu noch der allerbeste Stoff.«

      »Du meine Güte, wie werdet Ihr schmuck aussehen«, pflichtete Miß Tox bei; »so schmuck, daß Euch Euer eigener Mann nicht mehr kennen wird, oder meint Ihr, Sir?«

      »Ich werde sie erkennen«, sagte Toodle, »wie und wo es auch sein mag.«

      Toodle war augenscheinlich nicht herumzukriegen.

      »Was nun die Beköstigung betrifft, Richards, so wißt Ihr ja«, fuhr Mrs. Chick fort; »das Allerbeste von allem steht Euch zur Verfügung. Ihr könnt jeden Tag Euer kleines Mittagessen selbst bestellen, und worauf Ihr auch Appetit habt, ich bin überzeugt, es wird Euch so bereitwillig aufgetischt werden, als ob Ihr eine vornehme Dame wäret.«

      »Ja, es soll Euch an nichts fehlen!« sagte Miß Tox, die den Ball mit großer Sympathie auffing. »Und was den Porter betrifft – so viel Ihr nur wünscht; oder nicht, Louisa?«

      »O, gewiß!« erwiderte Mrs. Chick in dem gleichen Tone. »Nur mit einigen Ausnahmen – Ihr wißt, meine Liebe – im Punkte der Gemüse.«

      »Und des Pökelfleisches vielleicht«, ergänzte Miß Tox.

      »Mit solchen Ausnahmen«, erwiderte Louisa, »steht ihr die Wahl ganz frei, und es soll ihr in keiner Weise Zwang angetan werden, meine Liebe.«

      »Und dann wißt Ihr natürlich«, sagte Miß Tox, »wie sehr sie auch ihr eigenes kleines Kind lieben mag – und ich bin überzeugt, Louisa, Ihr macht ihr deshalb keinen Vorwurf?«

      »O nein!« rief Mrs. Chick in wohlwollendem Tone.

      »Gleichwohl«, fuhr Miß Tox fort, »muß sie natürlich Interesse für ihren jungen Pflegling haben, und es als ein hohes Vorrecht betrachten, daß sie Zeuge sein kann, wie ein kleiner Cherub, der in so enger Beziehung steht zu den oberen Klassen, von Tag zu Tag sich allmählich an einer gemeinsamen Quelle entfaltet. Ist es nicht so, Louisa?«

      »Ganz gewiß!« sagte Mrs. Chick. »Ihr seht, meine Liebe, sie ist bereits ganz zufrieden und getröstet; sie gedenkt jetzt, ihrer Schwester Jemima, ihren Kleinen und ihrem guten, ehrlichen Manne mit leichtem Herzen und mit einem Lächeln Lebewohl zu sagen – nicht wahr, meine Liebe?«

      »O ja!« rief Miß Tox. »Sie wird es tun!«

      Dessenungeachtet umarmte die arme Polly alle der Reihe nach in großer Betrübnis, und eilte zuletzt hinweg, um ein weiteres einzelnes Verabschieden von den Kindern zu vermeiden. Aber diese Kriegslist gelang ihr nicht so gut, als sie erwartet haben mochte; denn der zweitjüngste Knabe, welcher ihre Absicht ahnen mochte, begann augenblicklich auf Händen und Füßen ihr die Treppe hinauf nachzuklettern, während der älteste (zur Erinnerung an das Bügeleisen in der Familie unter dem Namen »der Sieder« bekannt) zum Ausdrucke seines Grams mit den Stiefeln einen dämonischen Zapfenstreich begann, in welchen die ganze übrige Familie einfiel.

      Eine Menge Orangen und Halbpence, die ohne Unterschied jedem der jungen Toodles zugesteckt wurden, zügelte das erste Ungestüm ihres Schmerzes, und die Familie wurde schleunigst in die Droschke, welche noch immer vor dem Hause wartete, gepackt und nach Hause gesandt. Unter der Obhut Jemimas verbarrikadierten die Kinder mit ihren Köpfen das Droschkenfenster und ließen während des ganzen Weges ihre Orangen und Halbpence hinausfallen. Mr. Toodle zog es vor, zwischen den Spitzen des Kutschenbretts zu sitzen, weil er diese Fahrweise gewohnt war.

      Das Begräbnis der verstorbenen Frau war vorüber – zur völligen Zufriedenheit des Bestatters sowohl, als auch der Nachbarschaft im allgemeinen, die in derartigen Punkten sehr eigen ist und gar gerne an jedem Unterlassungs- oder Verkürzungsfall der Feierlichkeiten Anstoß nimmt; die verschiedenen Glieder von Mr. Dombeys Hauswesen konnten also ihre Plätze wieder einnehmen. Eine solche kleine Welt ist, ebenso wie die große draußen, geeignet, ihre Toten gar bald zu vergessen, und nachdem die Köchin die Selige für eine gute Dame erklärt, die Haushälterin ihre Meinung dahin abgegeben, daß Sterben das gemeinsame Los sei, der Kellermeister sich gewundert und gefragt, wer das auch gedacht hätte, die Hausmagd erklärt, daß sie es kaum glauben könne, und der Diener gesagt hatte, der Vorfall komme ihm wie ein Traum vor, war der Gegenstand für sie einstweilen erledigt, und sie dachten daran, daß die Trauer zuletzt langweilig werden würde.

      Für Richards, die wie eine ehrenwerte Gefangene eine Treppe hoch einquartiert worden war, begann der nächste Morgen kalt und grau. Mr. Dombeys großes Haus stand auf der Schattenseite einer langen, düsteren, traurig vornehmen Straße in der Gegend zwischen Portland-Place und Bryanstone-Square. Es war ein Eckhaus, hatte große weite Höfe, Keller mit vergitterten Fenstern und schielte einen durch schiefäugige Türen an, die zu Staubbehältern führten. Es war ein unheimliches, mit einer halbkreisförmigen Hinterseite versehenes Haus, und die Besuchzimmer gingen auf einen Kieshof hinaus, wo zwei hagere Bäume mit geschwärzten Stämmen und Zweigen standen, deren vom Rauch ausgetrocknete Blätter eher rasselten als rauschten. Die Mittagssonne sandte ihre Strahlen nie in diese Straße, sondern kam nur morgens um die Frühstückszeit mit den Wasserkarren, den Kleidertrödlern, den Blumenverkäufern, den Schirmflickern und dem Mann, der während seiner Wanderung die Schwarzwälderuhr schlagen ließ, war aber bald wieder verschwunden, um sich an diesem Tage nicht mehr blicken zu lassen. Die Musikbanden und die Puppenspieler zogen ihr nach, um den Platz den unheimlichen Drehorgeln und den weißen Mäusen, hin und wieder auch zur Abwechslung einem Stachelschweine als Beute zu überlassen, bis die Diener, deren Familien auswärts speisten, im Zwielicht unter die Haustüren traten und der Laternenanzünder jeden Abend einen vergeblichen Versuch machte, die Straßen durch Gaslicht zu erhellen.

      Innen war das Haus ebenso öde wie außen. Nachdem das Begräbnis vorüber war, erteilte Mr. Dombey Befehl, alle Möbel zu verhüllen – vielleicht, um sie für den Sohn, an den sich alle seine Pläne knüpften, aufzubewahren – und aus den Zimmern, mit Ausnahme derjenigen, die er im Erdgeschoß selbst bewohnen wollte, alle Ziergegenstände zu entfernen. Tische und Stühle, die mitten im Zimmer einfach zusammengehäuft und mit großen Tüchern bedeckt wurden, nahmen geheimnisvolle Formen an. Die Klingelhandgriffe, die Jalousien und die Spiegel erhielten eine Umhüllung aus Zeitungspapier, in denen sich fragmentarische Berichte über Todesfälle und schreckliche Mordtaten unwillkürlich dem Beschauer aufdrängten. Sämtliche Kronleuchter sahen, in Leinwand gehüllt, wie ungeheure Tränen aus, die von der Decke herabhingen. Aus den Kaminen drangen Gerüche wie aus Gewölben und feuchten Plätzen hervor. Die tote und begrabene Dame blickte unheimlich aus einem Bilderrahmen, der eine geisterhafte Umhüllung erhalten hatte, nieder. Jeder Windstoß wirbelte aus den benachbarten Pferdeställen um die Ecke herum etwas von dem Stroh, das man vor das Haus gestreut hatte, als sie noch krank war, und das noch immer in verwitterten Überresten an den Pflastersteinen der Nachbarschaft klebte. Diese Überbleibsel wurden nun stets vermöge einer unsichtbaren Anziehung nach der Schwelle


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