Dombey und Sohn. Charles Dickens

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Dombey und Sohn - Charles Dickens


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Name Susanna Nipper war, mit einem Ruck die Kleine von ihrer neuen Freundin los, als ob sie ein fauler Zahn wäre. Doch schien sie es mehr aus übergroßem Diensteifer, als aus überlegter Lieblosigkeit zu tun.

      »Sie freut sich so, daß sie wieder zu Hause ist«, sagte Polly, indem sie Florence mit einem ermutigenden Lächeln zunickte, »und wird sich noch mehr freuen, wenn sie heute abend ihren lieben Papa zu sehen bekommt.«

      »Du meine Güte, Mrs. Richards!« rief Miß Nipper, ihr rasch ins Wort fallend, »sprecht nicht so. Ihr meint doch ihren lieben Papa sehen! So etwas möchte ich wohl auch mal erleben!«

      »Wird sie es denn nicht?« fragte Polly.

      »Du meine Güte, Mrs. Richards, nein, ihr Papa ist viel zu sehr auf jemand anders versessen, und schon ehe dieser jemand anders da war, war sie nie sonderlich beliebt. Mädchen gelten in diesem Hause nichts, Mrs. Richards, kann ich Euch versichern.«

      Die Kleine sah hastig von der einen Pflegerin auf die andere, als ob sie fühlte und verstünde, was gesprochen wurde.

      »Ihr setzt mich in Erstaunen!« rief Polly. »Hat Mr. Dombey nie nach ihr gefragt, seit –«

      »Nein«, unterbrach sie Susanna Nipper. »Nicht ein einziges Mal, und seit Jahr und Tag hat er sie kaum mit einem Auge angesehen, und ich glaube, er würde in ihr sein eigenes Kind nicht erkennen, wenn er sie auf der Straße getroffen hätte, oder er würde sie nicht als eigenes Kind erkennen, wenn er ihr morgen auf der Straße begegnete, Mrs. Richards. Was mich betrifft«, fügte Sprühteufel mit einem Kichern hinzu, »so zweifle ich, ob er überhaupt von meinem Dasein etwas weiß.«

      »Liebes Herz«, sagte Richards, meinte aber damit nicht Miß Nipper, sondern die kleine Florence.

      »O, nicht weit von hier, wo wir jetzt sprechen, ist ein Tatar, kann ich Euch sagen, Mrs. Richards, Anwesende natürlich immer ausgenommen«, bemerkte Susanna Nipper; »wünsche Euch guten Morgen, Mrs. Richards, nun, Miß Floy, kommt jetzt mit mir und bleibt nicht zurück wie ein garstiges unartiges Kind, das nicht verständig sein will.«

      Trotz dieser Beschwörung und ungeachtet eines Rucks von seiten der Susanna Nipper, der recht wohl eine Verrenkung der Schulter hätte zur Folge haben können, riß die kleine Florence sich los und küßte ihre neue Freundin mit Innigkeit.

      »Lebt wohl!« sagte das Kind. »Gott behüte Euch! Ich komme bald wieder zu Euch, und Ihr werdet mich doch auch besuchen? Susanna wird es schon zugeben. Nicht wahr, Susanna?«

      Sprühteufel schien von Natur aus ein gutmütiges Geschöpf zu sein, obschon sie in jener Schule gebildet worden war, in der man sich mit der neuen Idee trägt, die Jugend müsse wie das Geld tüchtig geschüttelt und gerüttelt werden, um blank zu bleiben. Bei dieser durch liebkosende Gebärden unterstützten Berufung faltete sie ihre kleinen Arme, schüttelte den Kopf und legte einen mildernden Ausdruck in ihre weit offenen schwarzen Augen.

      »Es ist nicht recht von Euch, das zu verlangen, Miß Floy, denn Ihr wißt, ich kann Euch nichts abschlagen. Aber Mrs. Richards und ich, wir wollen sehen, was sich tun läßt, wenn Mrs. Richards gerne eine Fahrt nach Chaney macht, aber ich weiß vielleicht nicht, wie ich aus den London Docks kommen soll.«

      Richards ging auf diesen Vorschlag ein.

      »In diesem Hause geht es gerade nicht so lustig her«, fuhr Miß Nipper fort, »daß man gerne noch einsamer sein möchte, als man ohnehin schon ist. Die Toxes und Chickes können mir zwar meine beiden Vorderzähne ausziehen, Mrs. Richards, aber das ist noch kein Grund für mich, ihnen die ganze Reihe anzubieten.«

      Diese Ansicht fand als sehr vernünftig bei Richards gleichermaßen Beifall.

      »Es ist mir wahrhaftig ganz angenehm«, sagte Susanna Nipper, »mit Euch in Freundschaft zu leben, Mrs. Richards, solang Master Paul unter Euren Händen bleibt, und wenn es sich so einrichten läßt, daß nicht offen gegen die Befehle gehandelt wird, – aber du meine Güte, Miß Floy, Ihr habt Eure Sachen noch nicht gehabt, Ihr garstiges Kind, nein, Ihr habt nicht, so kommt mit!«

      Mit diesen Worten unternahm Susanne Nipper einen gewaltigen Angriff auf ihren jungen Schützling und fegte mit Florence zur Tür hinaus.

      In ihrem Kummer und in ihrer Vernachlässigung war die Kleine so sanft, so ruhig und klaglos; sie besaß so viel Anhänglichkeit, um die sich niemand zu kümmern schien, und aus ihrer wehmütigen Stimmung machte man sich so gar nichts, daß Polly das Herz sehr schwer wurde, als sie sich wieder allein befand. Durch den einfachen Vorgang, der zwischen ihr und dem mutterlosen kleinen Mädchen stattgefunden hatte, war ihr Gemüt nicht weniger ergriffen worden, als das des Kindes, und sie fühlte gleich dem Kinde, daß in diesem Augenblicke eine Grundlage des Vertrauens und der Teilnahme zwischen ihnen gelegt worden war.

      So großes Vertrauen Mr. Toodle auch zu Polly hatte, stand sie vielleicht im Punkte erworbener Vorzüge nur sehr wenig über ihm; sie war indes ein gutes einfaches Pröbchen jener Natur, die man bei Frauen in untergeordneter Stellung stets besser, treuer, edler, zartfühlender und aufopferungsvoller findet, als bei den Männern. So wenig Schulbildung sie auch genossen, hätte sie doch vielleicht jetzt schon eine Art dämmernder Erkenntnis in Mr. Dombeys Haus bringen können und es würde den Gebieter desselben jetzt noch nicht so wie es zuletzt doch geschah, gleich einem Blitze getroffen haben.

      Doch das führt uns von der Hauptsache ab. Polly dachte damals nur daran, wie sie die Geneigtheit der Miß Nipper benützen und ein oder das andere Mittel ersinnen könne, um auf gesetzlichem Wege und ohne Rebellion die kleine Florence auf ihre Seite zu bringen. Eine Einleitung dazu bot sich schon am selben Abend.

      Die Klingel hatte sie wie gewöhnlich nach dem verglasten Gemache hinunter berufen, und sie ging lange mit ihrem Säugling in dem Arme auf und ab, als plötzlich zu ihrem großen Erstaunen und Entsetzen Mr. Dombey herauskam und vor sie hintrat.

      »Guten Abend, Richards.«

      Ganz der nämliche strenge, steife Gentleman, wie er ihr am ersten Tage erschienen war. Ein Herr mit einem so scharfen Blicke, daß sie unwillkürlich die Augen senkte und einen Knix machte.

      »Wie geht es Master Paul, Richards?«

      »Er ist wohl und gedeiht vortrefflich, Sir.«

      »Er sieht so aus«, versetzte Mr. Dombey mit großem Interesse das Gesichtchen betrachtend, das sie mit scheinbarer Sorglosigkeit zur Beschauung enthüllte. »Hoffentlich gibt man Euch doch alles, was Ihr braucht.«

      »O ja, ich danke Euch, Sir.«

      Dieser Antwort folgte aber plötzlich ein so augenfälliges Stocken, daß Mr. Dombey, der sich bereits abgewendet hatte, stehen blieb und sich fragend umwandte.

      »Ich glaube, nichts ist so geeignet, Kinder lebhaft und heiter zu machen, Sir, als wenn sie andere Kinder um sich spielen sehen«, bemerkte Polly, allen ihren Mut zusammennehmend.

      »Ich denke, Richards«, versetzte Mr. Dombey mit einem Stirnrunzeln, »ich habe Euch schon bei Eurem Hierherkommen gesagt, daß ich von Eurer Familie so wenig als möglich zu sehen wünsche. Ihr könnt jetzt Euren Spaziergang wieder fortsetzen.«

      Mit diesen Worten zog er sich wieder in das Innere seines Zimmers zurück. Für Polly war es eine gewisse Genugtuung, zu wissen, daß er sie durchaus mißverstanden hatte, doch fühlte sie zugleich, daß sie in Ungnade gefallen war, ohne ihren Zweck auch nur im mindesten gefördert zu haben.

      Als sie am nächsten Abend wieder herunter kam, ging Mr. Dombey in dem Konservatorium hin und her. Durch diesen ungewohnten Anblick eingeschüchtert, blieb sie an der Tür stehen; ihrer Ungewißheit aber, ob sie vortreten oder sich zurückziehen sollte, machte der Hausherr selbst ein Ende, indem er sie hereinrief.

      »Wenn Ihr wirklich glaubt, daß diese Art von Gesellschaft gut für das Kind sei«, sagte er in herbem Tone und als ob zwischen dem Vorschlage und seiner jetzigen Erwiderung gar kein Zwischenraum liege, »wo ist Miß Florence?«

      »Gerade an Miß Florence dachte ich, Sir«, versetzte Polly hastig; »aber ich habe von ihrer kleinen Jungfer gehört, daß sie nicht dürften –«

      Mr.


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