Die Abenteuer des Sherlock Holmes. Arthur Conan Doyle

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Die Abenteuer des Sherlock Holmes - Arthur Conan Doyle


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warum?«

      »Weil sie gesagt hat, sie würde es an dem Tag abschicken, an dem das Verlöbnis öffentlich proklamiert wird. Das wird am kommenden Montag geschehen.«

      »Oh, dann bleiben uns noch drei Tage«, sagte. Holmes mit einem Gähnen. »Das ist sehr erfreulich, da ich mich gegenwärtig noch um eine wichtige Angelegenheit oder zwei zu kümmern habe. Majestät werden natürlich vorerst in London bleiben?«

      »Gewiß. Sie können mich im ›Langham‹ finden, unter dem Namen des Grafen von Kramm.«

      »Dann werde ich Sie schriftlich wissen lassen, welche Fortschritte wir machen.«

      »Ich bitte darum. Ich weiß nicht mehr aus noch ein.«

      »Nun zur Frage des Geldes.«

      »Sie haben carte blanche.«

      »Absolut?«

      »Ich sage Ihnen, ich würde eine der Provinzen meines Königreiches geben, wenn ich damit die Photographie bekäme.«

      »Und für anfallende Ausgaben?«

      Der König holte einen schweren sämischledernen Beutel unter seinem Umhang hervor und legte ihn auf den Tisch.

      »Hier sind dreihundert Pfund in Gold und siebenhundert in Banknoten«, sagte er.

      Holmes kritzelte eine Empfangsbestätigung auf ein Blatt aus seinem Notizbuch und reichte es ihm.

      »Und die Adresse von Mademoiselle?« fragte er.

      »Sie lautet Briony Lodge, Serpentine Avenue, St. John's Wood.«

      Holmes notierte es. »Noch eine Frage«, sagte er. »War die Photographie5 größer als eine Visitenkarte?«

      »Ja.«

      »Dann wünsche ich Gute Nacht, Majestät, und ich bin sicher, daß wir bald gute Nachrichten für Sie haben werden. Und auch Ihnen Gute Nacht, Watson«, setzte er hinzu, als die Räder des königlichen Coupés die Straße hinabrollten. »Wenn Sie so freundlich sein wollen, morgen am Nachmittag vorbeizukommen, um drei Uhr, dann würde ich gern mit Ihnen über diese kleine Angelegenheit plaudern.«

      Genau um drei Uhr stellte ich mich in der Baker Street ein, aber Holmes war noch nicht zurückgekehrt. Die Hauswirtin teilte mir mit, er sei kurz nach acht Uhr morgens aus dem Haus gegangen. Ich ließ mich jedoch neben dem Kamin nieder in der Absicht, auf ihn zu warten, gleich wie lang es dauern mochte. Ich war von dieser Untersuchung längst gefesselt, denn wenn sie auch keinen der grimmen und merkwürdigen Züge aufwies, die die zwei von mir an anderer Stelle aufgezeichneten Verbrechen6 umgaben, so erhielt die Untersuchung doch durch die Art des Falles und die hohe Stellung von Holmes' Klienten einen ganz eigenen Charakter. Abgesehen von den Eigentümlichkeiten dieser Nachforschung, mit der sich mein Freund befaßte, gab es da etwas in seiner meisterhaften Erfassung der Lage und seinem kühlen, scharfen Denken, das es mir zu einem Vergnügen machte, seine Arbeitsweise zu studieren und die schnellen, feinsinnigen Griffe zu verfolgen, mit denen er die verwickeltsten Rätsel entwirrte. So sehr war ich an seine ständigen Erfolge gewöhnt, daß auch nur die Möglichkeit eines Scheiterns mir längst nicht mehr in den Kopf kam.

      Es war fast vier Uhr, als sich endlich die Tür öffnete und ein Mensch, der ein betrunkener Pferdeknecht hätte sein können, mit wirrem Haar und Backenbart, rotglühendem Gesicht und verkommener Kleidung den Raum betrat. Obwohl ich doch meines Freundes erstaunliche Fähigkeiten bei der Verwendung von Verkleidungen kannte, mußte ich dreimal hinschauen, bevor ich sicher war, daß es sich wirklich um ihn handelte. Er nickte mir zu und verschwand im Schlafraum, aus dem er fünf Minuten später im Tweedanzug und respektabel wie eh und je zurückkehrte. Er steckte die Hände in die Taschen, streckte seine Beine vor dem Feuer aus und lachte eine ganze Weile herzhaft.

      »Nein, wirklich!« rief er und verschluckte sich; dann lachte er wieder, bis er sich schlaff und hilflos im Lehnstuhl zurückfallen lassen mußte.

      »Was gibt es denn?«

      »Es ist einfach zu lustig. Ich wette, Sie kämen nie darauf, wie ich meinen Vormittag zugebracht oder was ich zuletzt getan habe.«

      »Ich habe keine Ahnung. Ich nehme an, Sie haben die Gewohnheiten und vielleicht das Haus von Miss Irene Adler beobachtet.«

      »Das habe ich, aber was dann kam, war ziemlich ungewöhnlich. Ich will es Ihnen aber erzählen. Ich bin heute morgen kurz nach acht Uhr aus dem Haus gegangen, als arbeitsloser Pferdeknecht. Unter Pferdeleuten herrschen wunderbares Einvernehmen und Freizügigkeit. Wenn Sie einer von ihnen sind, werden Sie bald alles wissen, was zu wissen ist. Ich habe Briony Lodge schnell gefunden. Ein Schmuckstück von einer Villa, mit einem rückwärtigen Garten, aber vorn bis an die Straße gebaut, zwei Stockwerke. Ein Chubb-Schloß7 an der Tür. Rechts ein großer Wohnraum, gut möbliert, mit langen Fenstern fast bis zum Boden und diesen albernen englischen Fensterriegeln, die ein Kind öffnen könnte. Dahinter war nichts Bemerkenswertes, abgesehen davon, daß man das Korridorfenster vom Dach der Remise aus erreichen kann. Ich habe einen Rundgang gemacht und alles aus allen möglichen Blickwinkeln gründlich untersucht, konnte aber sonst nichts Interessantes feststellen.

      Dann bin ich die Straße hinabgeschlendert und habe wie erwartet einen Pferdestall an einer Straße gefunden, die an einer der Gartenmauern verläuft. Ich habe den Stallburschen beim Abreiben der Pferde geholfen, und als Gegenleistung habe ich zwei Pence, ein Glas halb Porter halb Ale, zwei Pfeifen voll Shag und über Miss Adler so viele Informationen bekommen, wie ich mir nur wünschen konnte, ganz zu schweigen von einem halben Dutzend anderer Leute in der Nachbarschaft, an denen ich nicht im geringsten interessiert war, deren Biographien ich mir aber anhören mußte.«

      »Und was ist mit Irene Adler?« fragte ich.

      »Oh, die hat in der Gegend allen Männern den Kopf verdreht. Auf diesem Planeten ist sie das süßeste Ding, das eine Haube trägt. So heißt es im Serpentine-Stall, wie aus einem Mund. Sie führt ein ruhiges Leben, singt bei Konzerten, fährt jeden Tag um fünf Uhr aus und kommt Punkt sieben zurück zum Dinner. Zu anderen Zeiten geht sie selten aus, außer wenn sie singt. Sie hat nur einen männlichen Besucher, den aber oft. Er ist dunkelhaarig, hübsch und schneidig; er kommt nie seltener als einmal pro Tag und oft auch zweimal. Er ist ein Mr. Godfrey Norton, vom Gericht am Inner Temple. Sie sehen, wie gut es ist, einen Kutscher als Vertrauensmann zu haben. Sie haben ihn ein Dutzend Mal vom Serpentine-Stall nach Hause gefahren und wissen alles über ihn. Nachdem ich mir alles angehört hatte, was sie erzählen konnten, bin ich wieder in der Nähe von Briony Lodge auf und ab gegangen und habe mir meinen Schlachtplan zurechtgelegt.

      Dieser Godfrey Norton ist offenbar ein wichtiger Faktor in der Angelegenheit. Er ist Anwalt. Das klingt ominös. Wie sieht ihre Beziehung aus, und was ist der Sinn seiner wiederholten Besuche? Ist sie seine Klientin, seine Freundin oder seine Maitresse? Im ersten Fall hat sie ihm vermutlich die Photographie zur Aufbewahrung übergeben, im letzten ist das weniger wahrscheinlich. Von der Beantwortung dieser Frage hing nun ab, ob ich meine Arbeit in Briony Lodge fortsetzen oder meine Aufmerksamkeit den Räumlichkeiten des Gentleman im Temple zuwenden sollte. Das war ein heikler Punkt, und er dehnte den Bereich meiner Nachforschungen aus. Ich fürchte, ich langweile Sie mit diesen Einzelheiten, aber ich muß Ihnen meine kleinen Schwierigkeiten vor Augen führen, damit Sie die Situation begreifen können.«

      »Ich kann Ihnen ganz gut folgen«, antwortete ich.

      »Ich war immer noch damit beschäftigt, die Sache im Geiste abzuwägen, als eine Droschke vor Briony Lodge vorfuhr und ein Gentleman heraussprang. Er war ein bemerkenswert gutaussehender Mann, dunkelhaarig, mit Adlernase und Schnurrbart – augenscheinlich der Mann, von dem ich so viel gehört hatte. Er schien in großer Eile zu sein, rief dem Kutscher zu, er solle warten, und dann ist er an dem Mädchen, das die Tür öffnete, vorbeigestürmt wie einer, der sich sehr gut auskennt.

      Er ist ungefähr eine halbe Stunde im Haus geblieben, und ich konnte ihn hin und wieder sehen, wie er hinter den Fenstern des Wohnraums auf und ab ging, erregt redete und mit den Armen fuchtelte. Dann kam er wieder heraus


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