Die Abenteuer des Sherlock Holmes. Arthur Conan Doyle
Читать онлайн книгу.was ich von der Dame gesehen habe, scheint sie wirklich von einem ganz anderen niveau zu sein als Ihre Majestät«, sagte Holmes kalt. »Ich bedaure sehr, daß ich nicht in der Lage gewesen bin, den Auftrag Ihrer Majestät zu einem erfolgreicheren Ende zu bringen.«
»Im Gegenteil, mein lieber Sir«, rief der König. »Ich könnte mir keinen größeren Erfolg denken. Ich weiß, daß sie ihr Wort nie brechen wird. Die Photographie ist nun so sicher, als ob sie im Feuer wäre.«
»Ich freue mich, zu hören, daß Majestät die Sache so sehen.«
»Ich stehe tief in Ihrer Schuld. Bitte sagen Sie mir, wie ich es Ihnen vergelten kann. Dieser Ring ...« Er streifte einen gewundenen Smaragdring vom Finger, legte ihn auf seine Handfläche und hielt ihn empor.
»Majestät haben etwas, das ich für noch wertvoller hielte«, sagte Holmes.
»Sie brauchen es nur zu nennen.«
»Diese Photographie.«
Der König starrte ihn verblüfft an.
»Irenes Photographie!« rief er. »Natürlich, wenn Sie es so haben wollen.«
»Ich danke Ihnen, Majestät. Dann gibt es in dieser Sache nichts mehr zu tun. Ich habe die Ehre, Ihnen einen besonders guten Morgen zu wünschen.« Er verneigte sich und wandte sich ab, ohne die Hand zu beachten, die ihm der König entgegenstreckte, und mit mir zusammen machte er sich auf den Weg zu seiner Wohnung.
Und so hatte ein großer Skandal über das Königreich Böhmen zu kommen gedroht, und so ist Sherlock Holmes' beste Planung durch die Klugheit einer Frau vereitelt worden. Er pflegte sich einstmals über weibliche Schlauheit lustig zu machen, aber seither habe ich derlei nicht mehr bei ihm gehört. Und wenn er von Irene Adler spricht oder auf ihre Photographie verweist, dann immer unter dem ehrenden Titel die Frau.
Die Liga der Rotschöpfe
An einem Tag im Herbst letzten Jahres besuchte ich meinen Freund Sherlock Holmes und fand ihn vertieft in ein Gespräch mit einem sehr stämmigen, älteren Gentleman mit blühender Gesichtsfarbe und feurig rotem Haar. Ich wollte mit einer Entschuldigung ob meines Eindringens sogleich wieder gehen, doch zerrte Holmes mich jäh in den Raum hinein und schloß die Tür hinter mir.
»Sie hätten unmöglich zu einer besseren Zeit kommen können, mein lieber Watson«, sagte er herzlich.
»Ich dachte, Sie seien beschäftigt.«
»Das bin ich auch. Sehr sogar.«
»Dann will ich gern im Nebenzimmer warten.«
»Das kommt nicht in Frage. Dieser Gentleman, Mr. Wilson, ist bei vielen meiner erfolgreichsten Fälle mein Partner und Helfer gewesen, und ich zweifle nicht daran, daß er mir auch in Ihrem Fall überaus nützlich sein wird.«
Der stämmige Gentleman erhob sich zur Hälfte aus seinem Sessel, nickte grüßend und warf mir aus seinen kleinen, von Fettkringeln umgebenen Augen einen schnellen, fragenden Blick zu.
»Nehmen Sie das Sofa«, sagte Holmes; er ließ sich wieder in seinen Lehnsessel sinken und legte die Fingerspitzen aneinander, wie gewöhnlich, wenn er in scharfem Denken begriffen war. »Ich weiß, mein lieber Watson, daß Sie meine Liebe für alles Bizarre teilen, das außerhalb der Konventionen und des Alltagseinerleis liegt. Ihr Gefallen daran haben Sie durch die Begeisterung gezeigt, mit der Sie viele meiner kleinen Abenteuer aufgezeichnet und, wenn Sie mir diese Bemerkung erlauben, gern auch ausgeschmückt haben.«
»Ihre Fälle haben wirklich immer mein größtes Interesse gefunden«, bemerkte ich.
»Sie werden sich daran erinnern, daß ich vor einiger Zeit, kurz bevor wir uns mit dem sehr einfachen Problem beschäftigten, das uns Miss Mary Sutherland9 vorlegte, angemerkt habe, daß jemand, der merkwürdige Vorfälle und außergewöhnliche Zusammenfügungen haben will, sich dem Leben selbst zuwenden muß, das immer viel kühner ist als alle Höhenflüge der Phantasie.«
»Eine Behauptung, die anzuzweifeln ich mir erlaubt habe.«
»So ist es, Doktor, aber trotzdem müssen Sie sich zu meiner Ansicht bequemen; andernfalls werde ich Tatsachen über Tatsachen auf Sie häufen, bis Ihr Verstand darunter zusammenbricht und zugibt, daß ich recht habe. Nun hat heute morgen Mr. Jabez Wilson hier die Freundlichkeit besessen, mich aufzusuchen, und begonnen, mir eine Geschichte zu erzählen, die eine der ausgefallensten zu sein verspricht, die ich seit langem vernommen habe. Sie haben sicher meine Feststellung gehört, daß die seltsamsten und einzigartigen Dinge sehr oft nicht mit den großen, sondern mit den kleineren Verbrechen zusammenhängen oder gelegentlich sogar dort zu finden sind, wo man bezweifeln darf, daß ein eindeutiges Verbrechen überhaupt begangen worden ist. Soweit ich bis jetzt gehört habe, ist es mir unmöglich, zu sagen, ob im vorliegenden Fall ein Verbrechen vorliegt oder nicht, aber der Ablauf der Ereignisse gehört gewiß zu den seltsamsten Dingen, denen ich je gelauscht habe. Vielleicht hätten Sie die große Güte, Mr. Wilson, mit Ihrer Erzählung noch einmal von vorn zu beginnen. Ich bitte Sie darum nicht nur, weil mein Freund Dr. Watson den Beginn nicht gehört hat, sondern auch, weil die Eigentümlichkeit Ihrer Geschichte mich wünschen läßt, jede nur denkbare Einzelheit aus Ihrem Munde zu erfahren. In der Regel bin ich imstande, wenn ich erst einige einfache Hinweise auf den Ablauf der Dinge erhalten habe, mich selbst darin zurechtzufinden, und zwar mit Hilfe der tausende ähnlicher Fälle, deren ich mich entsinne. Im vorliegenden Fall muß ich jedoch zugeben, daß die Tatsachen, soweit ich dies glaube beurteilen zu können, einmalig sind.«
Mit einem Anflug von leisem Stolz wölbte der stattliche Klient seine Brust und zog eine schmutzige, zerknüllte Zeitung aus der Innentasche seines Paletots. Während er die Spalte mit Annoncen überflog, mit vorgestrecktem Kopf und auf den Knien ausgebreiteter Zeitung, sah ich mir den Mann gründlich an und versuchte, nach der Art meines Gefährten das zu lesen, was seine Kleidung oder sein Äußeres an Hinweisen enthalten mochten.
Ich gewann jedoch nicht viel durch meine Prüfung. Unser Besucher wies alle Kennzeichen eines durchschnittlichen, normalen britischen Geschäftsmannes auf: beleibt, wichtigtuerisch, behäbig. Er trug ziemlich ausgebeulte, grauweiß karierte Wollhosen, einen nicht übermäßig sauberen, vorn aufgeknöpften Gehrock, eine mausgraue Weste mit einer kurzen schweren Uhrkette aus Messing und einem viereckigen, durchbohrten Metallstück, das zur Zierde daran baumelte. Ein abgeschabter Zylinder und sein ausgeblichen brauner Mantel mit runzligem Samtkragen lagen auf einem Stuhl neben ihm. So genau ich auch hinsehen mochte, alles in allem war an diesem Mann nichts besonders bemerkenswert, abgesehen von seinem feuerroten Schopf und dem auf seinen Zügen liegenden Ausdruck von großem Kummer und Unzufriedenheit.
Sherlock Holmes' schnelles Auge nahm meine Beschäftigung wahr, und lächelnd schüttelte er den Kopf, als er meine fragenden Blicke bemerkte. »Neben den offensichtlichen Tatsachen, daß er zu irgendeiner Zeit mit seinen Händen gearbeitet hat, daß er Tabak schnupft, daß er Freimaurer ist, daß er in China war und daß er in der letzten Zeit sehr viel geschrieben hat, kann ich nichts deduzieren.«
Mr. Jabez Wilson fuhr in seinem Sessel auf; sein Zeigefinger lag auf der Zeitung, seine Augen jedoch auf meinem Gefährten.
»Wie um alles in der Welt können Sie das wissen, Mr. Holmes?« fragte er. »Woher wissen Sie zum Beispiel, daß ich mit den Händen gearbeitet habe? Es ist so wahr wie die Bibel, ich habe als Schiffszimmermann angefangen.«
»Ihre Hände, mein lieber Sir. Ihre rechte Hand ist um einiges größer als Ihre linke. Sie haben mit ihr gearbeitet, und die Muskeln sind besser entwickelt.«
»Gut, und der Schnupftabak, und die Freimaurerei?«
»Ich will Ihre Intelligenz nicht dadurch beleidigen, daß ich Ihnen erzähle, woran ich das ablesen kann, vor allem da Sie, wohl eher gegen die strikten Weisungen Ihres Ordens, eine Brosche mit Bogen und Zirkel tragen.«
»Ah, natürlich, das hatte ich vergessen. Aber die Schreibarbeit?«
»Was sonst könnte es bedeuten, daß Ihr rechter Ärmelaufschlag bis fast fünf Zoll oberhalb des Handgelenks