Flammen des Sommers. Madeleine Puljic
Читать онлайн книгу.Wenn er das Frühsommerheu in Brand steckte, das sie dort lagerten, konnte er leicht ihr gesamtes Haus abfackeln. Berekh beschloss, gleich am nächsten Morgen einen Schutzzauber um das Gebälk zu legen. Sie brauchten ihre Scheune noch.
Daena hatte ihre Übungen nicht aufgegeben, und das bewies Berekh, dass sie bereit sein wollte. Offenbar glaubte sie ebenso wenig an den Frieden wie er. Im Gegenzug wusste seine Frau vermutlich längst, dass er manchmal des nächtens verschwand, selbst wenn sie bisher kein Wort darüber verloren hatte.
Er wollte ihr davon erzählen, wollte es wirklich. Aber vor jedem Mal hoffte er, dass es danach nichts mehr zu erzählen gäbe. Dass er seinen Schwur endlich gehalten und der Nekromantin ein Ende gemacht hätte, deren Zauber ihn zurück ins Leben geholt hatte. Doch bis jetzt war er jedes Mal erfolglos zurückgekehrt, und seine Hoffnung wurde immer schwächer – so wie die Gerüchte, denen er folgte, immer vager wurden.
Berekh stieß einen lautlosen Seufzer aus und schloss für einen Moment die Augen, um sich zu sammeln.
Dann öffnete er mitten in ihrem Schlafgemach ein Portal und trat hindurch.
***
Die Gefahr, dass jemand seine Magie zurückverfolgen und direkt in sein eigenes Haus platzen könnte, hinderte ihn schon lange nicht mehr. Im Gegenteil. Seine Kräfte waren in vollem Ausmaß zurückgekehrt. Sollten seine Feinde dieser provokanten Einladung doch nachkommen. Er würde sie erwarten. Zumindest würde ihm das die mühsame Suche ersparen.
Die Kompression des Portals gab ihn frei, und statt der hölzernen Dielen spürte Berekh kalten Stein unter den Fußsohlen. Noch im selben Augenblick wusste er, dass er auch heute Nacht kein Glück haben würde.
Flechten bedeckten die verwitterten Felsplatten, aus denen der weitläufige Tunnel bestand. Die ehemals mit arkanen Symbolen verzierten Wände waren geborsten, irgendwo sickerte Wasser von der Oberfläche herab und tropfte einen steten Takt ins Leere.
In der Zeit von Berekhs erstem Leben war dieser Ort ein gut besuchtes Heiligtum gewesen, von Priestern und Magiern gleichermaßen geschätzt. Aber Alter und Feuchtigkeit hatten an dem Tempel genagt und die Ausstrahlung von Würde und Kraft, die dieser einst besessen hatte, nahezu restlos verschlungen.
Zeremonien waren hier seit Jahrhunderten nicht mehr abgehalten worden, Studenten und Bibliotheken aus der unterirdischen Anlage verschwunden. So weit Berekhs Geist auch tastete, außer dem üblichen Kleingetier befand sich kein Leben hier unten. Die Ruine war verlassen.
Allerdings noch nicht so lange, wie es den Anschein hatte.
Ein letzter Hauch von Magie hing in der Luft. Schwach und schal, kaum stärker als der Geruch eines vorbeiziehenden Gewitters. Aber er war vorhanden.
Die Nekromanten waren hier gewesen, vor ein paar Wochen noch. Er war ihnen näher gekommen als je zuvor, seit er ihnen nachjagte. Dennoch hätte er seinem Ziel kaum ferner sein können.
Der alte Tempel war sein letzter Hinweis gewesen. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wohin er sich jetzt noch wenden sollte. Wo er noch suchen konnte. Jahrhunderte der Erfahrung. Magie, von der selbst die Ratsältesten nicht einmal zu träumen wagten – und er war am Ende seiner Weisheit angelangt.
Berekh zweifelte nicht daran, dass die Schwarzmagier sich längst von dem Schlag erholt hatten, den er ihnen bei der Schlacht vor Rinnval versetzt hatte. Er konnte das hämische Lachen der schwarzgelockten Äbtissin beinahe hören. Irgendwo hatte sie ihr Gefolge um sich versammelt und verspottete seine Unfähigkeit, sie aufzuspüren. Mit Sicherheit war es keine Angst, die sie an verfallene Orte wie diesen hier trieb. Es waren ihre widernatürlichen Zauber, deren Rückstände er hier immer stärker wahrnahm und die er mittlerweile an sich haften fühlte wie klebrigen Schmutz. Die Nekromanten bereiteten sich auf etwas vor, erprobten neue Wege hinein in die Abgründe dessen, was jenseits des Todes lag. Aber zu welchem Zweck?
Ein kalter Windstoß entfuhr den Untiefen des Gewölbes und trieb ihm den Gestank von verwesendem Fleisch in die Nase. Und noch etwas anderes. Einen Geruch, dem er einst verfallen gewesen war und der ihm jetzt nur noch den Magen umdrehte. Vielleicht existierte er auch nur in seiner Einbildung, doch verwoben mit der erstickenden Ausdünstung von Leichen und Tod roch er den bittersüßen Duft von Krajas Parfum.
Berekh taumelte zurück, von Übelkeit und Erinnerungen überwältigt. Und er tat das Einzige, das ihm im Angesicht seiner eigenen Vergangenheit übrig blieb: Er stürzte durch das Portal und floh.
***
»Oh bei den Göttern, wo kommst du denn her?«
Berekh hatte kaum in seiner Schlafkammer Fuß gefasst, als ihn auch schon Daenas angewidertes Gesicht begrüßte. Zumindest der Teil, der nicht von der Hand verdeckt wurde, die sie auf Mund und Nase presste. Hastig schloss er das Portal hinter seinem Rücken, doch es war zu spät. Der Gestank des Tempels war ihm gefolgt und verpestete das Zimmer.
Als er sich wieder umwandte, war die Müdigkeit in Daenas Augen Argwohn gewichen. Bevor er darüber nachdenken konnte, murmelte Berekh etwas von einem Notfall, zu dem er gerufen worden sei.
Wenn man davon absah, allzu sehr auf Details zu pochen, war das nicht einmal so weit von der Wahrheit entfernt. Noch weniger gelogen waren seine nächsten Worte: »Wie es aussieht, bin ich zu spät gekommen. Ich konnte nichts mehr ausrichten.«
Seine Frau rümpfte die Nase. »Um ein paar Wochen zu spät, so wie du stinkst.« Sie kletterte aus dem Bett und tapste auf nackten Füßen durch das Zimmer. Am Fenster angekommen, schob sie den Riegel zurück und zwängte das Fenster aus seinem leicht verzogenen Holzrahmen, um die frische Morgenluft hereinzulassen. »Da hättest du schon ein Nekromant sein müssen, um mit diesem Patienten noch etwas anfangen zu können.«
Ihre Bemerkung ließ Berekh unwillkürlich zusammenzucken. Zu seinem Glück war Daena noch einen Moment lang von dem Anblick der aufgehenden Sonne abgelenkt, die ihre ersten Strahlen über die Hügel warf. Er hatte sich rasch genug wieder unter Kontrolle, um ihr mit einem ungelenken Schulterzucken zu begegnen, als sie sich wieder umwandte.
Erneut sah er Misstrauen durch ihre Augen huschen, aber sie hakte nicht weiter nach. Was sicherlich auch daran lag, dass mittlerweile ein lautes Schnaufen und Grollen aus dem Schuppen drang.
»Wenn der uns abfackelt …«, schimpfte Daena, packte ihr Überkleid und war aus der Stube gestürmt, noch ehe sie es übergeworfen hatte.
Ihre wütenden Schritte polterten die schmale Treppe hinunter. Erst dann wagte es Berekh – der wahrscheinlich mächtigste wieder lebende Magier, der von vielen nur der Schlächter genannt wurde – den Atem entweichen zu lassen, den er unbewusst angehalten hatte.
***
Warum hatte er ihr nicht die Wahrheit gesagt? All die Zeit hatte er nach einer passenden Gelegenheit gesucht. Also warum griff er nach der erstbesten Ausrede, die ihm einfiel, sobald es dazu kam?
Die Antwort gestand Berekh sich nur ungern ein: Krajas Parfum.
Für dessen Vorhandensein gab es nur zwei denkbare Erklärungen. Erstens: Er hatte sich den Geruch nur eingebildet, was bedeutete, dass er halluzinierte und allmählich den Verstand verlor. Oder zweitens: Kraja hatte ihn absichtlich dort platziert. Und das hätte nur dann einen Zweck besessen, wenn sie nicht bloß damit rechnete, dass jemand ihr und ihren Schwarzmagiern nachspürte, sondern auch ganz genau wusste, wer ihr da folgte. Berekh war sich nicht sicher, welche der beiden Möglichkeiten ihm mehr missfiel.
Eine einzelne, braun getupfte Feder durchbrach seinen Gedankengang. Der Wind trieb sie an ihm vorbei und über den Hof. Ihr Kiel war angesengt.
»Woher hätte ich denn wissen sollen, dass dein Weibchen so an diesen komischen Vögeln hängt?«, kommentierte Lrartsnjok mit niedergeschlagener Stimme seinen Blick. »Ich dachte, das wäre mein Frühstück.«
Wie sollte er dem jungen Drachen erklären, warum Daena beim Anblick dessen, was von ihren Hühnern übrig geblieben war, mit dem Besen auf ihn losgegangen war? Berekh hatte im Moment ganz andere Sorgen. Kindererziehung hatte er eigentlich nicht dazuzählen wollen, und die eines vorlauten Drachenjungen schon gar nicht.
»Du