Oliver Twist. Charles Dickens

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Oliver Twist - Charles Dickens


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Junge wird am Galgen enden", sagte der Herr mit der weißen Weste. "Ich bin ganz sicher, dass der Bursche dereinst gehängt wird!"

      Niemand widersprach dieser Prophezeiung. Nach kurzer Beratung wurde Oliver eingesperrt. Am nächsten Morgen wurde ein Anschlag an das Tor geklebt, der jedem, der Oliver der Gemeinde abnähme, eine Summe von fünf Pfund verhieß. Mit anderen Worten, Oliver Twist wurde nebst fünf Pfund jedem Mann oder jeder Frau – wer eben einen Lehrling oder einen Laufburschen brauchte – angeboten.

      Oliver blieb eine Woche lang in einer dunklen, einsamen Kammer eingesperrt. Er weinte den ganzen Tag über bitterlich. Wenn dann die lange, traurige Nacht kam, legte er seine Händchen auf die Augen, um nicht ins Dunkel starren zu müssen, kroch in eine Ecke und versuchte zu schlafen. Alle Augenblicke aber fuhr er aus seinem Schlaf auf und drückte sich dann dichter an die Mauer, als ob er sich selbst in ihrer kalten, harten Fläche einen Schutz gegen die ihn umgebende Finsternis verspräche.

      Nun begab es sich, dass eines Morgens der Schornsteinfegermeister Gamfield die Landstraße entlang zog. Er dachte darüber nach, wie er gewisse Mietsrückstände, um die ihn sein Hauswirt ziemlich energisch gemahnt hatte, bezahlen solle. Er wusste nicht, wie er die ihm fehlenden fünf Pfund herbeischaffen könnte, und marterte damit bald sein Gehirn, bald den Kopf seines Esels. Da fiel ihm plötzlich der Anschlag ins Auge, als er beim Armenhause vorbeikam.

      "Halt!" sagte der Meister zu dem Esel, doch dieser, ebenfalls in tiefes Sinnen versunken, trabte, ohne auf den Befehl seines Herrn zu achten, ruhig weiter. Gamfield fluchte wie ein Heide und versetzte dem Esel einen Schlag auf den Kopf, dass dieser halb betäubt war und stillstand. Dann begann der Meister aufmerksam den Anschlag zu lesen.

      Der Herr mit der weißen Weste stand, die Hände auf dem Rücken, am Tore. Er hatte dem kleinen Streit zwischen Gamfield und seinem Esel gespannt zugeschaut und lächelte gutgelaunt. Gamfield lächelte gleichfalls, als er das Schriftstück durchgelesen hatte, denn fünf Pfund waren gerade die Summe, die er brauchte. Was die Beigabe des Jungen anbelangt, so wusste der Meister, der die Armenhauskost kannte, dass es sich nur um ein ziemlich schmächtiges Menschenexemplar handeln könnte. Er buchstabierte also den Anschlag nochmals von Anfang bis zu Ende durch und redete dann den Herrn mit der weißen Weste an, indem er gleichzeitig grüßend die Hand an seine Pelzmütze legte:

      "Diesen Jungen hier will also die Gemeinde als Lehrling vergeben?"

      "Ja, lieber Freund", erwiderte der Herr mit der weißen Weste leutselig, "warum?"

      "Wenn die Gemeinde ihn ein leichtes, angenehmes Handwerk lernen lassen will, so möchte ich mein Schornsteinfegergeschäft empfehlen", entgegnete der Meister. "Ich brauche einen Lehrling und bin bereit, ihn zu nehmen!"

      "Kommen Sie rein", sagte der Herr mit der weißen Weste.

      Gamfield folgte diesem in das Sitzungszimmer und trug Herrn Limbkins seinen Wunsch vor.

      "Es ist ein schmutziges Handwerk, man hat auch erlebt, dass Jungens in den Schornsteinen erstickt sind", meinte Limbkins.

      "Dies kommt daher", versetzte Gamfield, "dass man das Stroh anfeuchtete, ehe man es im Kamin anzündete, um die Jungen herunterzuholen. Es gab nur Rauch aber kein Feuer. Rauch hat aber keinen Zweck, denn er veranlasst einen Jungen nicht runterzukommen, er macht ihn nur schläfrig, und das ist es ja gerade, was solch ein Bursche will. Jungen sind faul und widerspenstig, meine Herren, und ein schönes, heißes Feuer das Beste, um sie im Galopp herunterzubringen. Es ist auch ein humanes Mittel, meine Herren, denn wenn einer im Schornstein steckenbleibt und sich die Füße verbrennt, dann tut er schon selbst alles Mögliche, um sich aus dieser Lage zu befreien.`

      Die Vorstandsmitglieder berieten sich einige Minuten, dann verkündete Herr Limbkins:

      "Wir haben Ihren Vorschlag überlegt, können aber nicht drauf eingehen."

      "Ganz und gar nicht", sagte der Herr mit der weißen Weste.

      "Entschieden nicht", fügten die andern Vorstandsmitglieder hinzu.

      "So soll ich ihn also nicht haben, meine Herren?" fragte Gamfield.

      "Nein", antwortete Herr Limbkins, "oder Sie müssten mit einer kleineren Summe zufrieden sein, da es doch ein zu schmutziges Handwerk ist."

      "Was wollen Sie geben, meine Herren? Seien Sie nicht zu hart gegen einen armen Mann!"

      "Nun, ich meine, drei Pfund und zehn Schillinge wären genug", sagte Herr Limbkins.

      "Schon zehn Schilling zu viel", bemerkte der Herr mit der weißen Weste.

      "Also, sagen wir vier Pfund, meine Herren", versetzte Gamfield, "und Sie sind den Jungen für immer los. Vier Pfund, das ist anständig."

      "Drei Pfund und zehn Schillinge", wiederholte Herr Limbkins unbeugsam.

      "Wir wollen die Differenz teilen, meine Herren, drei Pfund und fünfzehn Schillinge also!"

      "Nicht einen Penny mehr", lautete die feste Antwort Herrn Limbkins.

      "Sie sind mächtig hart zu mir", sagte Gamfield kleinlaut.

      "Unsinn", sagte der Herr mit der weißen Weste. "Es wäre ein feines Geschäft auch ohne jeden Zuschuss. Greifen Sie zu, Mann. Er ist gerade der richtige Junge für Sie. Ab und zu hat er den Rohrstock nötig, und sein Essen braucht auch nicht üppig zu sein, denn er ist von seiner Geburt an nie überfüttert worden. Ha! Ha! Ha!"

      Der Handel wurde also geschlossen, und Bumble bekam den Auftrag, Oliver Twist noch am selben Nachmittag vor den Friedensrichter zu führen, um seinen Lehrbrief genehmigen und unterzeichnen zu lassen.

      Der kleine Oliver wurde daher zu seinem großen Erstaunen aus der Haft entlassen und erhielt den Befehl, ein reines Hemd anzuziehen. Er hatte kaum diese ungewohnte gymnastische Übung beendet, als ihm Herr Bumble eigenhändig einen Napf voll Haferschleim und das sonntägliche Stück Brot brachte. Bei diesem Anblick fing Oliver kläglich an zu weinen, denn er dachte nichts anderes, als dass die Behörde ihn zu irgendeinem nützlichen Zwecke schlachten lassen wollte, da sie ihn wohl sonst kaum in dieser Weise mästen würde.

      "Weine dir nicht die Augen rot, Oliver, sondern iss und sei dankbar", sagte Herr Bumble würdevoll. "Du sollst Lehrling werden, Oliver!"

      "Lehrling, Herr?!" rief der Junge zitternd.

      "Jawohl, Oliver, die guten Herren, die an dir Elternstelle vertreten haben, wollen dich in die Lehre geben, damit du später im Leben vorwärts kommst und ein tüchtiger Kerl wirst. Das kostet der Gemeinde drei Pfund und zehn Schillinge, denke mal, Oliver, drei Pfund zehn Schillinge – siebzig Schillinge! – hundertvierzig Sixpences – und all das für einen ungezogenen Waisenjungen, den keiner leiden kann."'

      Als Herr Bumble innehielt, um Atem zu schöpfen, rannen dem armen Oliver nur so die Tränen über die Backen, und er schluchzte bitterlich.

      "Weine nicht!" sagte Herr Bumble, der von der Wirkung seiner Beredsamkeit sehr befriedigt war. "Wisch dir die Tränen mit dem Ärmel ab und lass sie nicht in die Suppe fallen. Das ist töricht." Das stimmte, denn in der Suppe war ohnehin schon Wasser genug.

      Auf dem Wege zum Friedensrichter belehrte Herr Bumble seinen kleinen Begleiter, dass er dort weiter nichts zu tun habe, als recht glücklich auszusehen. Wenn ihn dann der Herr frage, ob er in die Lehre gehen wolle, so müsse er sagen, furchtbar gern. Oliver versprach zu gehhorchen, umso mehr als Herr Bumble die zarte Andeutung fallen ließ, er könne nicht sagen, was man ihm antun würde, wenn er nicht diesen seinen Unterweisungen getreulich nachkäme. Als sie an Ort und Stelle eintrafen, wurde Oliver in ein kleines Zimmer gebracht und von Herrn Bumble ermahnt, dort so lange zu verweilen, bis er ihn holen würde.

      Klopfenden Herzens wartete der Junge bereits eine halbe Stunde, als endlich Herr Bumble seinen Kopf, der jetzt der Zierde des dreieckigen Hutes entbehrte, durch die Tür steckte und laut sagte:

      "Nun, liebes Kind, komm zu dem Herrn." Dabei warf er Oliver einen


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