Die tanzenden Männchen. Arthur Conan Doyle

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Die tanzenden Männchen - Arthur Conan Doyle


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ich gleich am nächsten Morgen wieder neue tanzende Männchen. Sie waren mit Kreide an das schwarze hölzerne Tor der Wagenremise gezeichnet, die man von den vorderen Fenstern unseres Wohnhauses direkt vor Augen hat. Ich habe sie genau nachgemacht, hier ist die Kopie.« Er faltete einen Zettel auseinander und legte ihn auf den Tisch. Die Zeichen sahen folgendermaßen aus:

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      »Ausgezeichnet!« sagte Holmes. »Ausgezeichnet! Bitte, fahren Sie fort.«

      »Nachdem ich die Abschrift genommen hatte, löschte ich die Dinger aus; am übernächsten Morgen war jedoch wieder eine neue Serie dort, deren Kopie ich hier habe.

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      Holmes rieb sich die Hände und lachte vor Vergnügen über die günstige Weiterentwicklung.

      »Unser Material mehrt sich erfreulich schnell,« sagte er.

      »Drei Tage darauf fand ich wieder ein Blatt Papier mit den rätselhaften Figuren an der Sonnenuhr. Ich habe es hier. Es sind, wie Sie sehen, genau dieselben Zeichen darauf, wie auf dem letzten. Nun entschloß ich mich endlich, dem Schreiber aufzulauern. Ich nahm meinen Revolver und setzte mich in mein Zimmer, von dem aus ich den Hof und den Garten überblicken konnte. Im Zimmer hatte ich kein Licht, draußen war es mondhell. Als ich so gegen zwei Uhr nachts am Fenster saß, hörte ich Schritte; es war meine Frau im Schlafgewand. Sie bat mich inständig, zu Bett zu gehen. Ich erklärte ihr frei heraus, daß ich den Menschen sehen wollte, der ein so eigentümliches Spiel mit uns trieb. Sie antwortete, es handle sich nur um einen schlechten Scherz, und ich solle gar keine Notiz davon nehmen.

      »›Wenn es dich wirklich beunruhigt, Hilton, können wir ja zusammen verreisen und uns so dieser Störung entziehen.‹

      »›Was, uns von einem übeln Witzbold aus unserem eigenen Haus treiben lassen?‹ erwiderte ich. ›Die ganze Nachbarschaft würde uns ja auslachen.‹

      »›Wir können morgen früh weiter darüber reden, komm' jetzt, bitte, zu Bett,‹ versetzte sie zärtlich.

      »Während sie noch sprach, sah ich in dem Mondschein ihr bleiches Gesicht plötzlich noch bleicher werden. Im Schatten der Remise bewegte sich etwas. Eine dunkle Gestalt kroch um die Ecke und kauerte vor dem Tor nieder. Ich ergriff meine Waffe und wollte hinausstürzen. Aber meine Frau schlang die Arme um meine Brust und hielt mich krampfhaft fest. Ich versuchte, sie abzuschütteln, sie ließ aber nicht los. Endlich machte ich mich frei, aber ehe ich zur Tür hinauskam und das Gebäude erreichte, war der Kerl verschwunden. Er hatte jedoch eine Spur hinterlassen; an dem Tor befand sich wieder dieselbe Reihe tanzender Figuren wie die beiden vorhergehenden Male, und wie ich sie auf jenem Blatt nachgezeichnet habe. Sonst war nichts von ihm zu sehen, obwohl ich das ganze Terrain absuchte. Das ist umso auffallender, als er sich auch später noch in der Nähe aufgehalten haben muß, denn, als ich am Morgen das Tor wieder untersuchte, hatte er unter die Zeile, die ich bereits gesehen hatte, neue Zeichen gesetzt.«

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      »Haben Sie diese frischen Figuren auch kopiert?«

      »Ja, es sind nur wenige; hier sind sie.«

      Er zog abermals ein Papier aus der Tasche, das folgende Zeichen enthielt:

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      »Sagen Sie 'mal,« fragte Holmes, dem ich die starke Erregung an den Augen ansehen konnte, »war dies ein bloßer Zusatz zu der ersten Reihe, oder machte es den Eindruck, als ob es gar nicht dazu gehörte?«

      »Es stand auf einem ganz anderen Teil des Tores.«

      »Großartig! Das ist von der größten Bedeutung zur Erreichung unseres Zwecks. Es erfüllt mich mit neuen Hoffnungen. Nun, erzählen Sie weiter, Herr Cubitt.«

      »Ich kann nur noch hinzufügen, Herr Holmes, daß ich auf meine Frau sehr böse war, weil sie mich in jener Nacht daran verhindert hatte, den heimtückischen Burschen womöglich in meine Gewalt zu bekommen. Sie sagte zwar, sie hätte sich gefürchtet, es möchte mir ein Leid geschehen, aber einen Augenblick kam mir der Gedanke, daß sie in Wirklichkeit gefürchtet haben möchte, daß er Schaden nehme, denn ich konnte nicht daran zweifeln, daß sie den Mann und auch die Bedeutung dieser Zeichen kannte. Doch in der Stimme meiner Frau liegt ein Klang und in ihren Augen ein Ausdruck, der alle Zweifel verscheucht, und ich bin jetzt wieder der festen Ueberzeugung, Herr Holmes, daß sie tatsächlich um mein eigenes Wohl besorgt war. – Ich habe Ihnen hiermit den ganzen Fall genau dargestellt und bitte Sie nun um Ihren Rat, was zu tun ist. Ich selbst möchte am liebsten ein halbes Dutzend meiner Leute aufstellen und dem Kerl, wenn er wieder kommt, eine so derbe Lektion erteilen lassen, daß er uns in Zukunft in Frieden läßt.«

      »Ich fürchte, dieser Fall ist schon zu weit vorgeschritten und nicht mehr durch eine so einfache Kur zu heilen,« sagte Holmes. »Wie lange können Sie in London bleiben?«

      »Ich muß heute wieder zurück, unbedingt. Ich möchte meine Frau um alles in der Welt nicht allein lassen während der Nacht. Sie ist sehr nervös und bat mich dringend, zurückzukehren.«

      »Wenn's so steht, kann ich Ihnen nur recht geben. Aber wenn Sie einen oder zwei Tage Zeit gehabt hätten, würde ich dann vielleicht mit Ihnen nach Hause gefahren sein. Lassen Sie mir alle diese Zettel unterdessen hier. Ich denke, ich werde Ihnen höchstwahrscheinlich in kurzem einen Besuch machen und einiges Licht in diese dunkle Sache bringen können.«

      Holmes bewahrte während der Anwesenheit unseres Besuchers seine geschäftsmäßige Ruhe, obgleich er stark erregt war, wie ich wohl merkte. Sobald aber Hilton Cubitts breiter Rücken in der Tür verschwunden war, schritt er schnell zum Schreibtisch, breitete die sämtlichen Papierzettel darauf vor sich aus und begann eine schwierige und mühsame Berechnung. Zwei Stunden lang beobachtete ich ihn, wie er ein Blatt nach dem anderen mit Figuren und Zeichen beschrieb und so sehr in die Arbeit vertieft war, daß er meine Gegenwart augenscheinlich ganz vergessen hatte. Manchmal, wenn es mit seiner Lösung vorwärts ging, fing er an zu pfeifen und zu singen, manchmal, wenn er in Verlegenheit kam, sah er längere Zeit mit gerunzelter Stirn starr vor sich hin. Endlich sprang er mit einem Ausruf der Befriedigung vom Stuhl auf und ging, sich die Hände reibend, im Zimmer auf und ab. Dann nahm er ein Depeschenformular und setzte ein langes Telegramm auf. »Wenn ich darauf die gewünschte Antwort erhalte, wirst du einen sehr hübschen Fall für deine Sammlung bekommen, Watson,« sagte er dann zu mir. »Ich hoffe, daß wir morgen nach Norfolk hinunter fahren können, um unserem Freund definitiven Bescheid bezüglich seiner Kümmernis zu bringen.«

      Ich muß gestehen, daß ich neugierig war. Da ich aber wußte, daß Holmes seine Enthüllungen zu seiner Zeit und auf seine eigene Weise bekannt zu geben pflegte, so wartete ich geduldig, bis es ihm passen würde, mich ins Vertrauen zu ziehen.

      In der Beantwortung des Telegramms trat jedoch eine Verzögerung ein. Es folgten zwei Tage, während deren Holmes sehr ungeduldig war und bei jedem Klingeln emporfuhr. Am Abend des zweiten Tages traf dagegen wieder eine Nachricht von Cubitt ein. Es sei alles ruhig geworden, nur heute morgen habe er an der Sonnenuhr eine lange Reihe tanzender Männchen gefunden. Er lege eine Abschrift derselben bei. Sie sah folgendermaßen aus:

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      Holmes beugte sich einige Minuten über diese seltsamen Zeichen, dann stieß er plötzlich einen Schrei der Ueberraschung und des Entsetzens aus. Sein Gesicht war ganz entstellt von Schrecken.

      »Wir haben der Sache nun lange genug ihren Lauf gelassen,« sagte er, »es ist die höchste Zeit, daß wir einschreiten. Geht heute nacht noch ein Zug nach North Walsham?«

      Ich sah sofort auf dem Fahrplan nach. Der letzte war gerade abgegangen.

      »Dann müssen wir morgen bald frühstücken und gleich den ersten Zug benutzen,« war seine Antwort. »Unsere Anwesenheit ist dringend nötig. Aha, hier kommt


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