Die Löwenskölds. Selma Lagerlöf

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Die Löwenskölds - Selma Lagerlöf


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sie zu ihr, Hilfe zu erbitten! Warum gingen sie nicht lieber gleich zu den Toten auf dem Galgenhügel?

      Es tat ihr wohl zu sagen: »Ich komme nicht.« Das war ihre Art, Rache zu nehmen.

      Als Marit jetzt aber das junge Mädchen dort drüben mit dem Kopf an der Wand weinen sah, da erwachte eine Erinnerung in ihr. »So hab ich auch, so an die harte Wand gelehnt, einst bitterlich geweint. Ich hatte keinen Menschen, auf den ich mich stützen konnte.«

      Und zugleich wallte die Quelle der Jugendliebe wieder in Marit auf und erfüllte sie mit ihrer heißen Flut. Verwundert saß sie da und sagte sich selbst: »So fühlte man sich damals. So war es, wenn man jemand lieb hatte. Ein so holdes, starkes Gefühl war es.«

      Sie sah den jungen, frohen, starken, schönen Paul Eliasson deutlich vor sich. Sie erinnerte sich an seinen Blick, an seine Stimme, an jede seiner Bewegungen. Ihr ganzes Herz wurde von ihm erfüllt.

      Marit glaubte, sie habe ihn die ganze Zeit über geliebt, und das hatte sie wohl auch. Aber wie sehr waren während der langen Jahre die Gefühle abgekühlt worden. Jetzt, in diesem Augenblick, brannte ihre Seele wieder in voller Glut.

      Doch während die Liebe so in ihr erwachte, erinnerte sie sich auch an den furchtbaren Schmerz, den ein Menschenkind empfindet, wenn es den Geliebten verliert.

      Marit sah wieder zu Jungfer Spaak hinüber, die immer noch weinend dort stand. Jetzt wusste Marit, was sie fühlte. Eben erst hatte die Kühle der Jahre auf ihr gelegen. Da hatte sie vergessen gehabt, wie dies Feuer brennt; jetzt wusste sie es wieder. Und sie wollte nicht die Ursache sein, dass jemand das leiden musste, was sie selbst gelitten hatte. Sie stand auf und ging zu Jungfer Spaak hin: »Kommt! Ich will mit ihr gehen«, sagte sie ganz kurz.

      Jungfer Spaak kam also in Gesellschaft von Marit Erikstochter nach Hedeby zurück. Auf dem ganzen Weg hatte Marit nicht ein Wort gesprochen. Jungfer Spaak verstand das erst nachher. Sie hatte wohl die ganze Zeit überlegt, wie sie es anfangen sollte, um den Ring zu finden.

      Jungfer Spaak ging mit Marit geradewegs auf den Haupteingang des Wohnhauses zu und führte sie ins Schlafzimmer. Da war alles noch unverändert. Adrian lag schön und bleich, aber ruhig wie ein Toter da, und die Baronin saß daneben und bewachte ihn, ohne sich zu bewegen. Erst als Marit Erikstochter an das Bett trat, schaute sie auf. Kaum aber hatte sie die Frau erkannt, die neben ihr stand und den Sohn betrachtete, als sie auch schon vor ihr auf den Boden sank und das Gesicht in ihren Rock drückte.

      »Marit, Marit«, sagte sie. »Denk nicht an all das Böse, was die Löwenskölds dir angetan haben! Hilf ihm, Marit! Hilf ihm!«

      Die Bäuerin wich ein wenig zurück; aber die arme Mutter schleppte sich ihr auf den Knien nach.

      »Du weißt nicht, welche Angst ich immer ausgestanden habe, seit der General hier umgeht. Die ganze Zeit über hab ich gebebt und gewartet. Ich wusste, sein Groll würde sich jetzt gegen uns kehren.«

      Marit erwiderte kein Wort. Sie schloss die Augen und schien ganz in sich selbst zu versinken.

      Jungfer Spaak war überzeugt, dass es ihr wohltat, die Baronin von ihren Leiden sprechen zu hören.

      »Marit, ich habe zu dir gehen und mich vor dir auf die Knie werfen wollen, so wie ich es jetzt tue, um dich zu bitten, den Löwenskölds zu verzeihen. Aber ich wagte es nicht. Ich dachte, es sei dir unmöglich, zu verzeihen.«

      »Die Frau Baronin soll mich auch nicht darum bitten«, sagte Marit, »denn es ist so, ich kann nicht verzeihen.«

      »Jetzt bist du aber doch da?«

      »Ich bin nur der Jungfer zuliebe gekommen, weil sie mich darum gebeten hat.«

      Damit trat Marit auf die andere Seite des breiten Bettes. Sie legte ihre Hand auf die Brust des Kranken und murmelte ein paar Worte. Zugleich runzelte sie die Stirn, drückte die Augen vor und kniff den Mund zusammen. Jungfer Spaak dachte, sie stelle sich genauso an wie andere Quacksalberinnen.

      »Er wird am Leben bleiben«, sagte Marit. »Frau Baronin darf aber nicht vergessen, dass ich ihm einzig und allein der Jungfer zuliebe helfe.«

      »Ja, Marit, ich werde es nie vergessen«, erwiderte die Baronin.

      Es kam Jungfer Spaak vor, als habe ihre Herrin noch etwas hinzufügen wollen, dann aber brach sie doch jäh ab.

      »Und nun lasse die Frau Baronin mir freie Hand!«

      »Du kannst tun, was du willst, der Baron ist fort. Ich habe ihn gebeten, dem Doktor entgegenzureiten, damit er rascher eintrifft.«

      Jungfer Spaak hatte erwartet, Marit Erikstochter werde nun einige Versuche machen, den jungen Baron aus seiner Betäubung zu wecken. Zu ihrer großen Enttäuschung tat sie nichts dergleichen. Dagegen befahl Marit, man solle alle Kleider des jungen Barons herbeischaffen, sowohl diejenigen, die er jetzt trug, als auch solche, die er in früheren Jahren getragen hatte, soweit sie etwa noch vorhanden wären. Sie wollte alles sehen, was er je auf dem Leibe gehabt hatte, Strümpfe und Hemden, Handschuhe und Mützen.

      An diesem Tag tat man auf Hedeby nichts anderes als nach diesen Sachen suchen. Obgleich Jungfer Spaak seufzte, weil sich Marit nur wie eine gewöhnliche Wahrsagerin mit den üblichen Zauberkünsten benahm, beeilte sie sich doch, aus alten Truhen auf den Dachböden, aus Laden und Schränken alles zusammenzusuchen, was dem Kranken gehört hatte. Die jungen Fräulein, die recht gut darüber Bescheid wussten, was Adrian je getragen hatte, halfen ihr beim Suchen, und so kamen sie bald mit einem ganzen Kleiderbündel zu Marit herunter.

      Marit breitete die Sachen auf dem Küchentisch aus und untersuchte jedes einzelne Stück genau. Ein Paar alte Schuhe legte sie auf die Seite, ebenfalls ein Paar kleine Handschuhe und ein Hemd. Unterdessen murmelte sie eintönig und unablässig: »Ein Paar für die Füße, ein Paar für die Hände, eins für den Körper und eins für den Kopf.«

      »Ich muss noch etwas für den Kopf haben«, sagte sie plötzlich mit ihrer gewohnten Stimme. »Ich brauche etwas, was warm und weich ist.«

      Jungfer Spaak zeigte ihr die Hüte und Kappen, die sie herbeigeholt hatte.

      »Nein, es muss etwas sein, was warm und weich ist«, sagte Marit. »Hatte Baron Adrian nicht auch eine Zipfelmütze, wie andere Jungen?«

      Jungfer Spaak wollte eben sagen, sie habe keine gesehen, die Köchin nahm ihr das Wort vom Munde weg.

      »Ich habe ja seine alte Zipfelmütze heute Morgen auf dem Wandbrett dort gefunden, aber die Jungfer hat sie mir weggenommen.«

      Also musste Jungfer Spaak mit der Zipfelmütze herausrücken, die sie bis ans Ende ihrer Tage als ein teueres Andenken hatte behalten wollen.

      Als Marit die Zipfelmütze bekommen hatte, fing sie wieder mit dem Gemurmel an; jetzt aber hatte ihre Stimme einen andern Ton. Es klang, wie wenn eine Katze vor Vergnügen schnurrt.

      »Jetzt«, sagte Marit, nachdem sie die Mütze in ihrer Hand lange gedreht und gewendet und in sie hineingemurmelt hatte, »braucht es weiter nichts mehr, dies alles aber muss in das Grab des Generals gelegt werden.«

      Als Jungfer Spaak dies hörte, war sie ganz verzweifelt. »Marit, wie kann Sie glauben, der Baron werde das Grab öffnen lassen, um solchen alten Plunder hineinzulegen?«, sagte sie.

      Marit sah sie an und lächelte ein wenig. Sie fasste Jungfer Spaak an der Hand und stellte sich mit ihr so an ein Fenster hin, dass sie allen anderen in der Küche den Rücken zuwendeten. Darauf hielt sie der Jungfer Adrians Mütze vor die Augen und zerteilte mit den Fingern die Fäden der großen Troddel.

      Nicht ein Wort sagte sie, und nicht ein Wort sagte Jungfer Spaak; diese aber war todesblass, als sie sich den anderen wieder zuwendete, und ihre Hände zitterten.

      Marit machte nun aus den ausgewählten Sachen ein kleines Bündel und übergab es Jungfer Spaak.

      »Jetzt hab ich das Meinige getan«, sagte sie. »Nun müsst ihr anderen es einrichten, dass dies hier in das Grab kommt.« Damit ging sie ihrer Wege.

      Am


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