Die Löwenskölds. Selma Lagerlöf

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Die Löwenskölds - Selma Lagerlöf


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dann ist es ja wahr«, flüsterte sie so leise, wie wenn dies ihr letzter Atemzug wäre.

      Sie sah sich nach allen Seiten um. Die Sennhütte stand am Ufer eines Waldweihers, und ringsum erhoben sich düstere bewaldete Bergrücken. Weit und breit war keine menschliche Behausung zu sehen, und es gab niemand, zu dem sie sich hätte flüchten können. Hier herrschte die große, undurchdringliche Einsamkeit.

      Und es war ihr, als stünde dort im Dunkel unter den Bäumen der Tote auf der Lauer, neues Unglück über sie zu bringen.

      Sie war noch ein solches Kind, dass sie die Schande und die Schmach, die die Eltern auf sich geladen hatten, gar nicht recht begreifen konnte; es war ihr, als würden sie alle von einem Gespenst verfolgt, einem unversöhnlichen allmächtigen Wesen aus dem Reich der Toten. Sie erwartete, dieses Gespenst vielleicht schon im nächsten Augenblick vor sich auftauchen zu sehen, und sie bekam solche Angst, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen.

      Sie dachte an den Vater, der nun seit sieben Jahren mit derselben Angst in der Seele herumgegangen war. Jetzt war sie vierzehn Jahre alt, und als der Mellomhof abbrannte, war sie sieben gewesen. Der Vater hatte also die ganze Zeit gewusst, dass der Tote auf der Jagd nach ihm gewesen war.

      Nun durfte er sterben, und das war gut für ihn. – Ingilbert war wieder an der Luke gewesen, jetzt kam er aufs Neue zu ihr zurück.

      »Du glaubst es aber doch wohl nicht, Ingilbert?«, fragte sie mit einem letzten Versuch, die Angst zu verscheuchen. Aber siehe, Ingilberts Hände zitterten, und seine Augen waren starr vor Schrecken.

      »Was soll ich glauben?«, flüsterte Ingilbert. »Vater sagte, er habe mehrere Male nach Norwegen reisen wollen, um den Ring zu verkaufen; aber er habe nie fortkommen können. Das eine Mal wurde er krank, und das andere Mal brach das Pferd ein Bein, gerade als er vom Hof wegreiten wollte.«

      »Was sagt der Propst?«, fragte das Mädchen.

      »Er fragte den Vater, warum er denn den Ring all die Jahre behalten habe, wenn es doch mit so großer Gefahr verknüpft gewesen sei, ihn zu besitzen. Vater aber antwortete, er habe geglaubt, der Rittmeister würde ihn hängen lassen, wenn er ihm seine Tat eingestände. Er habe keine Wahl gehabt, sondern sei gezwungen gewesen, den Ring zu behalten. Jetzt sei er aber am Sterben, und nun wolle er den Ring dem Propst übergeben, damit man ihn dem General in das Grab lege, wir Kinder aber von dem Fluch befreit würden und wieder ins Dorf hinunter ziehen könnten.«

      »Ich bin froh, dass der Propst da ist«, sagte das Mädchen. »Was soll ich nur tun, wenn er wieder fort ist? Ich habe so große Angst. Mir ist, als stehe der General dort drüben unter den Fichten. Bedenke, er ist jeden Tag hier umhergegangen und hat uns bewacht! Und Vater hat ihn vielleicht gesehen.«

      »Ich glaube auch, dass Vater ihn gesehen hat«, sagte Ingilbert.

      Und wieder trat er an die Luke, um zu horchen. Als er zurückkam, hatte er einen andern Ausdruck in den Augen.

      »Ich habe den Ring gesehen«, sagte er. »Vater hat ihn dem Propst übergeben. Er schimmert wie eine Feuerflamme. Er war rot und golden, und er leuchtete geradezu. Der Propst betrachtete ihn und sagte, er erkenne ihn wieder; es sei der Ring des Generals. Geh an die Luke hin, da kannst du ihn sehen.«

      »Eher möchte ich eine Kreuzotter in meine Hand nehmen als diesen Ring sehen!«, rief das Mädchen. »Du meinst doch nicht im Ernst, es sei schön, ihn anzusehen?«

      Ingilbert schaute weg.

      »Ich weiß, er hat uns zugrunde gerichtet«, sagte er; »aber er gefiel mir doch recht gut.«

      Gerade als er dies sagte, ertönte die Stimme des Propstes stark und laut zu den beiden Geschwistern heraus. Bis jetzt hatte er immer den Kranken sprechen lassen. Jetzt war er an der Reihe.

      Es war klar, der Propst konnte natürlich nicht auf all die wilden Reden von der Verfolgung durch einen Toten eingehen. Er versuchte, dem Bauern zu zeigen, dass es die Strafe Gottes war, die ihn treffen musste, weil er das grässliche Verbrechen begangen hatte, einen Toten zu bestehlen. Der Propst wollte durchaus nicht einräumen, der General habe die Macht gehabt, Feuersbrünste oder Krankheit über Menschen und Vieh zu verhängen. Nein, die Unglücksfälle, die Bård getroffen hätten, seien von Gott verhängt worden, um Bård noch bei Lebzeiten zur Reue und zur Rückgabe des gestohlenen Guts zu zwingen, damit seine Sünde ihm vergeben werde und er eines seligen Todes sterben könnte.

      Der alte Bård Bårdsson lag ruhig da und hörte die Worte des Propstes an, ohne eine Einwendung zu machen. Zu überzeugen vermochten sie ihn aber wohl nicht. Er hatte zu viel Schreckliches erlebt, als dass er hätte glauben können, dies alles habe ihm Gott geschickt.

      Und die jungen Menschenkinder draußen, die vor Gespensterfurcht und Geisterspuk zitterten, lebten nun wieder auf.

      »Hörst du?«, sagte Ingilbert und packte die Schwester heftig am Arm. »Der Propst sagt, es ist nicht der General gewesen.«

      »Ja«, antwortete die Schwester. Sie saß mit gefalteten Händen da und sog jedes Wort, das der Propst sagte, tief in ihre Seele ein.

      Ingilbert stand auf. Er atmete heftig und richtete sich gerade auf. Nun war er von seiner Angst befreit. Er sah wie ein andrer Mensch aus.

      Eilig ging er auf die Haustür zu und trat ein. »Was willst du?«, fragte der Propst.

      »Ich will ein paar Worte mit Vater reden.«

      »Geh hinaus! Jetzt rede ich mit deinem Vater«, sagte der Propst streng.

      Er wendete sich wieder Bård Bårdsson zu und redete bald recht streng, bald mild und erbarmungsvoll mit ihm.

      Ingilbert setzte sich, die Hände vors Gesicht geschlagen, wieder auf den Steinblock. Aber eine große Unruhe hatte sich seiner bemächtigt. Er ging aufs Neue in die Hütte hinein und wurde abermals fortgewiesen.

      Als alles vorbei war, war es Ingilbert, der dem Propst den Weg durch den Wald zeigen sollte. Am Anfang ging alles gut, nach einer Weile aber kamen sie an ein mit Balken überbrücktes Moor. Der Propst konnte sich nicht erinnern, beim Herkommen über ein solches gekommen zu sein, und er fragte Ingilbert, ob er ihn nicht irreführe; dieser gab zur Antwort, es sei eine große Abkürzung, wenn sie den Weg über das Moor nähmen.

      Der Propst sah Ingilbert scharf an. Er hatte zu bemerken gemeint, dass der Sohn wie sein Vater vom Golddurst besessen sei. Ingilbert war ja einmal ums andere in die Hütte hereingekommen, als wolle er es verhindern, dass der Vater den Ring weggebe.

      »Du, Ingilbert, das ist ein schmaler, gefährlicher Weg«, sagte er. »Ich fürchte, das Pferd wird auf den glatten Stämmen ausgleiten.«

      »Ich werde das Pferd führen, dann braucht der ehrwürdige Herr Propst keine Angst zu haben«, sagte Ingilbert, und damit griff er auch schon nach den Zügeln des Pferdes.

      Als sie mitten auf dem Moor waren mit nichts als lockerem Schlamm und Moos nach allen Seiten, fing aber Ingilbert an, das Pferd zurückzutreiben. Es sah aus, als wollte er es von dem schmalen Steg abdrängen.

      Das Pferd bäumte sich, und der Propst, der sich nur schwer im Sattel halten konnte, rief seinem Begleiter zu, er solle doch um Gottes willen die Zügel loslassen.

      Ingilbert aber schien nichts zu hören, und der Propst sah, wie er mit düsterem Gesicht und zusammengebissenen Zähnen mit dem Pferd kämpfte, um es in den bebenden Sumpf hineinzutreiben. Es war der sichere Tod für den Reiter und das Pferd.

      Da steckte der Propst die Hand in die Tasche und zog einen kleinen Beutel aus Ziegenleder heraus. Den schleuderte er Ingilbert mitten ins Gesicht.

      Dieser ließ die Zügel los, um den Beutel aufzufangen; dadurch wurde das Pferd frei und raste erschrocken über die Brücke weiter. Ingilbert aber blieb stehen und machte keinen Versuch, ihm zu folgen.

      Fünftes Kapitel

      Nach einem solchen Erlebnis ist es nicht verwunderlich, dass der Propst ein wenig wirr im Kopf war


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