Nikolas Nickleby. Charles Dickens

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Nikolas Nickleby - Charles Dickens


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Madam«, brach Ralph kurz ab und schloß rasch die Türe hinter sich, um jede Fortsetzung des Gespräches zu verhindern. »Also jetzt zu meiner Schwägerin. Na.«

      Dann klomm er eine zweite steile Treppenflucht empor, die mit großem architektonischen Scharfsinn nur aus Eckstufen zusammengesetzt war, und hielt eben an dem Geländer inne, um ein wenig zu verschnaufen, als er von Miss La Creevys Dienstmagd überholt wurde, die seit ihrer letzten Begegnung mit ihm augenscheinlich nicht sehr gelungene Versuche gemacht hatte, ihr schmutziges Gesicht mit einer noch viel schmutzigeren Schürze zu reinigen, und von ihrer höflichen Gebieterin abgeschickt worden war, den Herrn anzumelden.

      »Wie ist Ihr Name?« fragte das Mädchen.

      »Ralph Nickleby.«

      »Mrs. Nickleby, Mrs. Nickleby«, rief das Mädchen und riß die Türe auf. »Mr. Nickleby ist hier.«

      Eine tief in Trauer gekleidete Dame erhob sich, als Ralph ins Zimmer trat, war jedoch augenscheinlich nicht imstande, ihm entgegenzugehen, denn sie stützte sich auf den Arm eines zarten, aber ungemein schönen Mädchens von ungefähr siebzehn Jahren, das neben ihr gesessen hatte. Ein junger Mann, anscheinend ein oder zwei Jahre älter, sprang sofort auf und begrüßte Mr. Nickleby als seinen Onkel.

      »Hm«, brummte Ralph mit einem ungnädigen Stirnrunzeln, »du bist vermutlich Nikolas?«

      »Das ist mein Name, Sir«, erwiderte der junge Mann.

      »Nimm mir den Hut ab«, versetzte Ralph herrisch. »Nun, wie geht's Ihnen, Madam? Sie müssen Ihren Kummer niederkämpfen, Madam; ich mache es auch nie anders.«

      »Der Verlust traf mich so plötzlich und unerwartet«, seufzte Mrs. Nickleby und fuhr sich mit dem Taschentuch über die Augen.

      »Gar nichts Unerwartetes«, murrte Ralph und knöpfte kaltblütig seinen Rock auf. »Familienväter sterben alle Tage und, Madam, Mütter nicht minder.«

      »Und auch Brüder, Sir«, fügte Nikolas unwillig hinzu.

      »Jawohl, Musjö, und auch naseweise Zierbengel und Muttersöhnchen «, bemerkte der Onkel und nahm einen Stuhl. »Sie sprechen sich in Ihrem Brief nicht darüber aus, woran mein Bruder litt, Madam.«

      »Die Ärzte konnten keine besondere Todesursache finden«, sagte Mrs. Nickleby, in Tränen ausbrechend. »Ach, wir haben nur allzuviel Grund zu glauben, daß er an gebrochenem Herzen starb.«

      »Pah«, sagte Ralph, »so etwas gibt es doch gar nicht. Ich kann mir vorstellen, daß sich ein Mensch den Hals bricht oder die Nase, oder den Arm, den Fuß oder den Schädel, aber ein gebrochenes Herz? Dummheiten! Wenn einer seine Schulden nicht bezahlen kann, so stirbt er an gebrochenem Herzen, und seine Witwe gilt als Märtyrerin.«

      »Ich will gern glauben, daß es Leute gibt, denen das Herz nicht brechen kann, weil sie keins haben«, bemerkte Nikolas ruhig.

      »Wie alt, um Gottes willen, ist denn dieser Bursche?« fragte Ralph wütend, drehte sich auf seinem Stuhl um und musterte mit unaussprechlicher Geringschätzung seinen Neffen von Kopf bis zu Fuß.

      »Nikolas geht ins neunzehnte.« »Was, neunzehn?«, fuhr Ralph auf. »Und was gedenkst du anzufangen, um dir deinen Lebensunterhalt zu erwerben, Musjö?«

      »Meiner Mutter will ich unter keinen Umständen zur Last fallen«, rief Nikolas lebhaft.

      »Würdest auch wenig genug zu beißen haben, wenn du das vorhättest«, brummte Mr. Nickleby verächtlich.

      »Wie wenig es auch sein mag«, erwiderte Nikolas zornig, »in keinem Falle werden Sie es wohl vermehren.«

      »Nikolas, Liebling, vergiß dich nicht«, verwies Mrs. Nickleby.

      »Bitte, bitte, lieber Nikolas«, flehte die Schwester.

      »Halt deinen Mund, Musjö«, schimpfte Ralph. »Das ist ja ein recht netter Anfang, Madam. Ein netter Anfang.«

      Mrs. Nickleby entgegnete weiter nichts und bat nur Nikolas durch Gebärden, ruhig zu bleiben. – Onkel und Neffe maßen sich gegenseitig einige Sekunden, ohne ein Wort zu sprechen. Die Züge des Alten waren streng, hart und abstoßend, die des jungen Mannes offen, schön und freimütig. In Ralphs stechenden Augen lag Geiz und Hinterlist, während aus Nikolas' leuchtendem Blick Verstand und Mut sprach. Die Gestalt des jungen Mannes war eher schmächtig, aber männlich und wohlgebaut, und abgesehen von der Frische der Jugend lag in seiner ganzen Haltung etwas, was den Alten in Schranken hielt.

      Wie schreiend auch ein derartiger Gegensatz für den Zuschauer sein mag, so wird er doch nur in seiner ganzen Schärfe und Bitterkeit von dem empfunden, der dabei die Rolle des Tieferstehenden übernehmen muß, und Ralph Nickleby haßte Nikolas von dieser Stunde an.

      Der gegenseitigem Besichtigung wurde endlich durch Ralph ein Ende gemacht, der mit der Miene höchster Geringschätzung seine Augen abwandte und Nikolas einen Knaben nannte. Dieser Ausdruck wird von älteren Personen mit Vorliebe gegenüber jüngeren im Tone des Tadels gebraucht, wahrscheinlich in der Absicht, den Leuten glauben zu machen, daß sie um keinen Preis wieder jung werden möchten, selbst wenn sie es könnten.

      »Nun, Madam«, begann Ralph ungeduldig, »die Gläubiger haben sich das Ihrige geholt, wie Sie mir schrieben, und es ist nichts für Sie übriggeblieben?«

      »Nichts«, antwortete Mrs. Nickleby.

      »Und Sie haben das bißchen Geld, das sie noch besaßen, auf die weite Reise nach London verwendet, um zu sehen, was ich für Sie tun werde?«

      »Ich hoffte«, stotterte Mrs. Nickleby, »daß Sie imstande sein würden, den Kindern Ihres Bruders in ihrem Fortkommen behilflich zu sein. Es war der Wunsch des Sterbenden, daß ich mich an Sie wenden sollte.«

      »Ich weiß nicht, wie es kommt«, brummte Ralph und ging im Zimmer auf und ab, »aber immer, wenn jemand stirbt, ohne selbst etwas zu hinterlassen, so scheint er zu glauben, er hätte ein Recht, über das Vermögen anderer Leute zu verfügen. – Was hat Ihre Tochter gelernt, Madam?«

      »Kate ist gut erzogen«, schluchzte Mrs. Nickleby. »Sag deinem Onkel, mein Kind, wie weit du im Französischen und den anderen Lehrgegenständen gekommen bist.«

      Das arme Mädchen schickte sich an, einige Worte hervorzustottern, aber ihr Onkel fiel ihr unhöflich in die Rede.

      »Wir müssen versuchen, dich als Hilfslehrerin in einer Klosterschule unterzubringen. Du bist doch hoffentlich nicht zu vornehm dafür?«

      »Nein, nein, gewiß nicht, Onkel«, schluchzte das Mädchen, »ich will ja alles tun, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen.«

      »Nun, nun«, lenkte Ralph ein, vielleicht durch die Schönheit, vielleicht auch durch den Jammer seiner Nichte ein wenig besänftigt, »du mußt es eben versuchen, und wenn es dir zu hart ankommt, so geht's vielleicht mit der Kleidernäherei oder mit dem Stickrahmen. Und hast du je etwas gearbeitet, Musjö?« fuhr er seinen Neffen an.

      »Nein«, erwiderte Nikolas unbefangen.

      »Das hätte ich mir denken können. Das ist also die Art, wie mein Bruder seine Kinder erzogen hat, Madam?«

      »Mein armer Mann hat Nikolas so weit herangebildet, als er es selbst vermochte«, versetzte die Witwe, »und er dachte eben ...«

      »In Zukunft etwas aus ihm zu machen«, fiel Ralph ein. »Die alte Geschichte. Immer denken und nie handeln. Wäre mein Bruder ein tätiger und kluger Mann gewesen, so würde er Ihnen ein schönes Vermögen hinterlassen haben, Madam, und hätte seinen Sohn in die Welt hinausgeschickt, wie es mein Vater mit mir machte, als ich noch anderthalb Jahre jünger als dieser Bursche war. Dann würde er jetzt in der Lage sein, Sie zu unterstützen, statt Ihnen zur Last zu fallen und Ihre traurige Lage noch zu verschlimmern. Mein Bruder war eben ein unüberlegter, gedankenloser Mensch, Madam, und gewiß kann das niemand mehr fühlen als Sie selbst.«

      Diese Bemerkung erweckte in der sonst guten, aber äußerst schwachen Frau den Gedanken, daß sie vielleicht mit ihren tausend Pfund doch am Ende eine bessere Partie hätte machen können. Sie ließ ihren Tränen freien Lauf


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