ARKADIA. Bernhard Kempen
Читать онлайн книгу.erklärt. Das Leben auf Arkadia ist zwar ein weiteres Beispiel für das »Xenosys-Phänomen« – die Tatsache, dass die Genetik aller bisher entdeckten außerirdischen Lebensformen erstaunlicherweise genauso wie auf der Erde in DNS- oder RNS-Kettenmolekülen kodiert ist, bestenfalls mit leichten Variationen der Grundstruktur –, aber damit hat sich die Ähnlichkeit auch schon erschöpft. Das bedeutet unter anderem, dass die rein pflanzliche Ökologie des Planeten einfach nicht auf die Verarbeitung von tierischen und somit auch menschlichen Ausscheidungsprodukten vorbereitet ist. Deshalb geben sich die Arkadier große Mühe, ihren biologischen Kreislauf vom Rest des Planeten zu isolieren. Die Einfuhr von tierischen Organismen ist strikt untersagt, und sogar die irdischen Pflanzen, die zur Nahrungsmittelproduktion importiert wurden, sind genetisch so verändert, dass sie ständig mit einem bestimmten Enzym gedüngt werden müssen, das in der arkadischen Natur nicht vorkommt. Falls sich tatsächlich einmal ein Weizenkorn oder ein Apfelkern in die Wildnis von Arkadia verirren sollten, könnten sie dort überhaupt nicht keimen, geschweige denn sich vermehren und die empfindliche Ökologie durcheinanderbringen.
Selbst im Paradies müssen gewisse Vorschriften eingehalten werden. Und es geht auch nicht ohne Bürokratie zu, wie mir anschließend klar wird. Eigentlich ist mein Pflichtprogramm nun beendet, aber Thela hat nichts dagegen, wenn ich bei der Erledigung ihrer Einreiseformalitäten zugegen bin.
Thelas persönliche Daten und ihr Lebenslauf sind zwar schon vor ihrem Abflug per Stringfunk nach Arkadia übermittelt worden, aber Carl fragt ihr trotzdem noch einige Löcher in den Bauch. Das Ganze erinnert mich verblüffend an ein Bewerbungsgespräch, und mir wird bewusst, dass die Arkadier nicht jeden in ihre Gemeinschaft aufnehmen würden. Besonders wichtig scheint ihnen zu sein, dass die Neuankömmlinge ihnen nicht auf der Tasche liegen.
Carl erklärt mir anschließend, dass die Arkadier sehr geschickt mit ihren finanziellen Mitteln haushalten müssen. Schließlich gibt der Planet selbst kaum etwas her, das sich irgendwie vermarkten ließe. Da die ersten Einwanderer zumeist recht gut situiert waren, konnte in den Anfangsjahren eine solide Rückendeckung aufgebaut werden. Das nötige Kleingeld für die unvermeidlichen Importe kommt heutzutage hauptsächlich über die Universität herein, die sich einen bemerkenswerten interstellaren Ruf erworben hat. Die theoretische Forschung konnte im Laufe der Jahre eine Menge von Patenten anhäufen, die einen satten Gewinn abwerfen. Und jeder Arkadier ist verpflichtet, mindestens fünfzig Prozent seines Einkommens an den Gemeinschaftshaushalt abzuführen, was den meisten keine Probleme zu bereiten scheint, da es hier ohnehin kaum möglich ist, sein Geld für irgendwelchen überflüssigen Schnickschnack zu verprassen.
Was Thela betrifft, so ist sie zwar nicht mit Reichtümern gesegnet, aber sie besitzt eine herausragende mathematische Begabung. Habe ich schon erwähnt, dass sie mir während des Herfluges irgendwann zu erklären versuchte, an welchen Stellen sich der gute alte Einstein damals mit seiner Relativitätstheorie verrechnet hat? Ich kann Ihnen diese Erkenntnisse leider nicht weitervermitteln, da ich überhaupt nichts verstanden habe. Aber Thela hat während ihres Studiums in Singapur im zweiten Semester eine Hausarbeit zu diesem Thema aus dem Ärmel geschüttelt! Ich war jedenfalls ziemlich beeindruckt, wozu ihr hübsches kleines Köpfchen imstande ist – vor allem, nachdem wir zuvor eine interessante neue Stellung ausprobiert hatten, von der ich Ihnen bei Gelegenheit unbedingt erzählen muss …
Aber ich möchte nicht abschweifen. Jedenfalls hat Thela die besten Aussichten, zum guten Ruf der arkadischen Wissenschaft beizutragen, wenn sie in ein paar Jahren ihren Doktor gemacht hat. Sie ist sichtlich zufrieden, als Carl uns in die nahe gelegene Klinik begleitet, wo sie sich einem medizinischen Test unterziehen soll.
Auf meine entsprechende Frage erklärt er unterwegs, dass es gar nicht so häufig vorkommt, wie man meinen könnte, dass Einwanderungswillige abgelehnt werden müssen. Die meisten Bewerber sind angeblich sehr intelligent, arbeitswillig, aufgeschlossen und hoch motiviert. Zumindest die letzten beiden Punkte will ich ihm gern glauben. Bislang mussten noch keine Quoten eingeführt werden, da weniger Menschen zu Arkadiern werden möchten, als der Planet verkraften könnte. Den größten Zuwachs erzeugen die Arkadier aus eigenem Antrieb, da sie aufgrund des Lebens in der freien Natur und des Mangels an zivilisatorischen Ablenkungen über eine gesunde Vermehrungsrate verfügen. In den letzten zehn Jahren wurde die etwa einhunderttausendköpfige Bevölkerung durch knapp fünftausend Neu-Arkadier verstärkt. Davon sind etwa eintausendfünfhundert eingewandert, während es in diesem Zeitraum nur siebenundfünfzig Auswanderer gab, von denen die wenigsten auf Arkadia geboren wurden. Carl ist sichtlich stolz darauf, dass vor allem die Kinder kaum daran interessiert sind, Arkadia zu verlassen und sich in das enge Korsett anderer menschlicher Gesellschaften auf der Erde oder einem Kolonialplaneten wie New Terra zu zwängen.
Carl führt Thela in ein Untersuchungszimmer und bittet mich, draußen im Säulengang zu warten. Ich nutze diese Gelegenheit, mir noch einmal alles durch den Kopf gehen zu lassen. Ich muss zugeben, dass mich all diese Informationen eher misstrauisch gestimmt haben. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es den Arkadiern wirklich gelungen ist, eine perfekte Gesellschaft aufzubauen. Nicht dass ich es ihnen nicht gönnen würde, wenn sie sich hier rundum zufrieden fühlen. Aber meine schon berufsmäßig bedingte Skepsis lässt mir einfach keine andere Wahl, als jetzt erst recht die Augen offenzuhalten. Irgendwo muss sich doch ein Wurm im Eierkuchen verbergen …
Als Thelas Untersuchung abgeschlossen ist, steckt Carl den Kopf durch die Tür und bittet mich herein.
»Muss ich mich jetzt ebenfalls sezieren lassen?«, frage ich.
»Natürlich nicht«, erwidert Carl freundlich, »aber ich dachte, du würdest vielleicht gern eine Koryphäe der arkadischen Medizin kennenlernen.«
Ich betrete ein ordentlich eingerichtetes Büro, in dem Thela mit einer jungen Frau plaudert, die hinter einem nierenförmigen Schreibtisch sitzt.
»Wenn ich vorstellen darf«, sagt Carl, »Adrian Ginjeet, unser Besucher von der Erde. Und das ist Doktor Shelley Marock, genannt Rocky.«
»Angenehm«, sage ich.
»Nehmt doch Platz!«, fordert Rocky uns auf. »Die Untersuchung verlief rundum zufriedenstellend. Thela ist kerngesund und wird die Umwandlung zur Arkadierin problemlos verkraften.«
»Kann es dabei zu Problemen kommen?«, hake ich nach, während ich mich auf einem Stuhl vor ihrem Schreibtisch niederlasse.
»Höchstens zu geringfügigen«, wehrt Rocky mit einer lässigen Handbewegung ab. Sie ist eine ausgesprochen hübsche Frau mit einem geradezu klassisch proportionierten Busen, wie ich anerkennend feststellen muss. »Manchmal müssen wir ein paar Gene entkoppeln, bevor wir mit der eigentlichen Behandlung beginnen können. Sonst kann es zu einer anhidrotischen Pseudodysplasie kommen. Schließlich wollen wir vermeiden, dass unserer hübschen Patientin nicht nur die Haare, sondern auch die Zähne ausfallen.«
»Oh Gott!«, ruft Thela entsetzt und schlägt sich die Hand vor den Mund.
»Keine Angst«, beschwichtigt Rocky sie lächelnd. »Wie ich schon sagte, bei dir sind nicht die geringsten Nebenwirkungen zu befürchten.«
»Stimmt es«, fragt Carl, während er sich nachdenklich über die Glatze streicht, »dass es auf der Erde immer noch Männer gibt, die keine Kosten und Mühen scheuen, um etwas gegen ihren natürlichen Haarausfall zu unternehmen?«
»Ja, so etwas soll vorkommen«, antworte ich.
Carl und Rocky lachen sich schlapp.
»Wie ist dein erster Eindruck von Arkadia?«, möchte Rocky von mir wissen, nachdem sie sich wieder gefangen hat.
»Nach allem, was ich bisher gesehen habe, scheint es ein ganz nettes Plätzchen zu sein«, sage ich. »Wenn auch sehr gewöhnungsbedürftig.«
»Aus medizinischer Sicht würde ich dir anraten, dich zumindest oberflächlich anzupassen. Es wird dir guttun, deine irdische Hülle abzustreifen, und sei es nur für die Dauer deines Aufenthalts.«
»Es ist schon so schwer genug für mich, den Kulturschock zu verkraften.«
»Ich stehe dir jederzeit zur Verfügung, falls du es dir