Das schwarze Herz. Armin Öhri

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Das schwarze Herz - Armin Öhri


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anzumerken.

      »Angenommen, die Zeiger haben sich gedreht«, warf er ein, »und angenommen, die Uhr ist einfach früher schon stehen geblieben – sagen wir mal: vor zwei Tagen oder vor einer Woche, was weiß ich?«

      »Ihre Skepsis ehrt Sie«, entgegnete Horlitz. »Rein mathematisch gesehen müssen wir diese Varianten ausschließen, da ansonsten eine Rechnung oder auch eine Kalkulation der Wahrscheinlichkeit, oder wie immer man das auch nennen mag, vollends überflüssig wäre.«

      Dem Tatortzeichner schwirrte der Kopf.

      Was, wenn die Uhr gar nicht exakt lief? Oder wenn sie bereits vorher falsch justiert gewesen war? Wenn sie vor- oder nachging? Er wollte zu einer zweiten Entgegnung ansetzen, als der Kommissar, der seine Gedanken zu lesen schien, abwehrend die Hand hob und mit gutmütiger Stimme sprach: »Lassen Sie das, Julius! Es ist alles eine Frage der deduktiven Logik. Warten wir doch einfach ab, wie sich die Sache entwickelt. Alles andere wäre müßig.«

      Gedankenverloren lehnte sich Julius Bentheim in seinem Sessel zurück. Wenn der Hausdiener sie über den Zeitpunkt des Mordes belogen hatte, so stellte sich unausweichlich die Frage, welchen Nutzen er sich davon erhoffte.

      »Wir haben also den Mörder gefunden«, sagte Bentheim mehr zu sich selbst, als ihn Horlitz auch schon unterbrach.

      »Sehen Sie die Sache nicht so engstirnig, Julius. Die Tatsache, dass der Diener uns falsch informiert hat, beweist noch lange nicht, dass er auch der Täter ist.«

      Empört hob Julius den Kopf. »Nun hören Sie doch! Der reiche Herzog wird ermordet. Keiner der Nachbarn will etwas gehört oder gesehen haben. Und schließlich belügt uns der kauzige Diener auch noch offensichtlich. Da muss man doch nur eins und eins zusammenzählen, um auf die Lösung zu kommen. Der Kerl gehört ins Gefängnis!«

      »Nicht so ungestüm, junger Freund«, besänftigte der Kommissar das aufbrausende Naturell seines Tatortzeichners. »Die Dinge sind meistens nicht so, wie sie zu sein scheinen. Zugegeben, alles spricht gegen den Diener. Doch haben Sie nicht seine zitternden Handbewegungen gesehen? Glauben Sie wirklich, dieser schwache, wahrscheinlich von der Schüttellähmung befallene Mann hätte den Safe mit wohlplatzierten Schüssen öffnen können? Ich bin überzeugt, dass dieser alte Herr nie dazu imstande gewesen wäre, die Pistole auch nur annähernd gerade zu halten. Nein, Julius, der Diener ist nicht der Täter.«

      »Aber weshalb sollte er den tatsächlichen Mörder decken?«

      »Eben das herauszufinden, wird unsere nächste Aufgabe sein«, meinte Horlitz, wobei in seiner Stimme ein enthusiastischer Unterton mitklang, der stets zu hören war, sobald sein Spürsinn geweckt oder zumindest gereizt worden war. Er sah zur Bürodecke hoch und schwelgte für kurze Zeit in Gedanken, bevor er sich brüsk an Bentheim wandte und mahnend sprach: »Überlegen Sie das nächste Mal, bevor Sie jemanden verdächtigen. Ich mag Ihnen ein warnendes Beispiel anführen, wenn Sie gestatten?«

      Bentheim seufzte geschlagen, während der Kommissar, den diese ostentative Missbilligung überhaupt nicht störte, fröhlich zu seinen Ausführungen ansetzte: »Einer meiner ersten Fälle drehte sich um die Entführungsaffäre Schadow«, erzählte er im Plauderton. »Sie haben den Namen vermutlich schon einmal gehört. Emil Schadow. Ein angesehener Mann aus der Oberschicht. Preußischer Junker, wie er im Buche steht. Dieser Schadow also wurde eines Tages auf offener Straße verschleppt – direkt vor dem Haupteingang zum Zoologischen Garten. Ein Einzeltäter hielt den Junker mehrere Tage gefangen, ohne dass es der Gendarmerie gelang, dem Kriminellen auf die Spur zu kommen. Der Entführte saß die ganze Zeit mit verbundenen Augen auf einem Stuhl. Niemals bekam er seinen Peiniger zu Gesicht. Man gab ihm zwar zu essen, doch sein Sitzfleisch wurde arg strapaziert, wie Sie sich leicht vorstellen können. Als der Entführer ein hohes Lösegeld forderte und dieses von der Familie des Opfers auch überreicht bekam, erhielten wir eine Nachricht, wo Schadow aufzuspüren war. Wir fanden ihn schließlich gefesselt und geknebelt in einem verlassenen Lagerhaus in der Gartenstraße vor dem Hamburger Tor. Damals war das noch eine übel beleumdete Gegend, voll mit Ganoven, Huren und zugezogenen Arbeitern. Wenige Tage später verhafteten unsere Leute einen einschlägig vorbestraften Halunken, der zu den üblichen Verdächtigen gehörte. Immer wieder war der Mann durch Einbrüche und Gewalttaten aufgefallen und besaß für die Tatzeit überdies kein hieb- und stichfestes Alibi. Eine klare Sache, dachten sich die Leute von der Ermittlung und wollten die Affäre schon ad acta legen. Zum Glück des Delinquenten war ich bei einem der Verhöre anwesend, woraufhin er aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Wissen Sie auch, wieso?«

      Unisono verneinten Bentheim und Krosick.

      »Weil ich den Mann mit einem Seil einen Knoten machen ließ.«

      »Einen Knoten?«, wiederholte Albrecht verblüfft. »Ich glaube, ich verstehe nicht ganz.«

      »Der Mann war sichtlich nervös. Natürlich. Das ganze Verhör hindurch fuhr er sich mit der linken Hand durch die Haare oder kratzte sich an der Nase. Das brachte mich auf eine Idee. Ich gab dem Strolch ein Seil und befahl ihm, einen Knoten zu machen. Das Ergebnis war der Knoten eines Linkshänders. Die Schlingen und Verknüpfungen jedoch, mit denen das Opfer gefesselt gewesen war, waren die Knoten eines Rechtshänders gewesen. Der Verdächtige konnte unmöglich der Entführer sein. Wir mussten den Mann also laufen lassen. Der Teufel liegt im Detail. Ich hoffe, Sie haben etwas aus dieser Anekdote gelernt, meine Herren.«

      So sprach er und setzte endlich die Tasse Tee an die Lippen.

      Drittes Kapitel

      Am Abend dieses denkwürdigen Tages sahen sich Albrecht und Julius bemüßigt, den Mordfall für einige Zeit Mordfall sein zu lassen und in die schillernde Welt der preußischen Gesellschaft einzutauchen. Die Markgräfin Dorothea von Sternau, eine ebenso vermögende wie schrullige alte Jungfer, hatte die Schönen und Reichen zu einer Soiree auf ihren Landsitz geladen. Anlass zur Feier gab der Geburtstag ihrer Schoßhündchen, zweier kleiner und verwöhnter Promenadenmischungen, welche die ehrenwerte Dame vor einigen Jahren beim Prenzlauer Tor aufgelesen hatte. So exzentrisch und verschroben der Grund für dieses fröhliche Beisammensein auch war – den beiden Freunden war es einerlei; sie nutzten die Gunst der Stunde, um Beziehungen zum Hochadel zu knüpfen.

      Die Huld ihres Besuches in diesem ausgewählten Zirkel lag in einem äußerst delikaten Fall begründet, den Julius und Albrecht einst mit Bravour und zur völligen Zufriedenheit der alten Gräfin gelöst hatten: Sternaus Liebesbriefe waren verschwunden gewesen. Diener und Hausgesinde wurden verdächtigt. Die adlige Herrin beschuldigte Sekretäre und Köche, Diebe der verfänglichen Korrespondenz zu sein. Sie verstieg sich gar so weit, Spione und ausländische Kriminelle für das Verschwinden ihrer amourösen Zeilen verantwortlich zu machen.

      Da ihm seine Zeit zu kostbar war, um sie mit derartigen Belanglosigkeiten zu vertrödeln, übergab Kommissar Horlitz den Fall seinen zwei Adepten. Diese fassten die Gelegenheit beim Schopf. Binnen weniger Stunden hatten Albrecht und Julius den ganzen Sachverhalt entwirrt, und die Lösung hatte ihre Ursache in einem ganz profanen Umstand: Gräfin Dorothea, die vergessliche Jungfer, hatte schlicht und einfach die Briefe verlegt. Sie steckten als Lesezeichen in einem Buch, das Julius in ihrer Bibliothek auf der Lesekommode fand – pikanterweise in Abbé Prévosts unrühmlicher Geschichte des Chevaliers des Grieux und der Manon Lescaut. Die Ausgabe war völlig zerlesen und ihre erotischsten Stellen mit roter Tinte umrandet.

      Wie dem auch sei, jedenfalls quetschten sich die zwei Freunde gegen acht Uhr abends zwischen geparkten Kutschen und Droschken hindurch, bis sie vor dem schmiedeeisernen Eingangstor der Villa Sternau standen, und zeigten einem der Türsteher, die man in lächerliche silberne Fantasie-Uniformen gesteckt hatte, ihre mit Blattgold umrandeten Einladungen.

      Der Diener begutachtete die krakelige Handschrift seiner Herrin, blickte Julius leicht irritiert an und reichte ihm die Karte wortlos zurück. Der Tatortzeichner lächelte sinnig, denn er wusste um den kuriosen Inhalt des Textes:

      Ich werde tunlichst darauf achten, dass die Luft in meinem Salon Ihren kriminellen Spleen verscheuchen wird.

      Herzlichst, Ihre Gräfin D.

      Es erübrigte sich zu sagen, dass der Unterschied


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