Aus der Sicht der Fremden. Maria von Hall
Читать онлайн книгу.Kindern, die aus verschiedenen Ländern stammten und auch wie sie erst Deutsch lernen mussten, in einem Internat untergebracht. Das Leben unter einem Dach mit den fremden Kindern hat sich nicht gerade erfreulich gestaltet, deswegen wollte sie unbedingt zurück.
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Nach fünf Jahren Wartezeit hat sich im Jahre 1973 die Wohnungsgemeinschaft in Tychy bei mir gemeldet. Man hatte mich schriftlich informiert, dass ich eine Wohnung zugeteilt bekommen sollte und gratulierte mir sogar zu diesem Ereignis. Nachdem ich die gute Nachricht erhalten hatte, bin ich eines Tages nach Tychy gefahren und habe mich bei der Wohnungsgemeinschaft gemeldet. Diesmal hat mich eine andere Dame empfangen. Sie gab mir den Schlüssel und die Adresse der zugeteilten Wohnung und erklärte mir den Weg zu der Siedlung D, in der sie sich befand. Das Hochhaus habe ich gleich gefunden. Die Wohnung befand sich im achten Stock. Ich öffnete sie mit klopfendem Herzen und bin ganz erschrocken im ersten Zimmer stehengeblieben. Die Wohnung hatte denselben Grundriss und dieselbe Größe von 35 Quadratmetern wie die in Laziska Gorne. Außerdem habe ich festgestellt, dass an der längsten Wand im ersten Zimmer der Heizkörper in der Mitte der Wand befestigt worden war. Noch dazu war die Miete viermal höher als meine bisherige. Sehr enttäuscht bin ich in die Wohnungsgemeinschaft Oskard zurückgekommen, habe den Schlüssel abgegeben und gesagt, dass ich dazu bereit bin, weitere Jahre abzuwarten, bis man vernünftige Wohnungen in der Stadt bauen wird. Die Dame sagte daraufhin nichts – sie wusste genau, was für eine Wohnung man mir angeboten hatte. Die Sache war für mich vorläufig erledigt.
Die folgenden Jahre, die mit Pflicht und ständiger Arbeit erfüllt waren, gingen schnell vorbei, aber ich hatte auch viel Zeit zum Nachdenken. Ich habe mir einen Plan zurechtgelegt, um unsere Wohnsituation zu verbessern. Es ging darum, wie ich meine zukünftige Wohnung in Tychy annehmen und dabei gleichzeitig die in Laziska Gorne behalten konnte. In meiner Stadt hat nur die Grube „Boleslaw Smialy“ ein paar Häuser bauen können, weil sie den Bau für die Bergmänner auch finanzieren konnte. Die Stadt selbst war arm und konnte keine Häuser bauen. Meine ältere Tochter war erst vierzehn Jahre alt und ich war dazu bereit, die nächsten vier Jahre, bis sie volljährig wurde, abzuwarten. Diese beiden Tatsachen habe ich in meinen Plan eingebaut. Ich war überzeugt davon, dass dies mir bei der Durchführung meines Planes behilflich sein würde. Als es dann so weit war und meine Tochter volljährig war, bin ich eines Tages in das Rathaus im Ort gegangen. Ich habe aber nicht die Wohnungsabteilung aufgesucht, sondern im Sekretariat um ein persönliches Gespräch mit dem Bürgermeister gebeten. Dieser hat mich freundlich empfangen und auch mein Anliegen geduldig angehört. Sein freundliches Verhalten mir gegenüber hat mir mein Vorgehen sehr erleichtert und am Schluss rückte ich mit meiner gut überlegten Frage heraus: „Ich möchte Sie fragen, ob Sie mir eine größere Wohnung geben können. Wie gesagt, meine beiden Töchter sind fast erwachsen und wir treten uns schon auf die Fersen, so klein ist meine Wohnung für uns drei.“ Seine Antwort überraschte mich nicht, ich hatte sie erwartet! Ich wusste, was er sagen würde, weil die Stadt doch keine Wohnungen zur Verfügung hatte. Ich habe diese Antwort in meinem Plan eingebaut. Er sagte mir also, dass er mir leider keine größere Wohnung geben könne, weil er keine hatte. Mir ging es nur darum, dass der Bürgermeister sich an mich und unser Gespräch erinnern würde, wenn ich später nochmal wegen meines Anliegens zu ihm kommen würde. Ich habe dann bewusst zwei Monate abgewartet, dann wieder das Sekretariat des Bürgermeisters aufgesucht und erneut um ein persönliches Gespräch mit ihm gebeten. Er hat mich wieder sehr freundlich empfangen. In seinem Gesicht konnte ich aber eine Frage ablesen. Deswegen fragte ich ihn auch gleich, ob er sich an mich und mein Anliegen erinnerte. Natürlich hat er das. Alles ist nach meinem Plan weitergelaufen und ich richtete meine nächste Frage an ihn: „Wenn ich eine Lösung für mein Problem finden würde, würden Sie mir dabei helfen?“ „Aber natürlich“, sagte er sofort und überraschend für mich. Ich war gerettet! Mein Plan hatte funktioniert! Und ich fragte ihn weiter: „Wenn ich zum Beispiel mit der jüngeren Tochter in eine andere Stadt umziehen würde, wären Sie dann dazu bereit, die kleine Wohnung meiner volljährigen Tochter zuzuteilen? Damit wäre uns sehr geholfen.“ Der Bürgermeister sagte nach ein paar Sekunden höflich: „Legen Sie Ihre Wohnungssituation schriftlich dar und geben Sie das Schreiben bei unserem Juristen in der Rechtsabteilung ab. Er ist schon über Ihren Fall informiert.“ „Das ist ja ein Ding“, dachte ich überrascht. Ich bedankte mich sehr für seine Freundlichkeit und das Entgegenkommen und ging zufrieden nach Hause zurück. Trotzdem war ich überrascht, dass mein Plan geklappt hatte.
Nachdem meine ältere Tochter problemlos unsere kleine Wohnung zugeteilt bekommen hatte, bin ich nach den weiteren vier Jahren nach Tychy gefahren und habe die Wohngesellschaft wieder aufgesucht. Meine Akte war nach so vielen Jahren nicht leicht zu finden. Man hatte sie in drei Büros gesucht und vorläufig nicht gefunden. Dann hatte sich eine Angestellte gefunden, die sich an meinen Fall erinnerte und schließlich hat diese meine Akte in einem Schreibtisch in der untersten Schublade gefunden. Die nette Dame hat sich meine Akte genau angeschaut und vor allem geprüft, wie lange ich schon auf die Wohnung gewartet habe. Dann fragte sie mich freundlich, warum ich die vor vier Jahren angebotene Wohnung nicht angenommen habe und ich konnte ihr jetzt den Grund erklären. Daraufhin habe ich erfahren, dass schon seit Jahren schönere und größere Wohnungen in der Stadt gebaut wurden und dass sie mir jetzt wegen der langen Wartezeit von neun Jahren zwei Wohnungen zur Auswahl geben würde. Ich war überrascht und freute mich, dass sie mir so freundlich entgegenkam. Ihre Haltung mir gegenüber machte mich einfach glücklich.
Die zwei Wohnungen befanden sich in der Siedlung mit dem Buchstaben W, die weit vom Zentrum der Stadt und auch von der Wohngesellschaft entfernt lag. Ich musste den Bus nehmen. Beide waren überraschend groß, sehr schön und trotz Erdgeschoßlage sehr hell. Nachdem ich mich für eine Wohnung entschieden hatte, fuhr ich zur Wohngesellschaft zurück.
Da ich diese nun endlich annehmen musste und auch wollte, bekam ich noch an diesem Tag die Zuteilung in die Hand. Da sagte ich mit Bedauern, dass ich doch lieber in der Stadt Mikolow als in Tychy gewohnt hätte. Kaum hatte ich das ausgesprochen, kam die nächste frohe Überraschung. Die Dame sagte nämlich gleich, dass in der Stadt Mikolow auch gebaut wurde. Es wurden gerade eben noch zwei Häuser fertig gebaut und verteilt. „Dort könnten Sie nachfragen, ob jemand die Wohnung mit Ihnen tauschen möchte.“ Das war die perfekte Lösung für mich! Das war tatsächlich ein Glücksfall für mich, weil die Wohnungen zwar zugeteilt worden, aber die künftigen Bewohner noch nicht eingezogen waren. Die nette Dame gab mir die Adresse der Wohngesellschaft in Mikolow und ich habe auf meinem Rückweg nach Hause auch gleich diese aufgesucht. Hier ging es problemlos weiter. Ich bekam die Adresse von einem jungen Ehepaar, das in einem der neu gebauten Häuser in Mikolow eine Zweizimmerwohnung zugeteilt bekommen hatte und lieber in Tychy gewohnt hätte. Ich habe mich sofort mit den jungen Menschen in Verbindung gesetzt und als sie meinen Vorschlag über den eventuellen Umtausch der Wohnungen hörten, waren sie sofort dazu bereit, sich meine Wohnung in Tychy anzuschauen. Ich hatte also wieder Glück. Sie gefiel ihnen sofort und sie haben sich gleich dazu entschieden, sie anzunehmen. Sogar die Lage der Wohnung in der Siedlung W hat den jungen Menschen entsprochen. Nach so vielen Jahren und Strapazen konnte ich mein Wohnungsdilemma endlich lösen. Auch meine ältere Tochter war zufrieden, dass sie jetzt unsere kleine Wohnung in Laziska Gorne für sich alleine nutzen durfte. Nach dem Abitur hat meine Tochter eine Stelle in der Universitätsbibliothek in Katowice angenommen und somit konnte sie schon auf eigenen Beinen stehen. Alle waren zufrieden!
Im Jahre 1979 bin ich dann von Laziska in die schöne und ruhige Stadt Mikolow umgezogen. Meine jüngere Tochter war damals 16 Jahre alt. Unsere neue Wohnung befand sich im zweiten Stock eines vierstöckigen Hauses, das sich an der Hauptstraße befand, die nach Tychy führte, und aus Betonplatten gebaut worden war. Zum Zentrum hatten wir nur 15 Minuten zu Fuß. Wir alle hätten Grund gehabt, zufrieden zu sein, wenn sich die politische und vor allem die wirtschaftliche Lage im Lande nicht so rapide verschlechtert hätte.
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Ein paar Monate später reichte das Geld plötzlich nicht mehr zum Leben. Die Lebensmittelpreise stiegen in kürzester Zeit und meine Rente, die ich aus gesundheitlichen Gründen seit Jahren bezogen hatte, reichte plötzlich nur noch für die ersten beiden Wochen im Monat. Die teuerste Ware in den Achtzigerjahren waren eben die Lebensmittel geworden. Nicht nur mir hat die Rente nicht gereicht, sondern auch den Arbeitern und