Die Frauen von Janowka. Helmut Exner

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Die Frauen von Janowka - Helmut Exner


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Glück und Unglück beieinander. Ziemlich betrübt trat sie den Heimweg an. Es hatte ihr weh getan, die Mutter weinen zu sehen. Und Justinas Krankheit lag ihr wie ein Stein auf dem Herzen. Serafine grübelte vor sich hin. Sie hatte ein ganz besonderes Verhältnis zu ihrer Schwester Justina. Die beiden konnten sich schon als kleine Mädchen verständigen, ohne zu sprechen. Oft hatten sie sich einen Spaß daraus gemacht, die Gedanken der anderen zu erraten. Später ging es so weit, dass die eine wusste, wenn die andere in Not war. Und als Justina dann heiratete und wegzog, vereinbarten die beiden Schwestern, dass sie sich »Bescheid geben« würden, wenn etwas »passiert«. Mehr Worte bedurfte es nicht. Es war beiden klar, wie das geschehen und dass es auch funktionieren würde.

      Als sie zu Hause ankam, war Abendbrotzeit. Serafine schnitt das frische Brot, das ihre Mutter ihr mitgegeben hatte, stellte Schmalz, Wurst, Käse und Gurken auf den Tisch und rief Friedrich herein, der mit dem Melken fertig war.

      Nach dem Tischgebet sagte Serafine: »Ich glaube, ich gehe heute ins Bethaus zur Chorprobe. Eigentlich habe ich gar keine Lust bei diesem herrlichen Wetter. Aber ich muss auf andere Gedanken kommen.«

      »Warum, reicht es nicht, wenn du an mich denkst?«

      »Ich fürchte, das reicht heute wirklich nicht. Meiner Schwester geht es schlechter. Ich habe ein ganz übles

      Gefühl.«

      »Dann geh mal singen. Ich genehmige mir ein Bad im Fluss, und hinterher probiere ich mal das Bier, das du gebraut hast.«

      Angesichts des warmen Sommerabends, an dem sich normalerweise viele Leute lieber im Garten von der harten Arbeit des Tages ausruhten, war das Bethaus gut besucht. Etliche Frauen, aber nur ein paar Männer aus dem Dorf, zwei Frauen aus Solomiak und die junge Ukrainerin, die den Sommer über bei Nachbarn wohnte und arbeitete, waren da. Chorleiter war der Küster. Gesungen wurden deutsche, russische, ukrainische und polnische Volkslieder. Jeder Sänger hatte ein handgeschriebenes Liederbuch mit den Texten. Da nur wenige Noten lesen konnten, machte sich kaum jemand die Mühe, die Noten vom Blatt des Küsters zu übertragen.

      Inzwischen hatte Gottlieb seinen Bruder Friedrich abgeholt, um mit ihm zum Fluss zu gehen. Um den Abend so richtig genießen zu können, hatte jeder zwei Flaschen von Serafines Bier mitgenommen.

      »So lässt sich´s leben«, sagte Friedrich. Die beiden Männer saßen auf den großen Steinen am Fluss und hatten jeder bereits die zweite Flasche Bier in Angriff genommen. Ihre Kleidung hatten sie noch nicht wieder angelegt. Da nur selten Alkohol getrunken wurde, zeigte das Bier seine Wirkung. Die beiden wurden immer lustiger und leutseliger. Dann watete Gottlieb in den halb ausgetrockneten Fluss und bewarf Friedrich mit einer Handvoll Schlamm.

      »Verflucht! Das kriegst du wieder!« Er rannte hinter Gottlieb her und tat sein Bestes, ihn ebenfalls mit Schlamm zu bewerfen. Am Ende sahen beide aus wie Gespenster von einem anderen Stern.

      »Schlamm ist gesund«, meinte Friedrich und bepackte sich noch zusätzlich damit, bis nur noch die Augen aus der grau-braunen Pampe hervorlugten. Gottlieb tat es ihm gleich. »So müsste Serafine uns sehen. Das wär´ doch mal eine Sache. Stell dir vor, sie kommt ins Haus und wir stürzen brüllend die Treppe runter«, meinte Friedrich.

      Die beiden konnten sich kaum halten vor Lachen und schritten zur Tat. Als sie das Haus erreichten, war der Schlamm auf ihren Körpern bereits eingetrocknet. Da Serafine gleich vom Singen nach Hause kommen musste, versteckten die beiden Männer sich oben. Es dauerte nicht lang, bis sie hörten, dass jemand die Haustür öffnete. Langsam und mit furchterregend animalischen Geräuschen kamen erst Friedrich und dann Gottlieb die Treppe herunter. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie merkten, dass in der Küche neben Serafine auch Mutter Christine sowie die Frau des Küsters standen und nicht glaubten, was sie sahen. Zuerst fing die Küstersfrau hysterisch zu schreien an, dann zog Serafine nach. Christine war die erste, die merkte, dass es sich nicht um Ungeheuer handelte, sondern um ihre Söhne.

      »Ihr Wahnsinnigen!« rief sie.

      Serafines Schreien ging in ein glucksendes Lachen über, während die Küstersfrau rief: »Ihr verflixten Kerle! Man sollte euch verprügeln. Ich wäre fast gestorben. Und außerdem, nackt vor Frauen herumzulaufen. Schämt euch!«

      »Aber wir haben doch Schlammanzüge an«, prustete Friedrich, der vor Lachen kaum atmen konnte.

      »Raus mit euch; geht euch waschen und zieht euch an!« meldete sich Christine in einer Mischung aus Entrüstung und Lachkrampf zu Wort. »Ich werde eurem Vater sagen, dass er euch verdreschen soll.«

      »Das wird er wohl kaum tun. Wenn er gewusst hätte, was wir hier für Spaß haben, hätte er bestimmt mitgemacht,« rief Gottlieb, während er zur Hintertür rauslief.

      Und so war es. Als Christine und Gottlieb ihm später von der Aktion berichteten, meinte Karl zu seinem Sohn: »Warum habt ihr mir nicht Bescheid gesagt, was ihr vorhabt? Ich hätte etwas dafür gegeben, das dumme Pferdegesicht der Küsterin zu sehen.«

      »Sie ist so eine nette Frau«, sagte Christine.

      »Ich behaupte ja nicht, dass sie keine nette Frau ist. Aber sie hat ein Gesicht wie eine Stute beim Decken.«

      »Karl, oh Karl, du wirst dich in deinem Leben nicht mehr ändern. Es ist völlig klar, woher deine Söhne diese Verrücktheiten haben. Als ob es nicht reichen würde, mit so einem Mann gestraft zu sein, muss ich auch gleich noch zwei Söhne bekommen, die dein exaktes Ebenbild sind.«

      Und da Karl immer das letzte Wort haben musste, antwortete er: »Ja, den seinen gibt´s der Herr im Schlaf.« Und nach einen kurzen Pause: »Manchmal auch im Beischlaf.«

      Nun verschlug es Christine die Sprache, während Gottlieb in sich hinein gluckste.

      Später, als das junge Ehepaar im Bett lag, kicherte Serafine immer noch, und Friedrich brach ab und zu in schallendes Gelächter aus.

      »Bring mich bloß nicht mehr derart zum Lachen, Friedrich. Das ist nicht gut in meinem Zustand. Mir tut der Bauch immer noch weh.«

      Jetzt war es raus. Friedrich sprang aus dem Bett und brüllte: »Was?«

      »Ich glaube, ich bin schwanger. Meine Blutung ist schon zum zweiten Mal ausgeblieben. Und meine Mutter hat mir auf den Kopf zugesagt, dass ich schwanger bin.«

      »Das ist ja wunderbar. Ich werde Vater.«

      »Ja, Vater einer Tochter.«

      »Ich habe nichts gegen Töchter. Vor allem, wenn sie so sind wie du.«

      »Oh, du willst schon wieder Süßholz raspeln.«

      »Natürlich. Allerdings hätte ich auch nichts gegen einen Sohn einzuwenden. Aber wir sind ja erst am Anfang unserer Bemühungen. Wir können noch jede Menge Kinder haben. Das Schönste bei der ganzen Sache ist wahrscheinlich ohnehin der Versuch, welche zu machen.«

      »Heute brauchen wir es allerdings nicht mehr zu versuchen. Es hat ja schon geklappt. Am besten, wir versuchen jetzt, zu schlafen.«

      »Schade. Aber morgen ist ja auch noch ein Tag – und eine Nacht.«

      Serafine hatte keine gute Nacht. Mehrmals wurde sie von schlechten Träumen aus dem Schlaf gerissen. Sie konnte sich zwar nicht recht erinnern, aber es drehte sich alles um ihre Schwester.

      Der nächste Tag wurde wieder heiß. Serafine und Friedrich waren auf dem Feld und wendeten das Heu. Auf dem Nachbarfeld waren Gottlieb und seine Mutter mit der gleichen Arbeit beschäftigt.

      »Ich hoffe, morgen kommen die Ukrainer, damit wir das Heu einfahren können«, sagte Friedrich.

      Jedes Jahr kamen ukrainische Landarbeiter ins Dorf, um den Bauern zu helfen, die ihre Arbeit, besonders zur Erntezeit und beim Heumachen nicht allein bewältigen konnten.

      »Die werden schon kommen. Aljoscha hat zugesagt, dass er mit seinen beiden Jungen kommt. Seine Frau kann ja nicht mehr in ihrem Zustand.«


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