150. Die fälsche Braut. Barbara Cartland
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Die fälsche Braut
Barbara Cartland
Barbara Cartland E-Books Ltd.
Vorliegende Ausgabe ©2021
Copyright Cartland Promotions 1985
Gestaltung M-Y Books
I
Die Queen erhob sich und reichte dem Prinzgemahl die Hand.
Sir Rupert unterdrückte ein Gähnen.
Es war ein langweiliger Abend gewesen - wie immer im Buckingham-Palast. Er fragte sich, was jemand an diesen sich endlos hinziehenden Empfängen finden konnte, und dachte, daß Ihre Majestät vielleicht der einzige Mensch war, der diese Orgie an Steifheit und Förmlichkeit wirklich genoß.
Die Königin lächelte gnädig, während sie sich anschickte, durch das Spalier der Gäste langsam und würdevoll den Thronsaal zu verlassen.
Ein Knistern von Seide, Satin, Taft und Tüll erfüllte die Luft, als die Damen in einem tiefen Hofknicks niedersanken. Orden und Ehrenzeichen blitzten im Schein zahlreicher Kerzen, als die Häupter der Herren sich respektvoll verneigten.
Nun wird es bald vorüber sein, dachte Sir Rupert und verspürte plötzlich das unwiderstehliche Verlangen, den überhitzten Raum mit seiner pompösen Gespreiztheit und der gezwungen fröhlichen Atmosphäre zu verlassen.
Aber Ihre Majestät schien keine Eile zu haben.
Sie hielt eine Weile bei Lord John Russell, dem Premierminister, dann lächelte sie Lord Grey, dem Kriegsminister huldvoll zu und wechselte mit ihm einige Worte. Der Prinzgemahl, ganz Ernst und Würde, nutzte die Zeit zu einer Bemerkung an Mr. Grenville, die dieser ohne Zweifel in seinem berühmten Tagebuch verewigen würde.
Endlich setzte sich der königliche Zug wieder in Bewegung. Sir Rupert war schon im Begriff, den Kopf zu neigen, als er zu seiner Überraschung feststellte, daß die Königin die Absicht hatte, ihn anzureden.
Er blickte auf sie nieder, und wieder stellte er mit Erstaunen fest, welch eine Aura von Würde und Autorität die kleine Person ausstrahlte. Es war unmöglich, sich dem zu entziehen und von ihr nicht beeindruckt zu sein.
An diesem Abend lächelte sie heiter, ihre Augen strahlten, und es war offensichtlich, daß sie den Empfang rundherum genossen hatte. Dabei gab es andere Gelegenheiten, bei denen dieser Mund einen harten, eigensinnigen Zug annahm und die Augen vor Zorn und Verachtung funkelten.
»Es ist nett, Sie hier zu sehen, Sir Rupert«, sagte die Königin mit ihrer klaren, wohlklingenden Stimme, die seltsamerweise einen Ton tiefer klang, als man es bei einer so zierlichen Person erwartete.
»Danke, Ma'am«, murmelte Sir Rupert.
»Aber beim nächsten Mal«, fuhr die Königin fort, »würden wir uns freuen, an Ihrer Seite - Ihre Gemahlin begrüßen ... zu können.«
Eine Erwiderung hierauf blieb Sir Rupert schuldig.
Seine Verblüffung war zu groß. Einen Augenblick lang glaubte er, nicht richtig gehört zu haben. Dann - noch bevor er sich durch ein Neigen seines Kopfes für die fragwürdige Ehre, die ihm zuteil geworden war, zu bedanken vermochte - war Ihre Majestät bereits weitergegangen. Die Woge der zu Boden sinkenden Damen und sich verneigenden Herren bewegte sich weiter auf die doppelflügelige Eichentür zu.
Sir Rupert stand wie erstarrt.
Einen Moment lang hatte er tatsächlich das Gefühl, als wäre sein Hirn gelähmt, als wäre er außerstande, die Tragweite des Gesagten auch nur annähernd zu begreifen.
Dann öffneten die rotlivrierten, goldbetreßten Lakaien die Flügel der großen Saaltür, und der königliche Zug mit den diensttuenden Würdenträgern, Kammerherren und Hofdamen verschwand aus Sir Ruperts Blickfeld. Lautes Stimmengewirr brandete auf, und der Schock, der ihn befallen hatte, begann zu weichen.
Der Lärm im Saal schien Orkanstärke anzunehmen, die Versammlung gab die Zurückhaltung auf, deren sie sich drei lange Stunden über befleißigt hatte. Sir Rupert wußte plötzlich, daß er gehen mußte, wenn er es vermeiden wollte, von den Umstehenden mit Fragen bedrängt werden.
Es würde eine Sache von Sekunden sein, bevor sich jemand auf ihn stürzte und wissen wollte, was die Queen mit ihrer Bemerkung wohl gemeint hatte.
War er etwa schon verlobt?
Hatte er Heiratspläne?
Durfte man erfahren, wer die Erwählte war?
Solche und ähnliche Fragen würde man ihm stellen, und er verspürte nicht den geringsten Wunsch, darauf zu antworten.
Abrupt wandte sich Sir Rupert zum Gehen, und der Ausdruck auf seinem Gesicht ließ einige bereits eilfertig Näherkommende erschreckt stehen bleiben.
Mit schnellen Schritten verließ er den Thronsaal, durchquerte den grünen Salon, in dem die Erfrischungen gereicht wurden, und stieg die von Leibgardisten bewachte, mit einem roten Läufer ausgelegte Treppe hinunter.
Sein Name wurde gerufen, eine Hand berührte seinen Arm, einer seiner Freunde versuchte ihn zurückzuhalten, doch Sir Rupert reagierte auf nichts. In ihm war nur das Bestreben, diesem Gebäude zu entfliehen und endlich die kühle Nachtluft zu atmen, nach der er sich schon seit Stunden gesehnt hatte, die seit wenigen Minuten jedoch eine lebenswichtige Bedeutung für ihn erlangt hatte.
Draußen vor dem Palast schickte er seine Kutsche nach Hause und schritt an der berittenen Ehrengarde vorbei durch das Tor des Palasthofes.
Er hatte keinen Blick für die vor dem Tor wartende Menschenmenge, die seit Stunden geduldig ausharrte, um der Abfahrt der königlichen Gäste zuzuschauen.
Geistesabwesend bog er in die Mall ein.it seiner Hofkleidung mit Kniehosen, Seidenstrümpfen, und purpurbesetztem Umhang bot der hochgewachsene, schwarzhaarige Mann einen imponierenden Eindruck. Doch war es nicht nur seine Kleidung, die die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zog. Es war der zynische Ausdruck auf seinem scharfgeschnittenen Gesicht, die Kälte in den durchdringend blickenden Augen, die Verachtung und Anmaßung, die seine ganze Erscheinung ausstrahlte.
Kein Wunder, daß zwei junge Frauen, die auf der Mall seinen Weg kreuzten, sich gegenseitig anstießen und die eine zur anderen sagte: »Mit so einem Mannsbild möchte ich mal ins Bett steigen! Das ist wenigstens ein Kerl! Im Moment allerdings werd' ich 'nen weiten Bogen um ihn machen., Sieht verdammt danach aus, als sei Seiner Lordschaft 'ne Laus über die Leber gekrochen. Selbst den Teufel könnte ich mir nicht erschreckender vorstellen.«
Sie hatte nicht ganz unrecht mit ihrer Bemerkung, denn Sir Rupert war noch nie so wütend gewesen.
Diejenigen im Thronsaal, die in seiner Nähe gestanden hatten, mochten sich fragen, was die Königin mit ihren Worten hatte sagen wollen, er fragte sich das nicht.
Er wußte es.
Ihre Majestät hatte ihm soeben eine Warnung und gleichzeitig einen Befehl zukommen lassen.
Wie ein Blitz aus heiterem Himmel war das geschehen. Er hatte nie damit gerechnet, war der Meinung gewesen, sich aufs Beste gegen eine derartige Überraschung abgesichert zu haben.
Doch er hatte sich geirrt. Es war ja auch absurd gewesen, zu glauben, daß sich niemand für sein Privatleben interessierte.
Er hätte wissen müssen, daß die Spione und Spitzel des Hofes überall waren. Es gab wenige Dinge im Leben der Londoner Gesellschaft, über die die Königin nicht Bescheid wußte.
Er hatte sich wie ein Dummkopf benommen, hatte sich für clever gehalten und sich eingebildet, er könnte alle an der Nase herumführen und niemand würde ihm auf die Schliche kommen.
Narr, der er war, zu glauben, seine Liebesaffäre mit Clementine würde unbemerkt bleiben und dem Hof nicht zu Ohren kommen.
Er fragte sich, wie lange die Königin wohl schon davon wußte. Zwei Monate, drei oder gar sechs?